Cathedral

Forest Of Equilibrium


Info
Musikrichtung: Doom Metal

VÖ: 2018 (06.12.1991)

(Earache)

Gesamtspielzeit: 54:10

Internet:

http://www.earache.com


Nach dem 1988er Album From Enslavement To Obliteration verließ Lee Dorrian Napalm Death, weil deren Stil seine Kreativität zu sehr einengte. Dass er allerdings von einem Extrem ins andere verfallen würde, also nach seinem Ausstieg bei einer der damals schnellsten Bands der harten Szene eine der damals langsamsten gründen würde, dürfte kaum jemand erwartet haben, zumal zwei seiner neuen Mitstreiter von Acid Reign kamen, einer Thrash-Band, die auch nicht gerade durch geringes Tempo auffällig geworden war. Zwei Demos lieferten einen Vorgeschmack, und einige ihrer Songs landeten letztlich auf dem am Nikolaustag 1991 veröffentlichten Debütalbum Forest Of Equilibrium des auf den Namen Cathedral getauften Quintetts.
Ob Lee Dorrian bewußt war, dass es in den Spätsiebzigern und Frühachtzigern bereits in den USA eine Band namens Cathedral gegeben hatte, ist unklar – musikalische Einflüsse von ihnen, die sich eher am komplexen Progrock der Marke Yes orientierten, dürfte es allerdings zumindest damals nicht gegeben haben, wenngleich auch Dorrians Truppe in den Siebzigern wilderte und den an den klassischen Black Sabbath orientierten Doom Metal nicht nur revitalisierte, sondern ihm neue Facetten hinzufügte, nachdem die eher wenigen Doombands der Achtziger hauptsächlich das Genre des Epic Dooms gepflegt hatten, angeregt durch die seinerzeitigen Genreführer Candlemass. Dorrian hingegen brachte von Napalm Death den finster grollenden Gesangsstil mit, so dass Cathedral somit zu Erfindern des sogenannten Doomdeath wurden, zumal auch die Gitarrenarbeit von Gaz Jennings und Adam Lehan von der Harmonik her einige Einflüsse aus dieser Richtung bezog – falls die beiden mit dem frühen finnischen Death Metal vertraut gewesen sein sollten, könnte aus dieser Richtung eine Einflußlinie gekommen sein, wenn man sich beispielsweise mal die alten Abhorrence-Aufnahmen anhört. Auch die parallel ihren Stil (weiter)entwickelnden Paradise Lost liegen zu dieser Zeit ideentechnisch nicht weit von Cathedral entfernt et vice versa. Eine urban legend späterer Jahrzehnte stellt hingegen dar, Cathedral seien Miterfinder des Funeral Dooms gewesen – dafür ging die Truppe schlicht und einfach nicht langsam genug zu Werke, jedenfalls nicht über die gesamte Albumstrecke. Zwar finden sich beispielsweise mit dem instrumentalen Intro von „Serpent Eve“ knapp anderthalb Minuten Musik auf dem Album, die auch auf ein Funeral-Doom-Album gepaßt hätten, aber Mike Smails Schlagzeugarbeit wird lebendiger, sobald Dorrians Gesang einsetzt – und das ist eine der Nummern, wo der Sänger schon andeutet, dass er sich künftig vom deathmetallischen Gegrunze wegbewegen will, welches er in einigen Songs gelegentlich noch einsetzt. Aber hier wirkt die brüchig-verhallte Stimme so, als ob er noch nicht richtig wüßte, was er mit ihr anstellen solle, sozusagen noch suchend und tastend. Da ist er im folgenden „Soul Sacrifice“ schon weiter, auch in der Gesamtbetrachtung des Musikstils – hier haben wir eine Frühform des Stils vor uns, der auf dem Folgealbum The Ethereal Mirror mit „Ride“ und „Midnight Mountain“ seine Perfektionierung erleben sollte und mit dem viele heutige Hörer den Namen Cathedral verbinden, nicht zuletzt auch durch den völlig schräg-bunten Videoclip zu „Midnight Mountain“, der seinerzeit immer mal in MTV’s Headbanger’s Ball lief: Disco Doom beliebte man mit einem gewissen Augenzwinkern diesen oft flott dahinrockenden, groovigen, mit nur leicht angerauhten „normalen“ Metal-Vocals versehenen Stil zu nennen, zu dem man gepflegt das Tanzbein schwingen konnte und der wiederum eine Parallele im sich gerade entwickelnden Stoner Rock fand. Besagtes „Soul Sacrifice“ findet sich in einer zwei Minuten längeren und den Rockfaktor noch ein wenig ausbauenden Neueinspielung auch auf einer im Folgejahr 1992 erschienenen EP, als deren Titeltrack es fungiert, ein Bindeglied zu The Ethereal Mirror bzw. dessen beiden Vorabsingles Ride und Grim Luxuria darstellend, die das seinerzeitige Spektrum nochmal klar absteckten, da es sich bei zweitgenannter um eine der doomdeathiger orientierten Nummern des Albums handelt. Prototyp für diese Ausrichtung ist freilich „A Funeral Request“, der wohl am konsequentesten in dieses Areal vorstoßende Track des Debütalbums, wobei auch dieser freilich nicht nur durch die Botanik schleicht, sondern von Smail mit auflockernden Fills versehen wird, und der Tempoausbruch ab Minute 6 sorgt wieder mal für einen Gedanken an finnischen Death Metal. Die Legende von Forest Of Equilibrium als außerhalb von „Soul Sacrifice“ konsequent langsam ausgerichtetem Album hat freilich schon der mit dem Intro „Picture Of Beaty And Innocence“ in einem Track vereinigte Opener „Comiserating The Celebration“ zerstört, der sein anfängliches niedriges Tempo nach nicht einmal zwei Minuten durch eine markante Verschärfung zumindest in Richtung unteres Midtempo verschiebt. Dafür hat das Intro als zusätzliches und eher ungewöhnliches Element von Helen Acreman beigesteuerte Flötenklänge eingeführt, die dann später im Albumcloser „Reaching Happiness, Touching Pain“ eine tragendere Rolle entfalten, allerdings ebenso wie die dortigen sitarartigen Halbakustikelemente in der frühen Entwicklung der Band singulär bleiben und damit den Charakter von Cathedral zu dieser Zeit als Suchende abermals unterstreichen, die noch nicht wissen, wo sie sich stilistisch verankern wollen, und die entscheidenden Ankerpunkte dann erst mit The Ethereal Mirror finden.
Interessanterweise ist auf diesem Debütalbum noch nicht Dorrian Haupttexter der Band, sondern Bassist Mark Griffiths, dessen dunkelromantische Lyrik doch etwas von Dorrians späterem obskurem Stil abweicht. Nicht geändert hat sich allerdings die Optik – schon das Debüt markiert die erste Zusammenarbeit Cathedrals mit Dave Patchett, die bis zur Bandauflösung knapp 25 Jahre später bestehen bleiben sollte und hier auf dem Debüt eine kuriose Figurenwelt offenbart, die nicht zu Unrecht mit Hieronymus Bosch verglichen wurde. Der auf dem Cover zu sehende Teil bildet nur eine Hälfte des Originalgemäldes, die Nachtseite – die Tagseite hingegen findet man im vorliegenden Re-Release unter dem Cleartray. Musikalisch besteht diese Pressung nur aus den sieben Songs des Originals, während zwischenzeitliche Re-Releases bisweilen die vier Songs der Soul Sacrifice-EP als Beigabe serviert bekommen hatten. Auch sonst ist die 2018er Aufmachung extrem spartanisch: Man bekommt einen Digipack mit der CD im Cleartray, mit einem Bandfoto auf der dem Tray gegenüberliegenden Seite und einem weiteren (beide übrigens nur ein Quartett zeigend – möglicherweise fehlt da Drummer Smail, der das Debüt nur gasthalber einspielte und ansonsten bei den US-Amerikanern Penance trommelte, deren Debütalbum The Road Less Travelled Dorrian 1992 auf seinem eigenen Label Rise Above Records veröffentlichte) auf dem Backcover, woselbst sich auch die Tracklist findet samt dem Hinweis, die Texte gäbe es auf earache.com/lyrics nachzulesen – die Pressung kommt ohne ein Booklet aus und wirkt beinahe bootlegartig, ist aber offensichtlich tatsächlich ein offizieller Earache-Release. Wer das Original schon hat, muß also nicht erneut zugreifen – der Erwerb lohnt sich vor allem für Metalhistoriker, die Cathedrals auf durchaus hohem Niveau stattfindende Stilsuche nachvollziehen wollen, während Einsteiger erstmal den klarer strukturierten Nachfolger „The Ethereal Mirror“ antesten sollten.



Roland Ludwig



Trackliste
1Picture Of Beauty And Innocence (Intro)/Comiserating The Celebration11:15
2 Ebony Tears7:45
3 Serpent Eve7:40
4 Soul Sacrifice2:55
5 A Funeral Request9:17
6 Equilibrium6:07
7 Reaching Happiness, Touching Pain9:10
Besetzung

Lee Dorrian (Voc)
Gaz Jennings (Git)
Adam Lehan (Git)
Mark Griffiths (B)
Mike Smail (Dr)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>