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Gabrieli Consort

A Song of Farewell – Music of Mourning & Consolation


Info
Musikrichtung: Chormusik

VÖ: 1.4.2012

Winged Lion (Signum) / Note 1 / DDD / 2009 / Best. Nr. SIGCD281

Gesamtspielzeit: 76:55

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Gabrieli Consort



UNGEBROCHEN

Kontrastreicher kann man den Start einer CD-Reihe kaum gestalten: Bei ihrem hauseigenen Label haben Paul McCreesh und sein Gabrieli Consort zunächst eine in jeder Hinsicht bombastische Interpretation des Berlioz-Requiems (vgl. MAS-Review) vorgelegt. Nun folgt eine intime, zurückhaltende Produktion. „Music of Mourning & Consolation“ ist sie untertitelt und vereint A-capella-Chorwerke englischer Komponisten vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Einmal mehr mag der Kontinentaleuropäer darüber staunen, in welch ungebrochener Traditionslinie sich die Kirchenmusik auf den britischen Inseln noch immer fortentwickelt. Exemplarisch deutlich wird dies in den beiden Vertonungen von „Drop, drop, slow tears“, die den Auftakt der CD bilden. William Waltons Komposition lebt vollständig unverblümt aus dem Geist der rund 400 Jahre älteren Komposition von Orlando Gibbons, wenngleich sie aus vergleichbarem Material mit modernen Mitteln nach und nach ein dramatischeres, subjektiv gefärbteres Stück entwickelt. Auch die weiteren Gegenüberstellungen der Tracks Nummer 3 und 4 bzw. Nummer 5 und 6 lassen solche Linien erkennen.

Im Zentrum der Produktion jedoch steht Herbert Howells (1892-1983) Requiem, das im Jahre 1980 publiziert wurde, aber bereits wesentlich früher entstanden ist. Howells, der die Arbeit an dem Werk vor dem Tod seines Sohnes im Jahre 1935 begonnen, es dann aber unter dem Eindruck dieses Schicksalsschlages lange zurückgehalten hatte, verwendet eine Tonsprache, die in ihrer sublimen, harmonisch sich im Ungefähren bewegenden Satztechnik genau jenen schwebenden Charakter aufweist, der für die englische Chormusik prägend ist. Das ist weniger ein Ausdruck von Leichtigkeit als ein Verweis auf das Jenseitige, mal fragend, mal zuversichtlich gefärbt. Das im übrigen Europa so gerne drastisch ausgemalte Drohszenario der Apokalypse ist der Insel eben stets fremd geblieben.

Jene Schwebungen sind es denn auch, die das Gabrieli Consort höchst delikat herauszuarbeiten weiß. Die dynamischen Abstufungen nimmt McCreesh gewohnt feinsinnig vor. Der sängerische Vortrag ist von berückender, manchmal trotz aller Intonationssicherheit fast zerbrechlich wirkender Zartheit, die nur sehr partiell von dramatischem Krafteinsatz durchbrochen wird. Obwohl die Aufnahme mit viel Hall versehen ist und sich dabei ein wenig zu sehr mit der Attitüde der Meditations-CD umgibt, bleibt das Stimmengeflecht überwiegend transparent. Die langsamen Tempi dürften indes nur zum Teil den akustischen Rahmenbedingungen geschuldet, im Übrigen aber als Stilmittel bewusst gewählt sein.

Eine programmatisch kluge, künstlerisch überzeugende und nicht zuletzt eine Produktion, die menschlich berührt und die Überzeitlichkeit des Themas sensibel abbildet: Gerade in ihrer Subjektivität erscheinen Tod und Trauer, sowie die Verarbeitung des Themas hier als einender und durch die Jahrhunderte verbindender Topos.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1 Orlando Gibbons (1583-1625): Drop, drop, slow tears 02:00
2 William Walton (1902-1983): Drop, drop, slow tears 04:25
3 Robert White (1583-1574): Christe, qui lux es dies 04:29
4 James MacMillan (1959-): A child´s prayer 04:12
5 John Sheppard (1515-1550): Im manus tuas 04:05
6 Jonathan Dove (1959-): Into thy hands 08:14
7 Thomas Morley (1557-1602): Funeral Sentences 10:16
8 Edward Elgar (1857-1934): They are at rest 03:31
9-14 Herbert Howells (1892-1983): Requiem 24:01
15 Hubert Parry (1848-1918): Lord, let me know mine end 11:42
Besetzung

Gabrieli Consort

Paul McCreesh: Ltg.



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