Musik an sich


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Brahms, J. (Gardiner)

Ein deutsches Requiem


Info
Musikrichtung: Romantik Oratorium

VÖ: 16.03.2012

(Soli Deo Gloria / Harmonia Mundi / CD / DDD live / 2011 / Best. Nr. SDG706)



INTENSIV

Mit dieser 2008 entstandenene Live-Einspielung von Johannes Brahms Deutschem Requiem macht sich J. E. Gardiner gewissermaßen selbst Konkurrenz. 1990 erschien bereits beim Label Philips eine vielbeachtete Aufnahme, ebenfalls mit dem stupenden Monteverdi Choir und dem exzellenten Orchestre Revolutionaire et Romantique, das auf Instrumenten der Brahmszeit spielt. Diese Studioproduktion zeichnete sich durch ein ausgesprochen feines und transparentes, allerdings auch distanziertes Klangbild mit Pianissimo-Phasen nahe an der Hörbarkeitsgrenze aus. So perfekt ausbalanciert und unangestrengt hatte man das Werk bis dahin kaum je gehört. In den Soli überzeugten Charlotte Margiono und James Gilfry.

Achtzehn Jahre später nun erscheint als Abschluss des Aufsehen erregenden Brahms-Zyklus eine neue Produktion auf Gardiners eigenem Label Soli Deo Gloria. Und wie schon bei den Sinfonien ergänzen barocke Chorwerke das Programm, in diesem Fall zwei Motetten von Heinrich Schütz auf Texte, die Brahms auch seinem Requiem zugrunde gelegt hat.
Beim Requiem fasziniert, wie organisch Brahms barocke Satztechniken und Rhetorik mit dem romantisch-sinfonischem Gestus und Klangmöglichkeiten seiner Zeit verschmolzen hat. Da die neue Aufnahme viel direkter und starkfarbiger aufgenommen wurde, lässt sich die Anlehnung an die historischen Vorbilder – auch die an Händel gemahnende Klangpracht in den Fugen, mit denen drei Sätze des Requiems schließen – viel nachdrücklicher heraushören. Sowieso liegt die Stärke dieser Neuproduktion in der Intensität und Farbigkeit des Klanges. Gardiner orientiert sich zwar an klassischen Klangbildern – Haydn, Beethoven – und vermeidet alle Wagnerisierungen, mit denen man Brahms Musik so oft eingedickt hat. Das Orchesterspiel wirkt im Vergleich zur alten Produktion aber wesentlich plastischer und die Aufgipfelungen werden intensiv ausgespielt, ohne den Ausdruck gleich wieder hyperromantisch zu überziehen. Auch ist die Phrasierung biegsamer, die Gestaltung der Tempi nimmt sich entspannter aus und kleine Rubati sorgen für ein organisches Fließen. Der Chor singt bewundersnwert präzise, klingt aber wärmer als auf der früheren Aufnahme.
Auch die Solisten überzeugen. Katherine Fuges in der Höhe etwas schmaler Sopran ist sehr gut verständlich, klingt aber weniger ‚mütterlich’ als derjenige von Charlotte Margiono; Matthew Brooks zeichnet sich ebenfalls durch gute Textdiktion aus; Brooks Bariton verfügt über eine große Farbigkeit, mit der der Sänger den Ausdruck zu einer manchmal etwas opernhaften Emphase steigert.

Der vielgerühmte Trost, den die Musik verbreitet, wird dem Hörer nicht vorenthalten, aber die dunklen, tragischen Momente ebenso wenig. In dieser Vielschichtigkeit ist diese Produktion ein echter Gewinn, die auch mit den besten konventionellen Einspielungen ohne weiteres konkurrieren kann.



Georg Henkel



Trackliste
101 Schütz: Wie lieblich sind deine Wohnungen SWV 29
2 02 Schütz: Selig sind die Toten SWV 391
3 03-09 Brahms: Ein deutsches Requiem
Besetzung

Matthew Brook: Bariton

Monteverdi Choir
Orchestre Revolutionaire et Romantique

J. E. Gardiner: Leitung


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