Vote for Love: Siena Root schneiden im KuBa Jena ein Livealbum mit




Info
Künstler: Siena Root

Zeit: 14.03.2024

Ort: Jena, KuBa

Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://www.sienaroot.com

Zu betonen, dass Siena Root eine sehr starke Liveband sind, hieße die sprichwörtlichen Eulen nach Athen zu tragen. Root Jam hieß anno 2011 ihr erstes Livealbum (oder das zweite, wenn man die DVD Kalejdoskop – Live At ROJ von 2010 mitzählt), entstanden nach vier Studioalben. Zwischenzeitlich haben vier weitere Studioalben das Licht der Welt erblickt – Zeit also für eine weitere Konzertscheibe, zumal von der 2011er Besetzung nur noch die beiden Bandköpfe, Bassist Sam und Drummer Love, an Bord sind, also auch mal die Fähigkeiten der diversen Neuzugänge gewürdigt werden müssen. Es ehrt die Schweden, dass sie sich für das Mitschneiden dieses neuen Livealbums nicht etwa einen trendigen großen Club in einer der europäischen Musikmetropolen herausgesucht haben, sondern das im übersichtlich großen, gemütlichen Kulturbahnhof im vergleichsweise beschaulichen Jena tun. Aber bei genauerer Betrachtung ist das nur logisch: Hier spielen sie regelmäßig auf ihren Touren, hier gehören sie quasi zum Inventar, hier sind Leute im Club aktiv, die so verrückt waren, ebenjenen Club anno 2011 nur deswegen ins Leben zu rufen, weil sie ein Konzert mit ebenjenen Siena Root veranstalten wollten (und woraus dann der Cosmic Dawn e.V. wurde, der heute für einen guten Teil der im Kulturbahnhof stattfindenden Konzerte verantwortlich zeichnet), hier gibt es außerdem Leute, die sich mit ihrer Technik prima verstehen, auch wenn diesmal nicht Stammtechniker Thomas am Pult steht, aber er wird bestens vertreten. Die Konstellation paßt also irgendwie, und so nisten sich Siena Root im März 2024 für drei Abende im Kulturbahnhof ein. Der Rezensent erlebt den ersten der drei mit, der als Generalprobe deklariert und natürlich ebenso mitgeschnitten wird wie die beiden der Folgeabende.

Eine Band mit acht Studioalben hat natürlich akute Probleme, eine alle Wünsche berücksichtigende Setlist zusammenzustellen. Siena Root lösen das Problem partiell, indem sie zu einem Voting aufrufen, welche Songs sie unbedingt spielen sollten – und das fördert dann tatsächlich die eine oder andere zusätzliche Perle in den Set, der letztlich zudem sieben der acht Alben berücksichtigt und nur die Freunde des Viertlings Different Realities leer ausgehen läßt. Aber das ist definitiv zu verschmerzen, wenn man bedenkt, was man in den reichlich zwei Stunden Spielzeit so geboten bekommt.
Auffällig ist allerdings die Setdramaturgie. Dem Western-Intro folgen nämlich erstmal einige Songs in eher karg wirkender Instrumentierung bei noch vergleichsweise zurückhaltendem Sound. Schon der Opener „Coming Home“ aber läßt die Fähigkeiten sowohl von Gitarrist Johan, der das erste von noch vielen frenetischen Soli abliefert, als auch von Sängerin Zubaida eindrucksvoll erkennen. Letztere besitzt eine erstklassige Leadstimme und wird zudem gekonnt von ihren Kollegen mit Backings unterstützt. Saubere Melodien, rauchigere Bluesanklänge, Entrücktheit – alles keine Fremdworte für die Vokalistin. Das einzige, was sie bis auf geringfügige Ausnahmen im Schlußteil des Sets nicht von sich gibt, sind Ansagen – das übernehmen die beiden „Alten“ in der Band mit ehrlicher Freude, sich hier quasi wie zu Hause fühlen zu dürfen. „Riding Slow“ straft seinen Titel im Hauptteil übrigens Lügen, bietet nämlich treibendes Midtempo, garniert dieses aber mit einem wunderschönen atmosphärischen Mittelteil, der freilich nun wieder zum Reiten völlig ungeeignet wäre. „Wishing For More“ zeigt die Gitarre jetzt auch akustisch voll integriert und durchsetzungsfähig und besticht mit einem klassischen Blues-Solo, während das lange, sehnsuchtsvolle Gitarrenintro von „Mountain II“ einen der zentralen Einflüsse der Band offenbart, nämlich Deep Purple – hier fühlt man sich nämlich etwas als „Soldier Of Fortune“ erinnert, ohne freilich die Schweden des Plagiats zeihen zu wollen, zumal die Entwicklung des Songs völlig anders weitergeht: Man landet erstmal im Doom, addiert sehr intensive Vocals von Zubaida, baut ein paar orientalische Anklänge ein (der Berg steht also offenbar irgendwo im Osten) und bietet schließlich noch ein klassisches Duell-Duett zwischen Gesang und Gitarre, das nun wieder an beste Gillan-Blackmore-Traditionen erinnert, aber hier halt eine weibliche Stimme auffährt – und Zubaida ist körperlich vielleicht nur ein halber Ian Gillan, stimmlich aber ähnlich groß wie er. Das flotte „No Filters“ mit seinem jamsessionartigen Mittelteil inclusive Baßsolo ist der letzte Song dieses noch etwas zurückhaltenden Auftaktes.

Mit „Coincidence & Fate“ beginnt nicht nur ein neues Aufnahmetape (ja, hier wird noch analog mitgeschnitten), sondern auch der Miniblock aus den beiden einzigen Nummern, die das aktuelle Album Revelation für den Set stellt. In diesem schweren Groover wirft Zubaida zum ersten Mal die Hammondorgel an, wechselt auch an das dort befindliche Gesangsmikrofon, das anfangs etwas zu leise eingestellt ist und sie in den Chören untergehen läßt, was aber bald ausgepegelt werden kann – und dann ist da wieder einer dieser zauberhaften atmosphärischen Mittelteile, der sich dann gekonnt steigert. Zu „Dusty Roads“ betritt der erste Gastmusiker die Bühne: Lisa Isaksson hat schon auf diversen Studioaufnahmen gasthalber eine Flöte beigesteuert und tut das nun auch im Konzert, außerdem wird sie phasenweise in die Backingvocals eingebunden. Auch hier braucht der Soundmensch einen Moment, um die Flöte nicht nur latent, sondern angemessen hörbar zu machen, aber diese Aufgabe kann schnell bewältigt werden, wobei der Song selbst vor allem mit dem schrägen, aber spannenden Finale auffällt. „We“ ist dann einer der Songs, die über das Voting in den Set gekommen sind, ein großes, sich lange bedächtig entwickelndes und dann explodierendes, ebenfalls mit Flöte garniertes Epos, das den stärksten bisherigen Applaus auslöst. „Keeper Of The Flame“ fällt dadurch auf, dass Drummer Love ein Glockenspiel zum Klingen bringt und sich im Hauptteil einiger eher ungewöhnlicher Rhythmen bedient, wobei hier wieder ein massiver Blues-Background durchzuhören ist.
„Outlander“ landet abermals auf einem neuen Tape und markiert wieder eine Zäsur, denn hier stößt Erik Petersson zur Band, der lange Zeit bei Siena Root Keyboards gespielt hatte und das nun gasthalber noch einmal tut. Mit ihm kommt ein zusätzliches geniales Element in den Bühnensound – nichts gegen Zubaidas Keyboardspiel, aber Erik ist an diesem Instrument praktisch zu Hause, und das hört man dann auch. Zudem verleiht er der Band einen nächsten Bombastschub für die Setdynamik, was gleich im enthusiastischen Solo des sonst eher kompakt-knackigen „Outlander“ auffällt und auch „In My Kitchen“ einen ganz speziellen Reiz verleiht, sowohl mit den originellen Spieleinfällen als auch im instrumentalen Duell mit der Gitarre. Zu „Summer Is Old“ kehrt auch die Flötistin nochmal auf die Bühne zurück, so dass Siena Root also zum Sextett anwachsen und Zubaida und Erik gar vierhändig an den Tasten agieren. Das seltsame doomige Intro fällt genauso aus dem Rahmen wie die eindringliche Flöte, und ein Drumsolo gibt es hier auch noch.
„Imaginary Borders“ leitet das Finale und auch das letzte Tape ein, langsam die Instrumentenvielfalt entwickelnd (wieder mit Glockenspiel), in einen klassischen Midtempostampfer mündend, aber immer schneller werdend – der Song ist relativ lang, aber man hätte ihm noch endlos weiter zuhören können. Ähnliches gilt auch für „Root Rock Pioneers“ mit seinen „Lazy“-Anklängen im Gitarre-Keyboard-Duett und seiner abermals markanten Bluesbasis, die in ein grandioses intensives Finale mündet. Da können die beiden Zugaben „In The Fire“ und „Tales Of Independence“, immer noch mit Erik, aber ohne Lisa, nichts mehr draufsetzen, aber das war vermutlich auch nicht Sinn und Zweck der Sache und der Gipfelpunkt tatsächlich am Ende des Hauptsets geplant. Der zur Hälfte gefüllte Saal ist jedenfalls begeistert, und wenn er an den beiden Folgeabenden dann noch völlig gefüllt war und die Qualitäten der Generalprobe gehalten werden konnten, braucht einem um die Güte des Livealbums nicht bange zu sein.

Setlist:
Coming Home
Riding Slow
Wishing For More
Mountain II
No Filters
Coincidence & Fate
Dusty Road
We
Keeper Of The Flame
Outlander
In My Kitchen
The Summer Is Old
Imaginary Borders
Root Rock Pioneers
--
In The Fire
Tales Of Independence


Roland Ludwig



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