Der Motorradmann hat nur eine Sozia: Saxon und Girlschool (und Grand Slam) in Leipzig




Info
Künstler: Saxon, Girlschool, Grand Slam

Zeit: 05.03.2025

Ort: Leipzig, Haus Auensee

Internet:
http://www.saxon747.com

Fünf Tage zuvor fand an gleicher Stelle bereits eine Komplettaufführung eines Klassikeralbums statt, nämlich Balls To The Wall mit Dirkschneider. Die für besagten Gig auf der Homepage des Hauses Auensee kundgetane eigenartige Anstoßzeit 19.10 Uhr scheint ungefähr eingehalten worden zu sein – ergo verläßt sich der Rezensent darauf, daß auch die dort angegebene Zeit von 20 Uhr für diesen Mittwochabend stimmen wird. Diesmal steht allerdings, als er kurz vor 20 Uhr vor der Location eintrifft, keine Schlange dort, und als er nur wenige Minuten später den Konzertsaal betritt, ertönt gerade das Intro von „Demolition Boys“, und der Song gehört bekanntlich nicht zu Grand Slam, sondern zu Girlschool. Laurence Archer und seine Mannen mußten beim vorletzten Gig der Tour, der zugleich ihr letzter ist, da sie am Folgeabend in Düsseldorf nicht mit von der Partie sind, also offenkundig mal wieder weit vorfristig auf die Bühne und entgehen dem Rezensenten somit komplett, was schade ist, da ihr Stil durchaus in sein Beuteschema fallen dürfte. Der Motorradmann muß also an diesem Abend mit nur einer Sozia auskommen.

Viel Zeit zum Überlegen bleibt aber erstmal nicht, denn da stehen ja schon vier hart rockende Mädels auf der Bühne, die begutachtet werden wollen – das letzte Girlschool-Liveerlebnis des Rezensenten datiert immerhin aus dem Jahr 2008. Gut, viel tut sich in den Setlisten der Combo sowieso nicht, vor allem nicht bei einem Supportgig mit entsprechend kurzer Spielzeit, im vorliegenden Fall etwa 40 Minuten, die mit elf Songs gefüllt werden, unter denen genau einer, nämlich „It Is What It Is“, im aktuellen Jahrtausend entstanden ist und auf dem aktuellen Album WTFortyfive? steht, während der Rest in diesem Falle ein Hit-Konglomerat aus diversen Album-Titeltracks und ein paar Zutaten darstellt, wobei auffällig viele Zutaten vom Hit And Run-Album stammen. Eine reine Retro-Veranstaltung sind aber auch diese Rückgriffe ins letzte Jahrtausend nicht – da kommt nämlich „Are You Ready?“ vom Running Wild-Album zum Zuge, und zwar in einer Fassung mit Joe Stump als Gastmusiker. Keine Ahnung, was der auf der Tour sonst macht (ihn nur für diesen einen Song mitzunehmen wäre finanziell völliger Unsinn) – aber der Song gewinnt durch ihn natürlich einen kernigen metallischen Anstrich und zugleich ein Shredder-Element, wie gleich im Intro deutlich wird. Kim McAuliffe beschränkt sich in dieser Nummer auf die Vocals – es wird also keine Triple Axe Attack auf die Bühne gestellt. Der erwähnte einzige Neuling steht direkt vor diesem Song, und auch er hatte schon einen raumgreifenderen Metal-Sound aufgefahren, leicht angedüstert und mit auffälligem Baß von Neuzugang Olivia Airey, die auch gleich die blonde Frisur der auf der anderen Bühnenseite stehenden Jackie Chambers nahezu kopiert und sich mit dieser auch in die Backing Vocals teilt. Wem der Nachname auffällt: Ja, sie ist mit Deep-Purple-Keyboarder Don Airey verwandt, nämlich seine Nichte. An den Ansagen beteiligt sie sich hingegen noch nicht in größerem Umfang – da frozzeln sich Kim und Jackie wieder durch den Set. Kim: „Jackie is very happy about Olivia – now she’s not the new girl in the band anymore.“ Immerhin spielt Jackie ja auch schon seit der Jahrtausendwende bei Girlschool. Der relativ klare Sound, der nur gegen Ende hin einen Tick zu laut wird, erlaubt diesmal auch das gute Nachvollziehen von Einzelheiten (das war 2007 und 2008 bei den bisherigen zwei Liveerlebnissen der Mädels durch den Rezensenten nicht so), und man merkt auch, daß Kim durchaus noch gut bei Stimme ist. Und was Denise Dufort mit 66 noch am Drumkit leistet, verdient Hochachtung, wobei man rein optisch dem Eindruck unterliegen könnte, hier säße Mikkey Dee am Schlagzeug – die Frisuren sind durchaus ähnlich. Und Motörhead kommen, wenn sie schon nicht mehr als Tourpartner fungieren können, wenigstens noch in der Setlist vor: Girlschool covern nach The Guns „Race With The Devil“ auch noch „Bomber“ von der Lemmy-Gang, was sie schon 1981 auf der legendären gemeinsamen St. Valentine’s Day Massacre-EP getan hatten. Diese beiden Songs sind interessanterweise auch die schnellsten des Sets, der wie üblich irgendwo zwischen kernigem Rock’n’Roll und klassischen NWoBHM-Klängen angesiedelt ist und beim Publikum reichlich Anklang findet. Nach dem Rausschmeißer „Emergency“ und einer kurzen Abfeierung schaltet der Soundmensch aber schnell die Pausenmusik ein und macht damit klar, daß keine Zugabe eingeplant ist.

Setlist Girlschool:
Demolition Boys
C’mon Let’s Go
Hit And Run
Future Flash
Kick It Down
Screaming Blue Murder
It Is What It Is
Are You Ready?
Race With The Devil
Bomber
Emergency

Wie schon vor dem Dirkschneider-Set fünf Tage zuvor an gleicher Stelle wird man auch hier wieder mit mancherlei Konservenklassikern verwöhnt, „Paranoid“ etwa gibt’s sogar an beiden Abenden. Saxon haben sich für die seit einem Monat laufende Tour eine Komplettaufführung ihres Albumzweitlings Wheels Of Steel aus dem Jahr 1980 ausgedacht, und wie Dirkschneider packen auch sie diese Komplettaufführung in den zweiten Setteil und spielen zuvor noch zwei Handvoll andere Songs – immerhin gilt es ja das Hell, Fire And Damnation-Album aus dem Jahr 2024 zu promoten, das Kollege Michael hier sehr stark fand. Es geht also gleich mit „The Prophecy“, dem Intro besagten Albums, los, das auf Konserve wie live in den Titeltrack übergeht, der sich als knackig-packender typischer Saxon-Brecher entpuppt, allerdings im Solo schon mal kurz auf Epik schaltet, was im weiteren Verlauf des Sets noch mehrfach vorkommt. Schon „Dogs Of War“ aber macht klar, daß wir uns auf die eine oder andere Rarität freuen dürfen – Titeltracks ihrer mittlerweile 24 Alben spielen Saxon ja oft und gern, dieser hier vom 1995er Werk gehört aber zu den eher seltenen Gästen in den Setlisten. Auch Beiträge vom selbstbetitelten 1979er Debüt hört man nicht gar zu oft, und die Spezialisten im Publikum nehmen „Backs To The Wall“ daher besonders dankbar auf. Bis dahin sind auch zwei spannende Fragen beantwortbar geworden. Zum einen zählt Biff Byford mittlerweile 74 Lenze, und es ist der vorletzte Abend einer einmonatigen Tour nahezu ohne Day-offs – etwaige Bedenken, ob der Vokalist etwa seinem Alter langsam Tribut zollen müsse, wischt der Alte aber problemlos beiseite, singt erstklassig, weiß kompetente Backingvokalisten an seiner Seite und zeigt sich auch konditionell in prima Form, schüttelt das ergraute Haupthaar oder hüpft fröhlich über die Bühne. Zum anderen hat sich sein Ur-Kompagnon Paul Quinn bekanntlich aus dem aktiven Tourgeschäft zurückgezogen und ist durch keinen Geringeren als Diamond-Head-Gitarrist Brian Tatler ersetzt worden. Der wiederum zeigt sich spielerisch bestens integriert und sorgt auch für ein großes neues Quantum an Bewegung auf der Bühne, indem er immer mal mit seinem Gitarrenkompagnon Doug Scarratt oder Bassist Nibbs Carter die Plätze tauscht, während Quinn ja zumindest in den letzten Jahren zu den ruhigen Bühnenakteuren zählte. Carter wiederum ist sowieso ein Phänomen und muß einen Jungbrunnen zu Hause stehen haben – er sprintet über die Bühne und ist quasi dauerhaft am Headbangen, und das, obwohl auch er mittlerweile die 60er-Marke schon erreicht hat. Nigel Glockler wiederum, „der beste Drummer von ganz Barnsley“, wie Biff ihn launig vorstellt, liefert sowieso immer Qualitätsarbeit ab, und so steht da eine perfekte Einheit auf der Bühne, die Freude an dem hat, was sie tut, und es zugleich prima versteht, diese Freude auch auf die Anwesenden zu übertragen. Das neue Album stellt mit „1066“ und „Madame Guillotine“ noch zwei weitere Tracks – einen dritten wählt das Auditorium ab: Biff stellt, wie er das oft tut, zwei Songs zur Wahl, und das Leipziger Publikum entscheidet sich gegen „There’s Something In Roswell“ (das laut Michael sowieso einer der nur zwei nicht ganz so überzeugenden Songs des Albums sei) und für einen ganz bestimmten Song vom Innocence Is No Excuse-Album, womit es, ohne das zu wissen, einen lange gehegten Herzenswunsch des Rezensenten erfüllt, nämlich einmal das grandiose, aber nur selten in den Setlisten auftauchende Epos „Broken Heroes“ live zu hören.
Damit ist der Höhepunkt des Gigs für den Rezensenten schon frühzeitig erreicht, was freilich nicht heißen soll, daß der Rest überflüssig sei oder keinen Spaß mehr gemacht hätte – im Gegenteil: „Solid Ball Of Rock“ und „Strong Arm Of The Law“ setzen gekonnt die Titeltrack-Reihe fort, und nach „1066“ hebt die besagte Gesamtaufführung von Wheels Of Steel an, auch hier in originaler Reihenfolge, also mit „Motorcycle Man“ speedig beginnend und in der Folge Setlist-Standards und Raritäten zunächst fröhlich mischend. „Stand Up And Be Counted“ gehört zu letzteren, der Rest der A-Seite kommt live öfter vor, während die B-Seite eigentlich durchgehend aus eher selten gespielten Songs besteht und immer einen sehr harten und einen zugänglicheren Song abwechseln läßt. „Suzie Hold On“ bereitet dem Rezensenten dabei speziell Hörspaß – immerhin hat er es fertiggebracht, daß auf seinen Vorschlag hin dieser Song 2024 mal im Oldie-Abend auf MDR Sachsen-Anhalt gelaufen ist (und zwei Wochen nach dem Gig im gleichen Sendeformat auch noch „Motorcycle Man“). Im Gegensatz zu Balls To The Wall mit seinem zurückhaltenden Ausklang „Winter Dreams“ steht auf Wheels Of Steel allerdings das knüppelharte „Machine Gun“ am Schluß, das sich live in ein bombastisches Inferno verwandelt und den Hauptset wirkungsvoll mit einem großen Knalleffekt abschließt.


„Crusader“ eröffnet den Zugabenblock, nach dem Biff fragt, ob das Auditorium noch einen oder aber zwei weitere Songs hören wolle. Offenbar haben etliche Anwesende schon auf die Setlisten anderer Gigs der Tour gelinst, denn man fordert drei ein. Biff: „Are you crazy? We are an old band!“ Aber es gibt tatsächlich noch drei Songs, nämlich zunächst „Heavy Metal Thunder“ und „Denim And Leather“, nach dem noch ein besonderer Programmpunkt eingeschoben werden muß. Daß auf Konzerten Unterwäsche auf die Bühne geworfen wird, ist in manchen Stilistika ja nicht selten. Hier und heute wirft das Publikum auch Kleidungsstücke auf die Bühne – aber Kutten, die einige Bandmitglieder dann tatsächlich für einige Songs überstreifen, bevor sie am Drumkit aufgehängt und nun vor der letzten Zugabe zurückgegeben werden. 2016 im Hellraiser in Leipzig war das auch schon so, betraf aber nur eine einzelne Kutte – diesmal sind’s deutlich mehr. Fünf Tage zuvor gab es die Prinzessin der Morgenröte, Saxon schicken uns nun die Prinzessin der Nacht als Finale eines sehr starken Gigs (mit geringfügig zu lautem, aber schön klarem Sound), der einmal mehr beweist, daß dieses NWoBHM-Urgestein noch lange nicht zum alten Eisen zu rechnen ist. Eine Sache, auf die mancher Anwesende vielleicht im stillen gehofft hatte, passiert indes nicht – die Anwesenheit Tatlers auf der Bühne wird nicht zum Anlaß genommen, dessen Signatur-Song „Am I Evil?“ in die Setlist aufzunehmen. Aber angesichts fast zweier Stunden hochklassiger metallischer Unterhaltung dürfte da niemand entscheidend unglücklich drüber gewesen sein.

Setlist Saxon:
The Prophecy
Hell, Fire And Damnation
Dogs Of War
Backs To The Wall
Madame Guillotine
And The Bands Played On
Dallas 1 PM
Broken Heroes
Solid Ball Of Rock
Strong Arm Of The Law
1066
--
Motorcycle Man
Stand Up And Be Counted
747 (Strangers In The Night)
Wheels Of Steel
Freeway Mad
See The Light Shining
Street Fighting Gang
Suzie Hold On
Machine Gun
--
Crusader
Heavy Metal Thunder
Denim And Leather
Princess Of The Night


Roland Ludwig



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