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Aerosmith - eine History der Rocksaurier

Aerosmith

"We weren't too ambitious when we started out. We just wanted to be
the biggest thing that ever walked the planet, the greatest rock band
that ever was. We just wanted everything. We just wanted it all."
-Steven Tyler

Große Worte aus einem ebenso großen Mund, der niemand geringerem als
Aerosmith-Frontman Steven Tyler gehört. Von der Presse gerne als
"Breitmaulfrosch" tituliert, zählt er doch neben Mick Jagger mit zu
den bekanntesten "Schlabbermäulern" der Rockgeschichte...

Und die begann vor gut 30 Jahren, genauer gesagt im Sommer des Jahres
1970, als sich Steven Tyler (*26.03.1948) und Gitarrist Joe Perry
(*10.09.1950) in Sunapee, NH, in einer Eisdiele kennen lernten. Tom
Hamilton (*31.12.1951) am Bass, Joey Cramer (*21.06.1950) am
Schlagzeug und Brad Whitford (*23.02.1952) an der 2. Gitarre
vervollständigten das Quartett. Sie zogen nach Bosten, tingelten durch
Clubs in Massachusetts und New York, sammelten Songmaterial und
bekamen schließlich zwei Jahre später ihren ersten Plattenvertrag bei
Columbia Records. Für das in 1973 erschiene Debut-Album "Aerosmith"
erhielt die Band doppelt Platin, für den Nachfolger "Get Your Wings"
ebenfalls, und "Toys In The Attic" von 1975 brachte gleich 5 mal
Platin ein.

Der Grundstein für eine lange, aber auch steinige Karriere war gelegt.
Denn mit dem Erfolg kamen auch die Drogenprobleme und gegen Ende der
70er drohten die "Toxic-Twins" Tyler und Perry komplett im Drogensumpf
zu versacken.

Joe Perry verließ 1979 die Band und gründete "The Joe Perry Project".
1981 verließ auch Gittarist Brad Whitford Aerosmith um sich
Soloprojekten zu widmen. Währenddessen saß Tyler mit dem Drummer von
Queen auf dem Klo und konsumierte Unmengen an Kokain, wie er erst
kürzlich in einem Interview berichtete.

Tyler über die 80er Jahre: "Zu der Zeit habe ich so viele Drogen
genommen. Ich hatte den Kontakt zu mir vollständig verloren. Ich habe
alles weggeschmissen: eine erfolgreiche Band, Frau, Kinder, eine
Million auf der Bank, alles." Mit Tylers Gesundheitszustand nahm auch
der Erfolg der Plattenverkäufe ab. Das ohne Joe Perry aufgenommene
Album "Rock In A Hard Place" erreichte genauso wie sein Vorgänger
"Night In The Ruts", nach welchem Perry nicht mehr mit von der Partie
war "nur" Goldstatus. 1984 erfolgte dann die Reunion der Band, Joe
Perry und Brad Whitford stiegen wieder bei Arerosmith ein und
starteten die "Back In The saddle"-Tour. Doch die Drogen forderten
ihren Tribut und Steven brach während einer Show mitten auf der Bühne
zusammen. Spätestens da war jedem bewusst, dass die Band das
Drogenproblem noch immer nicht besiegt hatte. Nach dem relativ
erfolglosen Album "Done With Mirrors" (dessen Songs heutzutage fast
nirgendwo mehr erwähnt und auf Konzerten so gut wie gar nicht mehr
gespielt werden) rafften sich Steven und Joe endlich zu einer
Entziehungskur auf und brachten diese auch zu Ende.

1986 gelang durch einen für die damalige Zeit einmaligen Coup, auch
der Durchbruch bei der MTV-Generation. Die Rap-Gruppe Run DMC coverte
das 1974 erschienene "Walk this way", Steven trug den Refrain bei und
das Video zum Song lief auf MTV auf Heavy Rotation. Durch diesen
immensen Popularitätsanstieg war es kein Wunder, dass das nächste
Album ein Erfolg wurde. "Permanent Vacation" erschien 1987 und
heimste, ganz in alter Aerosmith-Tradition, 3 mal Platin ein. Die
Singleauskopplungen "Dude, Looks Like A Lady", "Rag Doll" und die
Ballade "Angel" wurden allesamt Hits, liefen auf MTV rauf und runter
und bescherten der Band zum großen Teil eine ganz neue Fangemeinde.

Vielen alten Fans hingegen gefiel diese Entwickling weniger, dadurch
dass nun professionelle Songschreiber mit in die Produktion einbezogen
wurden, und die Songs wesentlich massentauglicher wurden, warfen sie
der Band vor, langsam aber sicher dem Kommerz zu verfallen. Doch wieso
ein Rezept ändern, das wunderbar funktioniert? Nach einer großen
Welttournee quer durch Amerika, Europa und Japan brachte man also 1989
das dritt-erfolgreichste Album der gesamten Karriere heraus. Für
"Pump" bekam die Band 4 mal Platin und landete die Hits "Love In An
Elevator", "Janie's Got A Gun" und "What It Takes".

Von der schweren Krise Anfang der 80er Jahre war nichts mehr zu sehen,
Steven (über welchen Joe Perry in einem Interview meinte "Der Typ
scheint sich nur im Dunkeln anzuziehen"... na ja, wie so vieles ist
Kleidung Geschmackssache) hatte sich prächtig erholt und rockte in
gewohnter Weise vor sich hin. Die Pump-Tour dauerte fast 2 Jahre, nach
welchen sich die Band erst einmal eine kleine Pause verdient hatte.
1991 begannen dann die Arbeiten für das neue Album "Get A Grip",
welches nicht nur wegen des "interessanten" Brustwarzen- und
Kuhfelldesigns von sich reden machte, sondern auch wegen des überaus
erfolgreichen Videos zu "Cryin'", mit welchem auch Alicia Silverstone
(Clueless) bekannt wurde. Als das Album 1993 erschien, heimsten
Aerosmith einen Preis nach dem anderen ein. "Cryin'" wurde von den
MTV-Zuschauern zur Nummer 1 der "All time favourite Video" gewählt,
die Band bekam den MTV Video Music Award, People's Choice Award,
American Music Award und mehrere Grammies. Die "Get A Grip"-Tour
führte sie ein weiteres mal durch Nordamerika, Kanada, Europa und
Japan. Etliche weitere Preise und Auszeichnungen folgten, ehe 1997 das
neue Album "Nine lives" veröffentlich wurde, welches auch wieder eine
Welt-Tournee nach sich zog.

Unermüdlich wurde weiter produziert, neustes Machwerk ist "Just
Push Play" mit der aktuellen Single-Auskopplung "Jaded". In den USA
stieg das Album direkt auf Platz 2 ein, Tylers Kommentar dazu: "Ja,
das ist nett. Nummer eins wäre zwar besser gewesen, aber so ist es
auch recht." Dazu muss man bedenken, dass dies der höchste Neueinstieg
eines Aerosmith-Albums überhaupt war!

Just Push Play

Im Großen und Ganzen scheinen die 5 Bostoner Boys mit ihrem neuesten
Werk ziemlich zufrieden zu sein. Angeblich ist es das erste Album seit
langem, das sie auch noch nach zig Durchläufen ohne Magenkrämpfe zu
bekommen, anhören können. Was wohl daran liegt, dass dies das erste
Album der Band ist, das sie komplett selbst produziert haben. Einen
Produzenten, den man ihnen aufschwatzen wollte, lehnten sie aus
mehreren Gründen ab. Zum einen wollten sie das Feeling von früher
wieder erleben, wie es war, die Songs selbst zu schreiben und
aufzunehmen, zum anderen hatte sich die Familienplanung von Tom
Hamilton (Bass) taktisch klug in den Weg gelegt. Zur Zeit der Arbeiten
für "Just Push Play" wurde er frischgebackener Vater und konnte somit
unmöglich für längere Zeit von seiner Frau (und seinem Kind) getrennt
sein.

Für den kreativen Prozess der Band hat der Verzicht auf einen
Produzenten auf jeden Fall beigetragen. "Just Push Play" ist seit
langem ein wirklich abwechslungsreiches Album. Während seine
Vorgänger "Get A Grip", "Pump" und "Permanent Vacation" alle nach
einem ähnlichen Strickmuster gebaut waren, braucht es bei JPP doch
einige Hördurchgänge mehr, um die kaum vorhandene Homogenität vollends
verschwinden zu lassen, mit anderen Worten, JPP klingt wie eine
Sammlung von Stücken aus allen Zeitabschnitten der gesamten Karriere.
Da wären die typischen 90er Stücke wie "Jaded", "Fly Away From Here"
oder "Luv Lies", dann sind aber auch wieder Stücke zu finden, die
stark an die ganzen "alten" Aerosmith erinnern, zum Beispiel der
rotzige Titel-Track, welcher einem so frech und treibend aus den Boxen
entgegenhoppelt wie das einstige "Walk This Way"-Original. Beide
Lieder haben die Rap-Passagen gemeinsam, ebenso wie der Refrain nicht
ganz unähnlich klingt! Walk this way... just push play... Absicht oder
Zufall?

Ähnlich sieht es mit "Trip Hoppin'" aus, zwar nagelneu, trotzdem kommt
der Song einem irgendwie bekannt vor. Zu diesem Song meinte Tyler, er
sei der Song über sein Leben, Steven weiß, wie es jenseits seines
Verstandes aussieht. Wenn man über seine Drogenvergangenheit Bescheid
weiß, nimmt man ihm das auch ohne Frage ab. "Sunshine" klingt ebenso
wie "Under My Skin" wie ein Gruß aus alter Zeit. "Under My Skin"
könnte vom genialen Strophenaufbau her glatt noch aus den 70ern
stammen (die Gitarren-Riffs erinnern stark daran), doch der typische
90er Jahre Refrain macht aus diesem Lied eine wirklich nur noch
seltsame Mischung. Zwar unverkennbar Aerosmith, doch die Kreuzung aus
70er Jahre Klassiker und modernem Rocksong klingt so krank, wie
Aerosmith alt sind! Als Experiment würde man es durchaus als
gelungen bezeichnen, wenngleich auch sehr gewöhnungsbedürftig.

Neu hinzugekommen sind außerdem die sehr modernen Einflüsse wie z.B.
auf "Drop Dead Gorgeous" und "Light Inside". Als alter
Aerosmith-Anhänger, der einfach nur dreckigen Rock n' Roll gewohnt
ist, wird man wohl noch eine Weile an der Scheibe zu knacken haben,
bis man sie getrost in den Plattenschrank und ohne Vorbehalt ins Herz
schließen kann.

Eins kann man ganz sicher sagen, Aerosmith stehen wieder an einem ganz
neuen Punkt ihrer kreativen und musikalischen Entwicklung. Und wenn
man bedenkt, dass sie seit 30 Jahren im Geschäft sind und die
Bandmitglieder alle ein gutes halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben,
kann man dem Ganzen nur positiv gegenüber stehen. Auch wenn es für die
alten Fans eine Umstellung ist, man muss eben jung bleiben!

Aerosmith haben es ja schließlich auch geschafft und das nicht nur
optisch.

Annika Adler

Aerosmith heute