Winter, Qual, Gewehre: Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera mit Brahms, Mahler und Schostakowitsch![]() ![]() ![]()
![]() Des 50. Todestages von Dmitri Schostakowitsch anno 2025 gedenkt man im Leipziger Gewandhaus mit einem umfangreichen Festival in der zweiten Maihälfte – aber auch wenn dort das komplette sinfonische Werk des großen Komponisten aufgeführt wird, bedeutet das durchaus nicht, dass das mitteldeutsche Gedenken dort exklusiv stattfindet. So ist auch ein Teil des 7. Konzertes der Saison 2024/25 des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera dieser Memorialarbeit gewidmet. Das Programm hebt allerdings mit der Altrhapsodie op. 53 von Johannes Brahms an, uraufgeführt übrigens fast exakt 155 Jahre zuvor im unweit von Gera gelegenen Jena. Als Text wählte Brahms drei Strophen aus Goethes Gedicht „Harzreise im Winter“ mit durchaus existentialistischem Anspruch, den Dirigent Ruben Gazarian (Foto) allerdings nicht überbetont – das einleitende Adagio ist düster, aber stößt den Hörer noch nicht in einen Schneehaufen. Altistin Kathrin Göring präsentiert sich akustisch durchaus gut durchsetzungsfähig, den Text muß man aber trotzdem im Programmheft mitlesen. Die Stimme wird quasi flächig ausgebreitet – ein Stilmittel, das sozusagen schon auf den zweiten Komponisten des Programms vorausweist, denn das pflegte Gustav Mahler im „Lied von der Erde“ noch viel intensiver. Ein Direktvergleich wäre trotzdem unfair: Das Stichwort „Menschenhaß“ setzt Brahms für seine Verhältnisse geradezu apokalyptisch um, bei Mahler eine Generation später wäre die gleiche Musik geradezu harmlos. Gazarian hält das Tempo übersichtlich, aber flüssig, und mit der Zeit verbessert sich sogar die Textverständlichkeit beim Sologesang. Analoges gilt leider nicht für den Konzertchor Rutheneum, der im Finale ins Geschehen eingreift, links oben auf der Empore steht, klanglich aber weitgehend im Abseits bleibt, obwohl Gazarian alles versucht, um ihn irgendwie einzubinden. Gut, dann muß sich der Hörer eben an ein paar anderen zauberhaften Momenten erfreuen, etwa den Pizzikati aus Harfe und Streichern oder dem schön ätherisch gelungenen Ausklang. Von Gustav Mahler gibt es danach nicht das „Lied von der Erde“, sondern das Adagio aus seiner 10. Sinfonie, den einzigen von deren fünf Sätzen, den der Komponist vor seinem frühen Tod noch nahezu komplett fertigstellen konnte, wobei das für Mahler-Verhältnisse auffällig dürr besetzte Schlagwerk schon von außen her klarmacht, dass hier vielleicht noch nicht alles final orchestriert bzw. instrumentiert war. Aber die Grundstruktur ist klar und hebt mit einer an diesem Abend etwas wackligen, aber farblich schön fahlen Bratschenlinie an. Der Fortgang gewinnt seine Dynamik u.a. aus ein paar winzigen Ausbrüchen, bis nach einem langen Weg das erste Hauptthema erreicht ist, in dem Gazarian das eigenartige Kunststück fertigbringt, dieses klanglich sehr zu verengen, ihm aber trotzdem Größe zu verleihen. Diese Dichotomie zieht sich durch die ganze Aufführung des immerhin knapp halbstündigen Satzes: Scherzoartige Einwürfe huschen quasi verschleiert vorbei, die Quälerei des Hörers, die die Quälerei des Komponisten (geplagt von Ehe- wie Gesundheitsproblemen) reflektiert, bleibt mäßig intensiv und stößt den Hörer nicht gen Abgrund, in den der Komponist dann kurze Zeit später fiel. Auch der markante „Schrei“ der gequälten Seele kommt in Gazarians Lesart nicht unbedingt laut, aber mit einer durchdringenden Intensität daher, die dann schrittweise zum Frieden zurückgeführt wird, wobei auch die finalen Ausbrüche im großen Gestus dieser Aufführung bleiben. Die vermutlich angestrebten Transparenzgrade werden nach hinten heraus nicht ganz erreicht, aber das geht als Jammern auf hohem Niveau durch – eine interessante Interpretation wird mit viel Applaus belohnt. Es ehrt die Programmplanungsfraktion am Altenburg-Geraer Theater, dass für das Schostakowitsch-Gedenkkonzert keiner der bekannten Sinfonie-Hits wie die Fünfte oder die Zehnte gewählt wird – statt dessen steht die Sinfonie Nr. 12 d-Moll op. 112 an, eine derjenigen, die der Rezensent noch nie live gehört hat und die eher selten auf den Programmen auftaucht, weil man sie oberflächlich betrachtet für pure kommunistische Propaganda halten könnte: „Das Jahr 1917“ lautet ihr Untertitel, und die vier allesamt direkt ineinander übergehenden Sätze beschreiben Geschehnisse aus dem Jahr der Oktoberrevolution und drumherum, so jedenfalls die offizielle Lesart. Aber Schostakowitsch wäre nicht Schostakowitsch, wenn er nicht auch hier etliche Fußangeln ausgerollt hätte – und einem an der sowjetischen Peripherie aufgewachsenen Dirigenten wie dem Armenier Ruben Gazarian ist von vornherein zuzutrauen, dass er weiß, wo die doppelten Böden lauern. Also hinein ins Jahr 1917! Vor der Oktober- gab es da bekanntlich schon eine Februarrevolution, aber der erste Satz „Revolutionäres Petrograd“ setzt noch vor dieser ein und malt die gärende Stimmung prima an die Wand. Tiefe Streicherlandschaften vermitteln alles andere als Ruhe, gekonnte Bläsereinwürfe (u.a. ein herrisch anmutendes Fagott) wandern hin und her, und so eine fiebrige Unrast akustisch umzusetzen ist gar keine leichte Aufgabe – es soll ja nicht wie eine fahrige Interpretation wirken. Diese Schwierigkeit meistern Gazarian und „sein“ Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera aber problemlos, ebenso wie die Plastizität der kämpferischen Auseinandersetzungen, die sich immer wieder mit scheinbarem Frieden abwechseln. Und ja, dort sind sie, die ersten Doppelbödigkeiten: Die großen Unisoni kann man als Bekenntnis zur Arbeitereinheit, aber auch als Kollektivzwang deuten. Den großen Kampf nimmt der Dirigent jedenfalls schon recht voluminös, ehe der Satz planmäßig verebbt ... ... und „Razliv“ Platz macht. Das ist sozusagen der pastorale Satz, auch wenn sich Lenin im Sommer 1917 natürlich nicht ganz freiwillig aufs Land zurückgezogen hatte – wieder eine prima Gelegenheit für musikalische Doppelbödigkeit, die Schostakowitsch mit angedüsterter, wenig idyllischer Atmosphäre umsetzt, wofür er in Gazarian einen gelehrigen Interpreten findet. Nur der Blechchoral bleibt ohne Ironie und läßt wenigstens ein wenig Geborgenheit aufkommen, ehe sich allmählich die Atmosphäre wieder verfinstert und ein spannend-düsterer Übergang ... ... in „Aurora“ führt, was, wie jedes DDR-Kind weiß, der Name des Panzerkreuzers war, dessen Schuß im Herbst 1917 (in Petrograd galt noch der julianische Kalender, daher war dort noch Oktober, in der den gregorianischen Kalender verwendenden Welt hingegen schon November) das Signal zum Sturm aufs Winterpalais als „Kernstück“ der Oktoberrevolution gewesen sein soll. Bis es soweit ist, herrscht aber weiter düster-gärende Atmosphäre, ehe eine große Steigerung zum Kampf führt, der nicht zuletzt von den sechs Schlagwerkern intensiv in Szene gesetzt wird. Der nächste Ironiefaktor aber kommt gleich um die Ecke, wenn man so will: Der anschließende Triumphpart ist nämlich ziemlich knapp bemessen – die Revolutionäre hatten schnell bemerkt, dass vor ihnen ein Haufen Arbeit und riesige Schwierigkeiten lagen, so dass zunächst niemandem groß zum Feiern zumute war ... ... und auch die im vierten Satz dargestellte „Morgenröte der Menschheit“ erstmal lange vor sich hin laviert. Der kurze Unisono-Militärmarsch wird von drei Paukenschlägen abgewürgt, bevor sich tatsächlich eine positivere Stimmung breitmacht. Aber auch die kippt schnell, und zwar in für manchen unbedarften Hörer vielleicht unerwartete Richtung: Man kennt das aus dem Finale der Fünften, wo der Jubel erzwungen wird – und das hier im Finale der Zwölften ist, jedenfalls in Gazarians feinsinniger Lesart (die der Deutung im Programmheft phasenweise diametral entgegensteht), die Steigerung dieses erzwungenen Jubels im Angesicht von Gewehrmündungen, vor Ironie nur so triefend, zumal die Große Trommel im Finalbombast alles vernichtet, was sich ihr akustisch in den Weg stellt. Dirigent und Orchester ernten viel (unerzwungenen und doch zwangsläufigen) Jubel für diese erwartungsgemäß hochinteressante Deutung, und der Rezensent pfeift beim Verlassen des Theaters fröhlich das Invasionsthema aus der Siebenten vor sich hin, was immer ein Zeichen für eine gelungene Aufführung einer Schostakowitsch-Sinfonie ist. ![]() Roland Ludwig ![]() ![]() ![]() |
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