Ted Russell Kamp, ein zielstrebiger Musiker, Songwriter und Produzent aus Los Angeles, steht Rede und Antwort




Info
Gesprächspartner: Ted Russell Kamp

Zeit: 12.05.2019

Ort: Wilhelmshaven / Los Angeles

Interview: E-Mail

Internet:
http://www.tedrussellkamp.com

„Ready! Steady! Teddy! Go!” So beginnt Ted Russell Kamp sein Antwortschreiben auf Wolfgangs Interview-Fragen. Ja, Ted besitzt einen augenzwinkernden Humor, steht mit beiden Beinen fest im Leben und verdient den Unterhalt für sich und seine Familie allein durch die Musik. Geboren in New York, lebt er heute in Los Angeles und ist regelmäßig auf Tournee, auch in Europa. Dieses Mal hat Wolfgang ihn allerdings elektronisch befragt.

Wir haben uns im Mai 2012 persönlich kennen gelernt, als wir in unserer Stadt ein Konzert für ihn arrangieren konnten. Seitdem ist Ted regelmäßig Gast bei uns. Bei seinem letzten Aufenthalt im Dezember 2018 sprachen wir über die Möglichkeit eines Interviews, dass nun endlich realisiert werden konnte.
Der Multiinstrumentalist spielt Bass, Gitarren, Keyboards und Trompete. Als Profimusiker musizierte er mit namhaften Musikern der Independent Rock-Bewegung, allen voran Shooter Jennings, dem Sohn von Waylon Jennings und Jessi Colter, unter anderem arbeitete er auch als Bassist für Tony Joe White und trat zusammen mit den Jayhawks auf.

MAS: Du wurdest in New York geboren. Hattest Du bereits in jungen Jahren Kontakt zur dortigen Musikszene? (ggf. auch nur als Zuhörer)

Ted Russell Kamp: Ja, mein Vater liebte Jazz und meine Mutter Broadway-Shows und sie nahmen mich als Kind mit zu vielen Shows und zu Museen. Als ich in der High School und im College war, besuchte ich ebenfalls regelmäßig Shows und Konzerte. Ich glaube noch immer, dass diese Weltklasse-Musik, die ich zu hören bekam, als ich noch jung war, mir und meinen Bands sehr geholfen hat, besser zu werden, weil diese Musik uns zeigte, wo hoher professioneller Standard anzusiedeln war.

MAS: Falls ja, um welche Künstler und Bands handelte es sich?

Ted Russell Kamp: Einige, an die ich mich noch sehr gut erinnere, waren Gerry Mulligan, Stan Getz und Lee Konitz, die ich zusammen mit meinem Dad sah, sowie mit meiner Mom die Musicals Cats, Godspell, Kiss Me Kate und Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat. Später waren es dann zusammen mit meinen Freunden die Bands R.E.M., Heart, Fishbone, REO Speedwagon, Rush und Hüsker Dü.

MAS: Haben diese Musiker bei Dir einen bleibenden Eindruck hinterlassen und haben sie Dich grundsätzlich beeinflusst?

Ted Russell Kamp: Alle jene, die ich auch erwähnte. Ich sah viele Shows, aber diese waren diejenigen, die auf mich den größten Einfluss ausübten, denn sie beeinflussten die Art von Musik, die ich lernen und spielen wollte.

MAS: Von welcher Musik und von welchen Musikern wurdest Du grundsätzlich beeinflusst?

Ted Russell Kamp: Meine Liebe zum Reisen schrieb ich auch der Intensität und der Geschichte New York Citys zu, gerade als ich jung war. Dort gab es stets Neues zu entdecken, neue Stadtteile und neue Szenerien. Als ich dort aufwuchs, bezog ich Inspiration dadurch, so viele Jazz-Größen erlebt zu haben, und dazu waren es noch Freunde, die auch in die Stadt zogen, um dort zu musizieren. In meinen Zwanzigern sah ich Medeski, Martin & Wood in der Knitting Factory in NYC. Ihre besonderen Ausdrucksformen und ihre Seele in der Musik waren für mich sehr großartig.

MAS: Wann bist Du aus New York weggezogen und wohin?

Ted Russell Kamp: Ich verließ New York nachdem ich das College beendet hatte und zog mit meiner Freundin nach Seattle. Dort begann ich Musik für meinen Lebensunterhalt zu spielen.

MAS: Seit wann lebst Du in Los Angeles?

Ted Russell Kamp: Nach etwa sechs Jahren in Seattle fühlte ich, dass ich eigentlich gelernt hatte, was ich lernen wollte und zog etwa im Jahre 2000 nach L.A.. Ich wusste, ich brauchte eine größere Stadt und eine größere Musikszene, um zu lernen und zu wachsen und ich hatte mehr und größere Möglichkeiten für eine musikalische Karriere. Ich spielte jeden Gig für $50 und $100 in der Stadt und ich wusste, dass ich mehr wollte.

MAS: 1996 hast Du Dein erstes Album veröffentlicht, Dedications. Es ist ein reines Jazz-Album. Wie kam es dazu? Hattest Du die Absicht, weiterhin als Jazzmusiker zu arbeiten?

Ted Russell Kamp: Wie ich erwähnte, wuchs ich mit Jazz auf. So war mein erstes Instrument auch die Trompete, die ich ab der vierten Klasse (4th grade) spielte, auch mit der Schulband und lokalen Jazzbands. In der neunten Klasse (9th grade) begann ich mit dem Bass und spielte mit Freunden in Rockbands und auch in der Schulband, nun mit dem akustischen Bass. Im College spielte ich wieder mehr Jazz und das auch zunehmend ernsthafter. Für ein Jahr studierte ich an der McGill-Universität in Montreal, um Literatur zu studieren, aber ich fand heraus, dass sie dort auch eine erstklassige Jazz-Abteilung hatten. So schwappte die Liebe zum Jazz dort regelrecht über und nahm mich für sich ein. Als ich das College beendete, war mein Ziel, nach Seattle umzuziehen, um dort Jazz für meinen Lebensunterhalt zu spielen. Ich wusste, dass ich nicht gut genug war, es in New York zu versuchen und so hoffte ich, dass eine kleinere Stadt mit einer berühmten und fruchtbaren Musikszene ein guter Platz zum Lernen und Wachsen sei. Als ich in Seattle ankam, trat ich sofort Bands bei und buchte eigene Konzerte, um Bands zusammenzubekommen. Die Platte Dedications war das Ergebnis von vier Jahren, in denen ich ausschließlich Jazz spielte. Als ich die Platte aufnahm, wollte ich meine Liebe zum instrumentalen Jazz der Fünfziger und Sechziger dokumentieren und daher gibt es Songs im Stil von Gerry Mulligan, Bill Evans, Paul Desmond, Jobim und Wayne Shorter, also jenen Musikern, die meine liebsten und längsten Einflüsse im Jazz waren. Aber während ich das tat, bemerkte ich, dass es mir immer weniger Spaß bereitete, mit Bläsern und vom Bebop beeinflussten Musikern zusammenzuspielen, sondern mehr mit Sängern und der Musik, die sie spielten, als Jazz noch als Popmusik galt und wirkte. Ich erinnerte mich, dass ich bei einem Auftritt bemerkte, dass „Take The A Train“ wie das „Sweet Home Alabama“ (Lynyrd Skynyrd) des Jazz ist und ich kein Cover-Musiker mehr sein wollte. Mein Jazzspiel hat mich eine Menge über Musik gelehrt, über Harmonien und Feinheiten der Rhythmen, aber ich wusste, ich wollte lieber eigene Songs schreiben und das mehr im Bereich populärer Musik. So trat ich Folk- und Bluesbands bei. Ebenfalls bemerkte ich, dass die Platte The Heart Of Saturday Night von Tom Waits, die ich stets als eine meiner liebsten Jazzplatten angesehen hatte, in Wirklichkeit eher ein Singer/Songwriter-Album war, das sich als Jazzplatte verkleidet hatte.
Als ich also Dedications aufnahm, wollte ich meine Liebe zum Jazz dokumentieren und zu den großartigen Musikern und Freundschaften, die ich bei meinen Jazzauftritten geschlossen hatte, aber ich wusste, dass ich wahrscheinlich kein weiteres Jazzalbum aufnehmen würde und dass ich meinen Fokus ändern und andere Genres entdecken musste.
Ted Russell Kamp mit unserem Autor Wolfgang Giese

MAS: Wann und warum hast Du Dich anschließend anderer Musik zugewendet?

Ted Russell Kamp: Ich hatte bemerkt, dass ich bezahlt wurde, um den großen Bassisten vergangener Jahrzehnte nachzueifern anstatt so zu spielen wie ich selbst. Ich wollte zurück zur Pop- und Rockmusik, mit der ich auch aufgewachsen war und die ich mit meinen Freunden in der High School und im College gespielt hatte, und herausfinden, welcher Sound nun für mich der richtige sein sollte. Ich fühlte, dass das ganze Studium des Jazz für mich eine Art Reifeprüfung in Musik gewesen war. Nun wurde es notwendig, zu entdecken und mehr zu mir zu finden. Ich liebte auch Soul und Blues und so spielte ich verstärkt mit lokalen Bands in Seattle und mit anderen professionell arbeitenden Musikern dieser Genres. So lernte ich über das reichhaltige Netz verschiedener US-amerikanischer Musikformen und wie sie zusammenpassten und sich untereinander entwickelten durch ihre Kommunikation. Ich traf auch einige großartige Musiker, die David Grisman und Sam Bush sehr schätzten und die Gypsy Jazz mit Folk Rock, Bluegrass und Countrymusik kombinierten. Dieses führte mich zusammen mit vielen Singer/Songwritern und Bands verschiedener Genres, und das hat sehr viel Spaß gemacht und war für einige Jahre für mich sehr inspirierend. Während dieser Zeit trat ich einer Hausband bei, die in einer sehr coolen irischen Bar in Seattle, dem “Owl And Thistle“, spielte.

MAS: Du warst dann Mitglied der Band Ponticello. Aus wieviel Musikern bestand sie und welchen Stil habt ihr gespielt, und von wann bis wann existierte die Band?

Ted Russell Kamp: Ponticello existierte für etwa vier Jahre und im Kern waren das ich und Chris Murphy, der elektrisch verstärkte Geige spielte. Wir trafen uns als Bandmitglieder der Owl and Thistle House Band. Nebenbei starteten wir Ponticello, wir konnten vielseitig sein und spielen, was immer wir wollten außerhalb der Musik, die wir mit der Hausband spielten. Wir haben vier Schallplatten zusammen aufgenommen und unsere Musik war sehr vielseitig; im Nachhinein betrachtet, zu vielseitig. Wir versuchten so viele Dinge, vielleicht konnten wir uns dadurch auch keine eigene Identität schaffen, aber letztlich hatten wir das Gefühl und die Gesinnung, eine Rockband zu sein, die tourte und schließlich eigene Musik zu spielen. Wir spielten Rock, der viel von Morphine und Tom Petty beeinflusst war, sowie auch Hot Club Jazz und Bluegrass und Roots Music, beeinflusst von Bands und Musikern wie den Squirrel Nut Zippers und David Grisman. Wir spielten auch auf Hochzeiten und in irischen Pubs und reisten viel in einem Van, die meiste Zeit davon durch die westliche Hälfte der USA.
Es war am Ende von Ponticello, als ich The Band entdeckte und das Album The Last Waltz, sowie Musiker wie Gram Parsons, Townes Van Zandt, Guy Clark und Whiskeytown. So bemerkte ich, dass diese, an dem musikalischen amerikanischen Wurzeln orientierte Musik der Singer/Songwriter genau das war, was auch ich machen wollte und so interessierte ich mich zunehmend weniger für Gypsy Jazz und Fiddle Tunes und die Jams, die viel vom Einfluss der anderen Bandmitgliedern lebten. Das somit der Anfang vom Ende von Ponticello und der Beginn für mich, eine Reihe von Alben aufzunehmen, beginnend mit NorthSouth, und noch heute bin ich dabei.

MAS: Northsouth war dann Dein erstes Album mit Deiner neuen Richtung, der Du dann treu bliebst. Im Allgemeinen wird Deine Musik stilistisch als Americana eingestuft. Wie nennst Du sie selber?

Ted Russell Kamp: Ich mag den Begriff Americana, weil er viel zu tun hat mit moderner Interpretation aller Art von US-amerikanischer Roots Music. Meine Musik ist beeinflusst von Rock, Country, Soul, Blues und Jazz, und sie alle sind gebündelt dadurch, ein Singer/Songwriter zu sein im klassischen Stil von Bands und Künstlern wie The Band, Jackson Browne, Bob Dylan und Leon Russell.

MAS: Welche Musik und welche Musiker haben Dich am meisten beeinflusst?

Ted Russell Kamp: Bob Dylan, Tom Waits, The Beatles, Kris Kristofferson, Leon Russell, J.J. Cale, The Band, Jackson Browne, Whiskeytown.

MAS: Gibt es einen Lieblingsmusiker, eine Lieblingsband?

Ted Russell Kamp: Alle aus der vorherigen Frage. Es gab immer wieder Phasen, wo ich durch alle diese Künstler stark inspiriert wurde.

MAS: Gibt es einen Song, den Du sehr gerne magst und den Du gern selbst geschrieben hättest?
Ted Russell Kamp:Da gibt es viele. Einige davon sind: „The Pretender” von Jackson Browne, „Simple Twist of Fate” von Bob Dylan, „The Night They Drove Old Dixie Down” von The Band, „The Heart of Saturday Night” von Tom Waits, „ This Will Be Our Year” von the Zombies, „Rainy Days and Mondays” von Paul Williams, „ Annabelle” von Gillian Welch, „Every Day People” von Sly and The Family Stone, „Waltz For Debbie” von Bill Evans, „Take Five” von Paul Desmond, alles von „Kind of Blue” von Miles Davis, „Always True To You Darling in My Fashion” von Cole Porter, „In Color” von Jamie Johnson, „Hallelujah” von Leonard Cohen, „Blue Eyes Crying in the Rain” von Fred Rose, „Angel Flying to Close to the Ground” von Willie Nelson, „Me and Bobby McGee” von Kris Kristofferson. Die Liste geht einfach weiter und weiter…

MAS: Mit welchen Musikern möchtest Du gern einmal für eine Schallplattenaufnahme zusammenspielen?

Ted Russell Kamp: Am meisten bedauere ich, dass ich niemals mit Richie Hayward, dem Schlagzeuger von Little Feat, zusammen spielen konnte. Ich war schon dabei, eine Session mit ihm zu planen, als er erkrankte und nachfolgend verstarb. Ich würde gern einmal mit Buddy Miller und Gurf Morlix zusammen spielen, dann mit Marty Stuart und allen seinen Bandmitgliedern, mit Waddy Wachtel und Russ Kunkel, B= mit Brian und Brady Blade. Auch diese Liste könnte ich unendlich weiterführen.


MAS: Wann warst Du das erste Mal in Europa auf Tournee?

Ted Russell Kamp: Ich glaube, das erste Mal, dass ich nach Europa kam, um dort zu spielen, war 2003. Ich kam in der Regel zwei Mal im Jahr, einmal spielte ich mit einer großartigen Bluesmusikerin namens Candye Kane. Wir spielten eine Woche lang jeden Abend in einem tollen Club mit Namen “Blues“, in Athen, Griechenland. Einige Monate später ging ich nach Spanien mit einer coolen Band aus L.A., Jonny Kaplan And The Lazy Stars.

MAS: Gibt es Unterschiede im europäischen Publikum? Ggf. welche sind besonders auffällig?

Ted Russell Kamp: Meine Musik ist nicht besonders zeitgemäß. Ich würde nie mit Lady Gaga oder Justin Timberlake oder Adele zusammenarbeiten wollen. Eines der Dinge, die ich mag, ist, dass die meistens Freunde meiner Musik und von Americana wirkliche Musikliebhaber sind, die gutes Songwriting und Substanz in der Musik lieben eher als modische Strömungen oder kurz aufblitzende Trends. Texte und Stimmung zählen mehr für das Publikum zu Hause als eine große Light Show zu haben oder superschnelle Gitarrensoli. So scheint es, dass sich viele gleichgesonnene Menschen von dieser Musik angezogen und sich außerhalb ausgetretener Pfade wohl fühlen.
In Europa scheint es, dass viele Einwohner jedes Landes stolz auf ihre eigene Geschichte und Kultur sind, aber auch Dinge und Produkte, für die andere Länder stehen, respektieren. Amerika ist solch ein großes Land, so dass ich denke, dass viele Amerikaner ein Ego-Problem haben, dergestalt, dass sie denken, Amerika ist das beste Land und alles, was wir tun, ist das Beste. Wie wir sehen, hat diese Gesinnung der USA mittlerweile Einiges an Problemen bereitet und scheint rasch ein Ende für eine Ära politischer und wirtschaftlicher Dominanz, die Amerika für viele Jahre hatte, zu beenden.
Europäer scheuen sich nicht, Dinge zu schätzen und zu würdigen, die aus anderen Kulturen stammen, oder in meinem Fall, das ist schon großartige, dass viele Europäer wirklich die Art Musik, wie sich sie spiele, als amerikanische Musik mögen. Ich versuche meine Songs mit humanitären und universellen Inhalten zu füllen (und hoffentlich über das rein amerikanische Publikum hinaus) und ich bin wirklich froh und stolz, dass es hier in Europa ein Publikum für mich gibt. Hoffentlich kann ich, wenn ich zum Musizieren hier herüber komme, ein Botschafter für gute Dinge, die Amerika repräsentiert, sein und nicht das große Ego und die Engstirnigkeit, die einige Amerikaner innehaben. Wie ein guter Freund von mir zu sagen pflegte, ich möchte ein Reisender und kein Tourist sein.

MAS: Wie gehst Du damit um, wenn Du in einem Club spielst und viele Leute hören gar nicht zu, sondern unterhalten sich vielmehr, und das oft lautstark? Kannst Du das ignorieren oder ist es für Dich ärgerlich?

Ted Russell Kamp: Das ist frustrierend, in einem Club zu spielen, wo die Leute nicht gern zuhören. Es ist schon spannender, dort zu spielen, wo die Leute sich einlassen und sich auf die Musik fokussieren. Aber neben vielen Konzerten und Spielstätten für Singer/Songwriter, habe ich Jahre damit verbracht, in Bars und Pubs zu spielen. Viele Leute gehen dort einfach hin, um Freunde zu treffen oder etwas zu trinken und Party zu machen, und eine Band ist dann lediglich dafür da, Energie für die Party zu liefern und damit die Leute sich wohl fühlen. Also wenn ich einen solchen Gig spiele, dann geht es mehr darum, die Energie am Fließen zu halten und einfach zu spielen anstatt mehr an beschaulichen, tiefgehenden und ernsten Songs zu bringen. Ich hole dann oft coole Cover-Songs hervor, solche, die ich besonders mag und die ich ansonsten nicht immer spiele.

MAS: Du betreibst ein eigenes Plattenlabel. Bist Du daran interessiert, ggf. einmal eine Platte bei einem Major Label herauszubringen oder nimmst Du davon lieber Abstand?

Ted Russell Kamp: Ich habe bereits einige Jahre lang darüber nachgedacht. Ich veröffentlichte einige Alben, die an Dualtone Records in Nashville lizensiert waren, und sie halfen mir dabei, sie in aller Welt zu verbreiten. Ein Problem, dass ich immer hatte, ist, dass ich stets sowohl als Komponist, Sideman und Produzent und eben als Musiker tätig war/bin. So toure ich nicht genug und/oder stehe als „Vollzeitkünstler“ zur Verfügung, so dass einige Labels mit denen ich Kontakt hatte über die Jahre, nicht sonderlich interessiert waren, es sei denn, ich würde mehr und mehr durchgängig touren, aber damit werde ich nicht glücklich sein. Ich liebe es auch, in einer Band mit anderen Künstlern zu spielen und im Studio zu arbeiten, und das hatte ich wirklich vermisst in den wenigen Jahren, in denen ich ganz allein viel tourte.

MAS: Würdest Du Deinen Musikstil für den Fall ändern, dass Dir jemand viel Geld dafür versprechen würde? Falls ja, welche Musik würdest Du spielen wollen, um in die Charts zu gelangen?

Ted Russell Kamp: Ich würde meinen Stil nicht wirklich völlig ändern, nur um zusätzlichen Erfolg zu haben. Ich mag wirklich das, was ich zur Zeit tue. Aber mein Geschmack ist sehr vielseitig und meine Musik hat viele Elemente der Genres Singer/Songwriter, Rock, Country, Blues und Soul, alles zusammengemischt. Sollte es ein Label oder einen Geldgeber geben, die ausführen würden, dass ich mehr Erfolg hätte, wenn ich meinen Schwerpunkt einengte und zum Beispiel etwas forderten wie „Nimm‘ doch einmal eine Bluesplatte auf“, weil es gerade im Bereich dessen läge, was ich bereits ohnehin tue, dann würde ich das wohl in Betracht ziehen.

MAS: Du arbeitest bereits eine Weile mit Shooter Jennings zusammen. Wie habt Ihr Euch kennen gelernt?

Ted Russell Kamp: Shooter und ich hatten bereits eine Weile in Los Angeles gespielt, bevor wir uns dann Ende 2003 trafen. Das war zu jener Zeit, als Shooter seinen Schwerpunkt vom härteren Rock änderte hin zur Countrymusik im Stil der Siebziger und zum vom Southern Rock beeinflusstem Sound, und ich war auch gerade fokussiert darauf, Country Rock und Roots Music zu spielen. Einige gemeinsame Freunde schlugen vor, Shooter solle mich mal anrufen und es mit mir versuchen. Bereits von der ersten Session dem ersten Vorspielen an stimmte zwischen uns die Chemie absolut gut. Innerhalb eines Monats spielten wir Shows zusammen und innerhalb einiger Monate hatten wir zusammen im Studio aufgenommen.

MAS: Hast Du auch auf Platten von Waylon mitgespielt?

Ted Russell Kamp: Ich traf Shooter, als Waylon bereits verstorben war, aber wir haben eine Platte zusammen gemacht, Waylon and the 357s / Waylon Forever. Shooter hatte bereits einige Songs mit Waylon zusammen aufgenommen in seinem Home Recording-Studio, in seinen späten Teenager-Jahren. Wir griffen auf diese Aufnahmen zurück und nahmen zum Gesang und der Gitarre von Waylon zusätzlich auf. Das war einer der großen Momente meines musikalischen Lebens, im Studio mit Shooter und dem Rest der Band aufzunehmen und Waylon’s Stimme durch die Kopfhörer zu hören, und wir konnten so mit ihm zusammen spielen. Das ist eine großartige Platte und möglicherweise eine der besten, die wir zusammen machten.

MAS: Du hast live viele Musiker begleitet. Welche fallen Dir besonders in positivem Sinne ein?

Ted Russell Kamp: Ja sicher. Viele der Musiker, mit denen sich zusammenspielte, wurde gute Freunde von mir. Einige meiner liebsten Shows waren die mit meinen guten Freunden A.J. Hobbs, Funkyjenn, Creekwood, Nate Smith und Richie Allbright, alle sind Musiker, für die ich auch Platten produziert habe und die dicke Freunde von mir wurden, und wir spielten ganz viel wunderschöne und soulvolle Musik zusammen bei Liveshows.

MAS: Planst Du in Zukunft, Dich auch weiter als Produzent zu betätigen? Hast Du bereits bestimmte Band im Auge?

Ted Russell Kamp: Ja, ich liebe die Arbeit als Produzent und bin dankbar dafür, im Laufe der Jahre mehr und mehr davon umsetzen zu können. Aktuell bin ich gerade mitten in der Produktion einer Platte einer sehr talentierten Sängerin und Songschreiberin mit Namen Emily Zuzik, dann noch weitere, eine für Clay DuBose und eine mit Tawny Ellis.


MAS: Gibt es einen Lieblingssong unter all‘ denen, die Du selbst geschrieben hast? (und warum?)

Ted Russell Kamp: Einer meiner liebsten Songs ist einer, den ich zusammen mit Gordy Quist von der Gruppe Band Of Heathens geschrieben habe. Er heißt „Hold On“ und handelt davon, wie man einen Freund oder eine/n Geliebte/n unterstützt und wissen lässt, immer für sie/ihn da zu sein. Das Leben ist oft hart und einsam und die Welt scheint jedes Jahr immer verrückter und komplexer zu werden. Ich denke, die Menschen brauchen Songs, die einladend und unterstützend sind, um sie über den Tag zu helfen, und dieses Lied, neben seiner Sentimentalität, hat eine schöne Melodie und einige persönliche und poetische Textzeilen, auf die ich recht stolz bin. Eine akustische Version davon ist auf meinem Album Flying Solo und eine komplette Band-Version wird auf meiner nächsten Platte, die nächstes Jahr erscheinen wird, sein.

MAS: Sind Deine Texte oft autobiografischen Inhalts oder schreibst Du eher über fiktive Ereignisse?

Ted Russell Kamp: Die meisten meiner Texte haben einen autobiografischen Hintergrund. Ich liebe es, einen kleinen Moment oder ein kleines Gefühl aus meinem Leben herauszufiltern und es dann zu erweitern zu einem Song, mit genau diesem Charakter. Die anfänglichen Ideen für meine Songs entstammen meistens aus einem momentanen Gefühl, dass ich habe und dass ich dann erweitern oder gar übertreiben muss, damit er einen bestimmten Charakter bekommen muss oder eine Aussage, die dann jedem Song die entsprechende Kraft verleiht.
Ich nehme einen Song meines aktuellen Albums als Beispiel, „Heart Under Pressure“ ist ein “Anti-Dear John-Brief“ (Anm.: Ein “Dear John-letter ist ein Brief, den ein Mann von seiner Ehefrau bekommt, um ihn darüber zu unterrichten, dass die Partnerschaft vorbei ist, weil sie einen anderen Liebhaber gefunden hat.), also ein Song darüber, für einen Freund da zu sein, der verletzt wurde und Hilfe benötigt. Einsam sein und sich heruntergekommen fühlen sind Gefühle, die wir alle haben und wir haben dann zu kämpfen, um zu überleben. So ertappte ich mich dabei, mehr Songs über diese Art von Unterstützung zu schreiben. Dieses Lied basierte jedoch nicht auf einer bestimmten Beziehung, sondern mehr auf einem universellen Verlangen und dass wir unseren Liebsten, die Hilfe brauchen, beistehen sollten. Ich las einen Artikel über Langlebigkeit und bessere Lebensmittel zu verzehren, um ein gesundes Herz zu behalten. Dieses brachte mich zu dem Gedanken, dass das Herz im wahrsten Sinne des Wortes eigentlich ein Muskel ist. In der Musik sprechen wir oft über Kummer und Herzeleid als ein Gefühl, das Ende der Welt sei eingetreten und so wollte ich einen Song über das Herz als Muskel schreiben, das jeden emotionalen Schmerz, den wir durchleben, aushalten kann.
Ich wollte, dass das Herz und seine konstanten Schläge als Metapher für unsere Fähigkeit, etwas auszuhalten und zu überdauern, egal, welcher Kampf uns über den Weg läuft. Ich habe diesen Song zusammen mit einem alten Freund und einem großartigen Singer/Songwriter aus Greenville, South Carolina, Mark Webb, geschrieben. Er hatte mich ursprünglich kontaktiert und mir die Anfänge eines neuen Songs, „Heart Under Pressure“, geschickt, dann erzählte ich ihm von meiner „Herzmuskel-Idee“, und als wir unsere Ideen und Songfragmente kombinierten und die Texte ausarbeiteten, dann wollten wir dieses Stück aus der Perspektive eines Freundes, der einen anderen, hilfebedürftigen Freund unterstützt, verstanden wissen. Die Welt ist heutzutage ein ziemlich überwältigender und verwirrender Platz und wir alle müssen daran erinnert werden, dass wir es auch durch schwere Zeiten schaffen können, und dass unsere unter Druck gesetzten Herzen uns wirklich den Weg weisen können und uns aus allem herausziehen können.

MAS: Um noch einmal auf den Jazz zurückzukommen. Gibt es in diesem Genre einen Bassisten, den Du besonders schätzt?

Ted Russell Kamp: Scott LeFaro und Ray Brown sind meine beiden größten Einflüsse aus dem Jazz. Scott LaFaro hat so flüssig und anmutig gespielt mit seiner Fähigkeit, die Stimmung und die traditionelle Rolle des Basses zu verlassen und einfach nur melodisch und interaktiv zu sein mit Bill Evans und den anderen Mitspielern. Ray Brown war einer der großartigen und am meisten swingenden und groovenden Bassisten aller Zeiten.

MAS: Es wird oft davon gesprochen, dass die Zeit für CDs und LPs auslaufen wird und dass es nur noch Downloads geben wird, um Musik hören zu können. Wie denkst Du darüber? Wird es auf diese Weise geschehen? Und was wären für Dich als Musiker die Konsequenzen daraus?

Ted Russell Kamp: Vielleicht. Das Schlimme ist, dass bereits so viele Leute Streaming-Dienste nutzen, die den Künstlern nie so viel Geld bringen wie ein CD-Verkauf oder ein digitaler Download. So wird es schwieriger werden, Einnahmen aus Plattenverkäufen zu erzielen und daher wird es schwieriger, weiter Musik zur Veröffentlichung aufzunehmen.

MAS: Auf Deiner aktuellen Platte gibt es den ersten Song „Home Away From Home“. Drückt das in etwa aus, wie Du Dich fühlst, wenn Du lange von zuhause weg bist? Ist es für Dich wichtig, „on the road“ Freunde zu finden und hilft Dir das etwas, das Heimweh nach Los Angeles, nach Frau und Kind zu mindern?

Ted Russell Kamp: Wenn ich reise, dann bin ich unterwegs, um meine Musik vorzustellen und sie auch zu verkaufen, aber es ist ebenso ein großartiges Gefühl, meine Musik mit anderen Menschen zu teilen, weil ich die von mir geschaffenen Songs spiele. Gleichzeitig bestreite ich dadurch auch meinen Lebensunterhalt, und um Rechnungen bezahlen zu können, während ich diese erstaunlichen Orte sehe und auch neue Freundschaften schließe. Etwas, was für mich sehr wichtig ist, ist Lebensqualität. Neue Freunde zu treffen und mehr zu erfahren über die verschiedenen Kulturen in den verschiedenen Ländern sind es, die meine Tourneen denkwürdig und schön machen.
Einige der Freundschaften, die ich mit Fans, Promotern, Discjockey und Menschen, die ich auf diesen Tourneen traf, haben sich mittlerweile zu lebenslangen Freundschaften entwickelt, so dass ich sie jedes Jahr erneut treffe, für die letzten 10-12 Jahre schon. Es ist wirklich toll, so viele Zeiten zu erleben während jeder Tournee, wenn ich mich fern von zu Hause wie zu Hause fühle. Sicher, ich vermisse meine Ehefrau und meinen Sohn und die Freunde, mit denen ich in L.A. zusammen musiziere, aber in Europa unterwegs zu sein, ist sehr ausfüllend.

MAS: Glaubst Du, dass Dein Sohn (wie alt ist er jetzt?) einmal in Deine Fußstapfen treten und als Musiker arbeiten wird?

Ted Russell Kamp: Mein Sohn ist jetzt 11 Jahre alt. Er hat sich noch nicht so zur Musik zugewandt, wie ich es bereits in seinem Alter getan hatte. Vielleicht wird es bei ihm später sein. Ich will ihn auch nicht antreiben. Ich wünschte, er möchte auch, dass er Musik genießt und liebt wie ich. Wenn es andere Dinge gibt, die er liebt, dann hoffe ich, dass er sie mit der gleichen Leidenschaft betreiben wird wie es bei mir mit Musik ist, auch wenn es etwas anderes sein wird.

MAS: Gibt es etwas, das Du den Lesern von Musik An Sich schon immer sagen wolltest?

Ted Russell Kamp: Ja, ich wollte noch anmerken, dass es einen weiteren Grund gibt, dass ich es liebe, in Europa zu spielen, nämlich, dass mein Großvater Niederländer war und meine Großmutter auch Chemnitz stammte. Es ist eine große Lust für mich, stets zurückzukommen und mehr über die Wurzeln meiner Familie zu lernen und die Kulturen, aus denen sie entstammt. Wenn ich von Deutschen verstanden und geschätzt werden und für ein deutsches Publikum spiele, ist das ein großartiges Gefühl und so fühlt es sich auch so an wie eine Heimkehr, wenn ich hier bin. Vielen Dank für Eure Unterstützung und dass Ihr Spaß an unabhängig produzierter Musik habt!


Wolfgang Giese



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