Musik an sich


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Stilwechsel; eine solide Landung und alles andere als ein Absturz – The Story of HOELDERLIN, Kapitel 7



Hoelderlin

New Faces



Info
Musikrichtung:Melodic Prog

VÖ: 08.02.2007 (1979)

(EMI)

Gesamtspielzeit: 39:02

Internet:

http://www.hoelderlin.com



Mit dem Live-Album `Traumstadt' ist die Band Hoelderlin für viele Hardcore-Fans an ihr Ende gekommen. Die Geschichte der Band geht aber vor dem Split noch für zwei Alben weiter. Das erste davon heißt völlig zu Recht `New Faces'.

Das mit den neuen Gesichtern kann man erst mal ganz wörtlich nehmen. Nur Hans Bäär und Joachim Grumbkow bleiben an Bord. Dazu kommt der Gitarrist Rüdiger Elze, Keyboarder und Gitarrist Tommy L’Ohr und Eduard Schicke, der bislang bei SFF (Schicke Führs Fröhling) sanft die Drumsticks geschwungen hatte.

In einer Zeit, in der Punk und New Wave die alten, bislang verehrten, nun als Rock-Dinosaurier verspotteten Art-Rock-Götter der 70er von den Bühnen jagten, bemühten sich auch Hoelderlin um ein neues Erscheinungsbild. Christian Grumbkow, der der Band immer noch als Texter und Manager zur Verfügung stand und auch für das äußere Erscheinungsbild verantwortlich zeichnete, diktierte es dem Journalisten Rainer M. Schröder in die Maschine, als er die Band während der Aufnahmen zu New Faces in Conny Planks legendärem Tonstudio im Bergischen Land besuchte.

„Das neue Konzept sieht so aus, dass wir nicht mehr so einen ausufernden jazz- und sound-orientierten Rock spielen wollen, sondern einen erdgebundenen, direkteren, melodischen Rock, der körperbetont ist, das ist besonders wichtig. Rock, den man gut anhören kann, der ehrlich und nicht so intellektuell ist.“ Eine Abkehr vom Musikstudentenbewusstsein, mehr in Richtung Unterhaltungsmusik sah Grumbkow in diesem Konzept. Die Impulse, die von der Punk- und New Wave-Szene ausgingen, bewerte er positiv. „Es ist Bewegung in die Szene gekommen. Selbst Supertramp und andere beschauliche ästhetikrocker werden viel frischer, seit es New Wave als Begriff gibt.“

Wenn man sich die erfolgreichen End 70er Alben von Barclay James Harvest, Genesis, Yes, Chris de Burgh, Toto und Santana, oder die Debüts der Dire Straits und Saga ansieht, fällt es schwer ihm nicht zuzustimmen. Und in fast jedem dieser Fälle (Die Debüts logischerweise ausgeklammert) war die Begeisterung im engeren Fanlager bestenfalls geteilt. Kommerziell hat sich der Wechsel ausgezahlt. Eine intensive Werbekampagne vermittelte immerhin 50.000 Exemplare der New Faces an die Kunden, mehr als von jedem Hoelderlin-Album bisher. Auch die Konzerte waren besucht wie nie zuvor. „The Shouter“ mauserte sich zum Radio-Hit.

Und wer sich keine aus „Phasing“ auf der rechten und „Schwebebahn“ auf der linken Seite bestehenden Scheuklappen aufsetzt, wird New Faces seine Qualitäten nicht absprechen können. Für mich gehört es bis heute zu den drei besten Hoelderlin Alben – vielleicht gerade durch seine Eigenständigkeit, aber natürlich auch dadurch, dass ich (Baujahr 63) nicht so sehr in der „alten Zeit“ verwurzelt war, wie die Fans der ersten Stunde. Ich habe sowohl im Falle Hoelderlin, wie auch bei den meisten der oben genannten Bands, die neu erscheinenden Alben praktisch gleichzeitig mit den schon länger auf dem Markt befindlichen Klassikern kennen gelernt.

Dass sich Hoelderlin auch gar nicht völlig von den 70ern verabschiedet haben, zeigt die Wahl der Produzenten. Der etablierte Kraut-Rock Star Conny Plank warf sich dabei mit Dave Hutchings, der bei dem Genesis Klassiker The Lamb lies down on Broadway mit an den Reglern saß, die Bälle zu. Herausgekommen ist ein Album, dem es tatsächlich gelingt so direkt und erdverbunden zu klingen, wie Christian Grumbkow sich das gewünscht hatte, ohne aber die magische Fantasie über Bord zu werfen, die alte Hoelderlin-Alben ausgezeichnet hatte. Lediglich die lang gezogenen krauttypischen Abheber der „Phasing“- oder „Streaming“-Klasse bleiben auf der Strecke.

Auf der Stecke geblieben ist auch eines der instrumentalen Trademarks der Band. Nach dem Ausstieg von Christoph Noppeney hat man darauf verzichtet einen neuen Geiger an den Start zu bekommen. (Darauf mussten Hoelderlin-Fans bis zur Reunion im Jahre 2006 warten.) Die aber hätte wohl auch nur auf einem Teil der neuen Tracks ihren Platz gefunden. Der kraftvolle Rocker „Somebody's calling“, mit dem das Album beginnt, jedenfalls lebt von packenden Gitarren und einem ins Ohr gehenden Refrain. Eine eigenständige Violine hätte den kompakten Eindruck trotz der melodischen, fast folkigen Struktur wohl eher gestört.
„I want you“ ist weicher, etwas tänzerisch, hätte eventuell auch auf XII von Barclay James Harvest stehen können. Die Gitarren sind schneidend, ohne aggressiv zu werden, das Drumming kräftig, aber nicht hart.
Die Gänsehautballade „Cold Winds" ist das ruhigste Stück bislang. Trotz der kurzen Spielzeit gelingt es viele verschiedene Elemente unterzubringen, sanfte halb gesprochene Vocals, eine elegisches, im Gesamtsound des Stückes aufbrausend wirkendes Gitarrensolo, das an David Gilmour erinnert, ein perlendes Piano und leichte Drums.
Mit „High in Shanghai“ mischt sich ein tolles federleichtes Instrumental mit herrlichen, fliegenden Gitarren über kernigem Drumming ins Programm. Zwischendrin jubilieren die Keyboards. Das bereits erwähnte „The Shouter“ entpuppt sich als grandiose, verträumte Progballade, die durch leichte, verspielte Percussions Würze bekommt. Ein weiteres Highlight am Ende ist „Weekend“. Wunderschöne Keyboardspielereien lassen die Seele fliegen. Das Ende hebt zu einem furiosen Finale ab, das aber gut in den melodischen Stil des Albums eingebettet bleibt.

Der Re-Release kommt, wie gewohnt, mit Liner-Notes auf Deutsch und Englisch, Fotos und einem Demostück als Bonus-Track. Basser Hans Bäär blickt in den Liner-Notes kritisch auf das Album zurück. Aus heutiger Sicht erscheint es ihm zu glatt, zu anglo-amerikanisch. Ein zu hartes Urteil, wie ich finde. Und ich hoffe auch, dass man es im Hoelderlin-Lager im Laufe der Zeit noch einmal überdenkt. Denn wenn mich beim Konzert im letzten Jahr etwas enttäuscht hat, dann war es – neben den viel zu geringen Besucherzahlen in Berlin – das völlige Fehlen von New Faces-Songs im Programm.

Fortsetzung folgt



Norbert von Fransecky



Trackliste
1Somebody's calling 5:42
2I want you 5:08
3Cold Winds 3:16
4Gentle Push 3:46
5High in Shanghai 6:13
6The Shouter 3:43
7Footsteps 4:41
8Weekend 2:53
9Don't fool me (Demo) 3:33
Besetzung

Hans Bäär (B, Voc <6>, Back Voc <4>)
Rüdiger Elze (Git)
Joachim Grumbkow (Keys, Back Voc <4>)
Tommy L’Ohr (Synths, Git, Lead Git <8>, Lead Voc <1,4>)
Eduard Schicke (Dr, Perc)

Gäste:
Bernd König (Voc <2,3>)
Bübi Siebert (Flöte <7>)
Michael Bruchmann (Dr <4>)



Norbert von Fransecky



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