Opprobrium

Beyond The Unknown

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Nach dem Debütalbum Serpent Temptation ging eines der drei Bandmitglieder von Incubus von Bord, nämlich Bassist/Sänger Scot W. Latour, so daß die gitarrespielenden respektive trommelnden Howard-Brüder wieder mal als Duo dastanden. Von der kontinuierlichen Weiterarbeit, was das Songwriting anging, hielt sie das freilich nicht ab, und 1990 spielten sie immer noch in Duobesetzung ein Demo mit acht Songs ein, auf dem Francis nun nicht mehr nur die Gitarre, sondern auch noch den Baß und das Gesangsmikrofon übernahm. Mit diesem Werk kamen sie letztlich bei Nuclear Blast unter, zimmerten diese acht Songs im Morrisound Studio nochmal neu ein, und alsbald lag ihr Zweitling Beyond The Unknown vor. Die Quellen differieren, was die Mitwirkung von Bassist Mark Lavenia angeht. Bei der Demoaufnahme war er definitiv noch nicht dabei und somit auch am Songwriting nicht beteiligt, aber ob er auf der regulären Version schon spielt oder erst danach einstieg, um wieder ein live spielfähiges Trio beisammen zu haben, findet sich unterschiedlich wiedergegeben, wobei er im Booklet der hier vorgestellten Fassung zwar mit Bild vertreten ist, aber in den Credits vermerkt ist, daß Gitarren-Howard auch den Baß übernommen habe, was für zweitgenannte Option spricht. Lange blieb er jedenfalls nicht bei der Band – zu Zeiten der Neueinspielung des Debüts Serpent Temptation als Alternate Version in den Mittneunzigern war er jedenfalls schon nicht mehr dabei.
Beyond The Unknown ist zwischenzeitlich mehrfach neu aufgelegt worden, allerdings jeweils unter dem aktuell gültigen Bandnamen Opprobrium, was auch auf die hier vorliegende, 2019 von Patrick W. Engel remasterte Version zutrifft, die zunächst 2020 erschien und offenkundig 2023 noch einmal herauskam – jedenfalls weist der Schuber der dem Rezensenten vorliegenden Version die Jahreszahl 2023 aus, aber die Tracklist dieser Version entspricht derjenigen, die auch für die 2020er Version angegeben ist.
Hört man die originale Fassung von Serpent Temptation und Beyond The Unknown nacheinander, fallen primär zwei Dinge auf. Zum einen ist da natürlich die neue Stimme, die sich von deathmetallischen Tiefen weitgehend fernhält und damit auch mit der geringfügigen Justierung der Musik Hand in Hand geht, die zwar weiterhin im Spannungsfeld von Thrash und Death Metal lagert, aber ein wenig näher an den erstgenannten rückt. Damit sind wir schon mitten im zweiten Ding, denn auch die Gitarrenarbeit hat sich spürbar weiterentwickelt, läßt etwa in „The Deceived Ones“ Anklänge an klassischen Metal durchhören und fällt generell ein gutes Stück intensiver und frenetischer aus, wofür schon der Opener „Certain Accuracy“ ein prima Beispiel abgibt, wo Francis ein flitzefingeriges Wimmerhakensolo in bester Slayer-Tradition nach dem anderen einflicht. Und so viel Classic Metal wie in „On The Burial Ground“ im ersten Soloteil nach Minute 4 wäre zu Debützeiten noch schwerlich denkbar gewesen. Mit „Massacre Of The Unborn“ ist auch ein kleiner Hit vertreten, den live möglicherweise der eine oder andere Hörer mitformuliert haben wird, ohne zu ahnen, daß es sich hier um eine Hymne der Abtreibungsgegner handelt – der Wechsel der Howards, die beide an den Lyrics mitgeschrieben haben, ins christliche Lager deutet sich hier schon an, und so waren sie vielleicht sogar froh, ihren originalen Bandnamen, der ja nun nicht gerade die christliche Lehre fördert, an die deutlich erfolgreichen Nu-Metaller loszuwerden. Was auch auf Album Nr. 2 noch ein bißchen fehlt, sind große eigenständige Songs mit Wiedererkennungswert – vom genannten Refrain in „Massacre Of The Unborn“ mal abgesehen fällt in den knapp 40 Minuten wenig fürs Langzeitgedächtnis ab, jedenfalls nicht aus heutiger Sicht. Wenn man das Material der beiden Alben schon 1988 bzw. 1990 kennengelernt hat, als noch nicht an jeder Ecke eine Death-Metal-Combo wie der sprichwörtliche Pilz aus der Erde schoß, kann man es natürlich viel intensiver aufgesogen haben. Gut hörbar ist der Stoff natürlich auch heute noch, wenn man generell etwas mit Grenzgängern zwischen Thrash und Death anfangen kann und beispielsweise auf die Sepultura-Alben der gleichen Zeit steht. CrossOver-Kollege Tobias Audersch gab in seinem Review zu einem 2015er Re-Release auf Metal Mind Records folgende Einschätzung ab: „Mit Blick auf das Jahr 1990, als das Dickicht noch nicht so dicht war, sehe ich aber zumindest keinen musikalischen Grund, warum - sagen wir – ‚Schizophrenia‘ damals erfolgreicher war als ‚Beyond The Unknown‘.“ Dem ist im Grundsatz wenig hinzuzufügen, und gekonnt in der Vergangenheit schwelgen kann man mit dem Material definitiv.
Mit dem vorliegenden Re-Release kann man aber noch andere Dinge tun. Er enthält nämlich acht Bonustracks: Engel hat nicht nur das Album remastert, sondern auch noch das alte Demotape restauriert, das die acht späteren Albumsongs in genau der gleichen Reihenfolge enthielt, und in dieser Reihenfolge stehen sie auch als Boni hinter den regulären Albumtracks. Sie bieten einen auch in dieser restaurierten Version noch sehr rohen Klangeindruck, vor allem die Becken von Moyses scheppern intensiv durch die Botanik und sorgen für ein vergleichsweise grelles Klangbild, zumal auch auf den Baß eher sekundäre Aufmerksamkeit gelegt wurde (ein „richtiger“ Bassist war ja sowieso nicht da). Es mag ja Leute geben, die auf genau sowas stehen, und für die könnten die Demosongs sogar interessanter sein als die regulären Einspielungen, zumal die Howard-Brüder trotz des schepprigen Klangbildes auch hier schon durchaus als fähige Musiker erkennbar sind und Francis interessanterweise hier und da einen Deut tiefer brüllt als in den späteren Fassungen. Die Spielzeiten der Demo- und der Albumfassungen unterscheiden sich jeweils etwas, und wer Freude an solchen archäologischen Erfassungsarbeiten hat, kann prüfen, ob sich nur im Tempo oder aber in einzelnen Songstrukturen etwas geändert hat. So ein klein bißchen schade ist’s schon, daß Francis in der richtigen Aufnahme etwa in „Freezing Torment“ eine Spur zu sehr auf Nummer sicher gegangen ist – hätte er das flirrende Riffing hier noch stärker classicmetallisiert, dann hätte er quasi den Göteborg-Death erfunden, Jahre vor diversen schwedischen Bands. Und den fast sphärisch anmutenden Gitarrensound der Demofassung von „The Deceived Ones“ gegen Minute 2 gab es auf dem Endprodukt auch nicht mehr – aber vielleicht hat ja Mikael Akerfeldt mal ein Exemplar des Demos zu hören bekommen. So kann sich auch hier die archäologische Arbeit als reizvoll erweisen, und wer nicht auf sowas steht und/oder das Geschepper als akustisch anstrengend empfindet, der programmiert seinen CD-Player halt einfach so, daß nach Song 8 Schluß ist. Allerdings braucht man auch für einen entsprechenden Genußfaktor des regulären Albums eine halbwegs vernünftige Anlage. Der Rezensent hat die CD auch mal in seinem nicht eben High-End-Standard aufweisenden Autoradio gehört, und da läuft schon in der Gitarrenarbeit der ersten acht Tracks (also der remasterten!) viel zu einem Klangbrei ineinander, während die heimische Stereoanlage deutlich differenziertere Klänge ausspuckt.


Roland Ludwig


Trackliste |
1 | Certain Accuracy | 5:36 |
2 | The Deceived Ones | 3:26 |
3 | Curse Of The Damned Cities | 5:38 |
4 | Beyond The Unknown | 4:30 |
5 | Freezing Torment | 5:05 |
6 | Massacre Of The Unborn | 4:59 |
7 | On The Burial Ground | 6:10 |
8 | Mortify | 3:48 |
9 | Certain Accuracy (Demo) | 5:51 |
10 | The Deceived Ones (Demo) | 3:31 |
11 | Curse Of The Damned Cities (Demo) | 5:59 |
12 | Beyond The Unknown (Demo) | 4:33 |
13 | Freezing Torment (Demo) | 5:15 |
14 | Massacre Of The Unborn (Demo) | 5:08 |
15 | On The Burial Ground (Demo) | 6:30 |
16 | Mortify (Demo) | 3:43 |
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Besetzung |
 Francis M. Howard (Voc, Git, B)
Moyses M. Howard (Dr)

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