Musik an sich


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Mozart, W. A. (Correntzis)

Requiem


Info
Musikrichtung: Klassik Geistliche Musik

VÖ: 01.04.2011

(Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2010 / Best. Nr. Alpha 178)

Gesamtspielzeit: 46:32



EINE OPER ÜBER DEN TOD

Eine neue Referenzeinspielung? Nun, zumindest eine Aufnahme von W. A. Mozarts Requiem, die einen das Werk neu entdecken lässt. Teodor Currentzis stand bei der Produktion am Pult des Kammerchors und des auf historischen Instrumenten spielenden Kammerorchesters der Oper von Novosibirsk. Und ähnlich wie bei Henry Purcells Opernfragment Dido and Aeneas legt er eine aufrührerische, gewisse Manierismen nicht verschmähende Lesart vor, die das unendlich oft eingespielte Stück ungewöhnlich und manchmal spektakulär klingen lässt.

Die Süßmayr-Fassung wird kammermusikalisch konzentriert und eher konzertsaalmäßig trocken dargeboten. Zwar ist die Dynamik durchaus weit gestaffelt, doch vermeidet Currentzis den sinnlich-süffigen Klang, den nicht nur die traditionellen, sondern auch andere Originalklangensembles durchaus vorlegen, gerne auch im Kirchenschiff.
Irgendwie klingt es häufig alles wie sotto voce, also mit gedämpfter Stimme gesungen und gespielt. Dieser Eindruck verdankt sich einer peniblen Artikulation vor allem bei den Streichern, die auch geräuschhafte Effekte nicht verschmähen. Der Herbheit und gelegentlichen Schärfe der Saiteninstrumente stehen die warmen Holzbläserfarben, vor allem die der sanglichen Bassetthörner, sowie die dunklen, schweren Posaunentöne und Paukenklänge gegenüber.
Aus diesen Zutaten gewinnt Currentzis eine breite Palette an Farben und Schattierungen. Der etwas distanziert aufgestellte und darum nicht immer ganz durchschlagskräftige Chor trägt diesen Ansatz mit. Das Spektrum reicht von nahezu gehauchten Passagen über scharf skandierte Töne bis hin zu engelhaft leuchtenden Momenten. Die SolistInnen fügen sich hier nahtlos ein – ebenmäßiger Schönklang ist hier kein Selbstzweck um jeden Preis.

Dies alles steht im Dienst einer ungemein plastischen Textausdeutung, die jegliche vordergründige, sentimentale Beruhigung zu vermeiden sucht. Hier geht es um das Drama des Lebens und des Todes. So entsteht ein Kaleidoskop von Stimmungen, die in ihrer Dichte mitunter die Gerichtsvision des Don Giovanni beschwören. Eine Interpretation im Geiste der Romantik von E. T. A. Hoffmann! Selten klang die dissonanzreiche Chromatik des Werks so düster, verschattet, auch schroff.
Auch das „Requiem“ ist offenkundig eine Theatermusik, eine späte Mozart-Oper über Sterben, Tod, Gericht und Erlösung. Ob es allerdings nötig war, nach dem Lacrimosa, bei dem Mozarts ausgearbeitete Partitur ja abbricht, als Effekt Messglöckchen und eine sphärisches Fugato der Sopran einzubauen? Offenbar sollte hier markiert werden, dass das Werk zunächst unvollendet geblieben war und posthum von Mozarts Schüler Süßmayr fertig gestellt wurde. Oder soll man gar das Entfleuchen der Komponistenseele aus dem Werk imaginieren? Dafür sind Süßmayrs Ergänzungen dann doch zu sehr von Mozarts Geist durchdrungen, "authentisch".



Georg Henkel



Besetzung

Simone Kermes: Sopran
Stéphanie Houtzeel: Alt
Markus Brutscher: Tenor
Arnaud Richard: Bass

The New Siberian Singers
Musica Aeterna

Teodor Currentzis: Leitung


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