Schmerzvoller Abschied von DT 64 – oder wie ein Stück kulturelle Heimat verloren ging![]() ![]() ![]() ![]() Power von der Eastside! beschäftigt sich in über 30 Einzelbeiträgen mit dem Jugendsender DT64, der in der DDR-Medienlandschaft eine einzigartige Stellung hatte. Die Vielzahl der Beiträge erlaubt dabei sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Chancen, Grenzen und die Bedeutung dieses Senders einzunehmen. Power von der Eastside! ist allerdings nur punktuell ein neues Buch. Es „basiert zu großen Teilen auf dem Buch `DT64. Das Buch zum Jugendradio 1964-1993´, das 1993 im Leipziger Thom-Verlag erschien“. (S. 4) Dabei wird leider nicht immer gleich deutlich, ob es sich bei den einzelnen Beiträgen um historische oder aktuelle Artikel handelt. Einen großen Raum nimmt die Auseinandersetzung damit ein, wie DT64 nach der Wende nach und nach eingestampft und abgewickelt wurde. Dabei spielt die Verarbeitung geradezu existentieller Verlusterfahrungen bei vielen Autoren eine große Rolle. DT64 war für viele HörerInnen offenkundig ein überragend wichtiges Stück kultureller Heimat, das spätestens vier Jahre nach dem Fall der Mauer praktisch nicht mehr existierte. Was DT64 eigentlich war, ist gar nicht so einfach zu sagen, da sich der Charakter dieses Rundfunksenders, bzw. dieser Rundfunksendung, bzw. dieser Redaktion mehrfach geändert hat. Gestartet als zeitlich befristeter Begleitsender eines Jugendfestivals im Mai 1964 wird DT64 zur Institution in der DDR, die es schafft, sich Freiräume zu erkämpfen, die in der DDR-Medienlandschaft eigentlich nicht vorgesehen waren. Dadurch konnte DT64 - ähnlich wie die Kirchen - in den letzten Monaten und Jahren der DDR zur Begleitung und zum Mitgestalter (sicher nicht zum Motor) der gesellschaftlichen Veränderungen werden, die letztlich das Ende dieses Staates nach sich zogen. Dabei mussten sich die MacherInnen von DT64 beständig mit der Schere im Kopf herumschlagen, was man gerne sagen und senden würde und was man besser nicht tat, um den eigenen Status nicht zu gefährden. Auch hier gibt es große Parallelen zur Situation der DDR-Kirche. Über die eigentliche Arbeit von DT64 weiß ich nach der Lektüre dieses Buches nicht viel mehr als früher. Aber das mag daran liegen, dass ich als Wahl-West-Berliner selbst vor dem Tape-Deck saß und Pa-Rock-Ti-Kum Bands, die anderen Bands oder die komplett gespielten Alben von „West“-Bands mitgeschnitten habe. Bis heute habe ich MCs mit Aufnahmen von den Skeptikern, den anderen, aber auch Ozzys No Rest for the Wicked, Europes Out of this World oder Roxettes Look sharp, sowie ein Rio Reiser-Konzert (noch mit Original-“Ost“Interview) im Regal stehen, die mir DT64 einst frei Haus geliefert hatte. Was ich in der Wende-/Nachwende-Zeit nicht wirklich mitverfolgt habe, ist der Kampf um den Erhalt von DT64, auf den Power von der Eastside! den deutlichsten Schwerpunkt legt. Es ist auch im Nachhinein noch mitreißend und begeisternd, wenn man von all den Aktionen, den Demos, den Sondersendungen, den Unterschriftenaktionen, den Besetzungen und Gesetzesinitiativen liest. Man erlebt das fast so, als lese man von Woodstock, den frühen Beatles-Konzerten, oder anderen unwiederbringbaren Ereignissen, bei denen man sich sagt: Da wäre ich gerne dabei gewesen. Was mir an verschiedenen Stellen fehlt, ist der eine oder andere Blick aus der Distanz. Streckenweise liest sich Power from the Eastside! wie ein Karl May-Roman, in dem die „guten Indianer“ von den bösen gierigen Weißen fertiggemacht, betrogen und über den Tisch gezogen werden. Nur gelegentlich zeigt sich mehr zwischen den Zeilen, dass auch die West-Aktiven etwas hilflos zwischen den West-Gesetzen, die nun auch in der DDR galten, die sich Hals über Kopf der BRD angeschlossen hatte, und der Ost-Situation hin und her schwankten. Das ergab offenbar eine höchst labile Situation, in der die unterschiedlichsten Interessengruppen versuchten, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Insgesamt ein spannendes Stück Kultur-, Radio- und Zeitgeschichte, das aber nur nach und nach verständlich wird, da es keinen Beitrag gibt, der die Geschehnisse in ihrer historischen Abfolge im Überblick darstellt. ![]() Norbert von Fransecky ![]() ![]() ![]() |
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