Montéclair, M. P. de - Vashegyi, G.

Jephté


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 06.03.2020

(Glossa / Note 1 / 2 CD DDD / 2019 /Best. Nr. GCD 924008)

Gesamtspielzeit: 142:38

Internet:

JPC
Note 1



BIBEL & BAROCK - GANZ GROSSE OPER!

Nachdem er sich über Jahrzehnte als Musiker im Orchester der Pariser Oper, als Pädagoge, Autor und Komponist überwiegend kleinerer Werke einen guten Namen gemacht hatte, brachte Michel Pignolet de Montéclairs 1732 im Alter von 65 Jahren seine erste und einzige große musikalische Tragödie "Jephte" zur Aufführung. In dieses Werk, an dem er offenbar schon seit vielen Jahren gearbeitet hatte, investierte der Komponist all seine Kenntnisse und Erfahrungen, es ist die Summe seines musikalischen Lebens und zugleich der Abschluss einer Epoche.

"Jephté" bündelt und krönt gleichsam die Phase der Opernkompositionen in der Tradition Lullys, des 1687 verstorbenen Erfinders der französischen Barockoper. In den 50 Jahren nach dessen Tod versuchten zahlreiche Komponisten, desse Erbe weiterzuführen und zugleich Neues zu probieren. Montéclair kannte diese gewachsenen Möglichkeiten genau, er verfügte über eine ganz breite musikalische Palette. Doch erst 1733 sollte mit der Uraufführung von Rameaus "Hippolyte et Aricie" ein gänzlich neues Zeitalter beginnen - und obwohl der Sensationserfolg und Skandal von Rameaus erster Oper Monteclairs Werk zunächst überstrahlte, wurde "Jephté" doch bis 1761 immer wieder einmal aufgeführt und gehörte zu den dauerhaftesten Erfolgen im Repertoire.
Ein Grund dafür war sicherlich das ungewöhnliche Sujet: Es handelt sich um eine Oper über einen biblsichen Stoff, die einzige ihrer Art im Frankreich des 18. Jahrhunderts - deswegen konnte das Werk auch in der Fastenzeit aufgeführt werden! Montéclairs Librettist Abbé Simon-Joseph Pellegrin verarbeitete die alttestamentliche Geschichte von Jephta, der Gott für einen Sieg über die Feinde Israels ein Opfer verspricht - nämlich das, was ihm bei seiner Rückkehr zu Hause zuerst entgegen kommt - und der sich deswegen genötigt sieht, die geliebte eigene Tochter als Opfer darzubringen, zu einem Plot, der auf mehreren Ebenen die Wucht einer antiken Tragödie entwickelt. Geschickt verwob er die Vorlage mit einer Liebesgeschichte zwischen Jephtas Tochter Iphise, die Ammon, dem Heerführer der feindlichen Ammoniter, zugetan ist. So implantierte er der diesbezüglich "neutralen" biblischen Geschichte einen moralische Grund für das "zufällige" Opfer.
Dieser Mix ermöglichte Montéclair, seine Figuren differenziert zu charakterisieren und lyrische, dramatische sowie tragische Szenen zu komponieren, die von Tempel- und Orakelszenen über Kriegs- und Siegesfeiern auch pastorale Momente umfassen. Anders als in der originalen Geschichte gibt es zudem ein Happy End, weil Iphise ihre Schuld bekennt und sich von Ammon trennt. Dieser will das Opfer der Gliebten verhindern und den Tempel in Jerusalem erobern, wird aber durch einen göttlichen Blitzstrahl bezwungen. Der Hohepriester kann schließlich verkünden, dass Gott wegen Isphises Reue auf das Opfer verzichtet.

Eine erste Aufnahme von "Jephté" war 1992 von Les Arts Florissants herausgebracht worden. Hatte sich der Dirigent William Christie seinerzeit im wesentlichen für eine Einspielung der experimentellen Erstfassung von 1732 entschieden, votiert sein ungarischer Kollege György Vashegyi jetzt für die finale dritte Fassung von 1737. Diese ist gegenüber der Erstversion dramaturgisch zwar straffer, im Hinblick auf die Orchestrierung auch konventioneller.
So findet sich etwa in der neuen Fassung der ausgreifende, von einem Blockflötenensemble begleitete Monolog von Jephtés Tochter Isphise am Beginn des 4. Aktes nicht mehr. Er ist vom Komponisten durch ein Stück von moderater Länge ersetzt worden, die "exotische" Besetzung wurde ebenfalls vereinfacht. Von daher ist Christies Einspielung editorisch nicht überholt, vielmehr kann man jetzt den Luxus genießen, zwei Versionen von Monteclairs reifem Meisterwerk zu hören.

Bei der Besetzung setzt Vashegyi auf erstklassige Sänger*innen, die mit diesem Repertoire vertraut sind. Sehr stark ist der Eindruck, den Tassis Christoyannis als Jephta hinterlässt: Auf der einen Seite ein potenter Heerführer, auf der anderen Seite ein verzweifelt ringender Vater, der sich in einem ausweglosen Konflikt zwischen Liebe und Gottesfurcht wiederfindet. Nicht weniger prägnant ist Judith Van Wanroij in der Rolle der Mutter, Almasie, die zwischen Vater und Tochter eine vermittelnde Rolle einnimmt und mit beiden sehr intensive Szenen hat, in denen sie den großen Gefühlen ebenso intensiv wie nobel Ausdruck verleiht. Chantal Santon-Jeffery berührt mit ihrer jugendlich-blühenden Stimme als Iphise, deren differenzierte Figur sie gleichermaßen nuanciert und tiefsinnig anlegt. Der Komponist hat ihr Momente von unschuldigem Jubel und bewegender Melancholie zugedacht und Santon-Jeffery ist stimmlich in der einen wie der anderen Ausdruckswelt bestens disponiert. Mit Zachary Wilder wurde der Ammon sehr passend besetzt, ein schöner, temperamentvoller hoher Tenor, bei dem man sofort versteht, dass er das Herz der Isphise gewinnt.
Großartig wie immer ist die Leistung des ungarischen Purcell Choir, der in den großen Chorszenen brilliert, mit bestem Französisch und herrlich klarer Tongebung auch in den markanten a-capella-Momenten. Zusammen mit dem kraftvoll und virtuos aufspielenden Orfeo Orchestra erreicht er eine eindrucksvolle Durchschlagskraft, verleiht der Musik aber in den reich ausgestalteten tänzerischen oder spielerischen, pastoralen Momenten auch eine zartere Farbigkeit. Gegenüber der älteren Christie-Aufnahme genießt man die selbstverständliche Virtuosität, die Intensität des Klangs, die stärker ausformulierte Dramatik gerade in den großbesetzen Momenten. Aufnahmetechnisch wurde das alles auf die große Bühne projiziert.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1 Prolog - Akt 1 & 2 66:10
CD 2 Akt 3, 4 & 5 76:28
Besetzung

Tassis Christoyannis, Judith van Wanroij, Chantal Santon-Jeffery, Thomas Dolie, Zachary Wilder u. a.

Purcell Choir
Orfeo Orchestra

György Vashegyi


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>