Musik an sich


Reviews
Monteverdi, C. (Christie)

L’incoronazione di Poppea


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 06.04.2012

(Virgin / EMI / 2 DVD / 2010 / Best. Nr. 07095191)

Gesamtspielzeit: 180:00



EROTIK IM ANTIKEN KÜHLFACH

Es ist ein Meisterstück der Affektkolorierung, was William Christie und Les Arts Florissants hier bieten. Mit einem exzellenten SängerInnen- und InstrumentalistInnen-Team wird Claudio Monteverdis rund 400 Jahre alte Oper kongenial interpretiert. Drei Stunden pralles Musiktheater! Nur 17 Musiker sind im Orchestergraben. Für die Melodiestimmen der Ritornelle stehen zwei Violinen, drei Blockflöten und zwei Zinken zu Verfügung, was von den Interpreten für angemessene Farbvariationen genutzt wird. Da Christie auf die Ergänzung der Partitur durch Zwischenmusiken verzichtet, ist diese Abwechslung willkommen. Der Klang des Ensembles ist fein, glänzend, seidig. Pointiert und fantasievoll agiert das Continuo-Ensemble.
Die SängerInnen wechseln stufenlos zwischen erregter rezitativischer Deklamation und leidenschaftlichen ariosem Melos. Da bei Monteverdi noch alles von der Sprache und dem gesungenen Wort her gedacht ist, geht diese ausdrucksvolle Aufladung auch kleiner Phrasen wunderbar auf. Hier ist alles leidenschaftliche Rede, klangvolle Darstellung in unzähligen Nuancierungen. Da wird gehöhnt, gelitten, gespottet, verführt, lustvoll gestöhnt, salbadert und gescherzt, auf dass das pralle Leben sich auf der Bühne abbilde. Danielle de Niese ist eine ebenso erotische wie durchtriebene Poppea; ihr volles, blühendes Organ steht in spannungsvollem Kontrast zu Philippe Jarousskys Falsett-Mezzo. Jaroussky legt Nero als verwöhntes, triebhaftes Kind an, dessen unmittelbare Sinnlichkeit und Erotomanie allerdings verführerisch wirken. Max Emanuel Cencic begehrt und leidet als Ottone nicht minder überzeugend, wenngleich sein Spiel manchmal etwas steif wirkt. Großartig in der Mischung aus tragischer Gebrochenheit und Hass die Ottavia der Anna Bonitatibus. Antonio Abete gelingt es, die Janusgesichtigkeit des eitlen Predigers Seneca gleich beim ersten Auftritt zu offenzulegen. Komisch, ohne lächerlich zu wirken, sind auch die beiden Ammen mit Tenören besetzt. Es ist dieser gelungene Spagat zwischen Komik und Tragik, Erhabenheit und Abgründigkeit, die diese Produktion auszeichnet.

Die Inszenierung von Pier Luigi Pizzi schafft dafür einen stilisierten Rahmen aus kühler, antikisierender Mamorpracht: eine dekadente Kunstwelt, die nur von den Gefühlsäußerungen der Protagonisten erwärmt wird. Kaltes Schwarz-Weiß dominiert nicht nur die Architektur, sondern auch die Kostüme der Figuren, deren Brokatglanz aber ebenfalls wie gefroren wirkt. Nero wird als vampirischer Raubvogel inszeniert - etwas zu viel gothic horror. Die Personenführung ist nicht auf die Nahsicht einer DVD-Produktion angelegt; da gerät auf der großen Bühne manches doch recht holzschnittartig mit Gesten wie aus dem frühen Stummfilm. Mitunter ist man daher versucht, einfach das Bild abzustellen und nur der Musik zu lauschen.
Die Ausstattung der DVD ist mit einem einfachen Flyer mit den Besetzungsangaben denkbar schlicht. Nicht einmal eine Trackliste gibt es.

Fazit: Eine musikalisch mustergültige, ja maßstäbliche Produktion mit einer weitgehend konventionellen, aber dafür auch diskreten Inszenierung.



Georg Henkel



Besetzung

Danielle de Niese: Poppea
Philippe Jaroussky: Nero
Anna Bonitatibus: Ottavia
Max Emanuel Cencic: Ottone
Antonio Abete: Seneca
Ana Quintans: Drusilla
Robert Burt: Arnalta
José Lemons: Amme
u.a.

Les Arts Florissants

William Christie: Cembalo, Orgel, Regal & Leitung


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