Musik an sich


Reviews
Jim White

Where It Hits You


Info
Musikrichtung: Alternative Country

VÖ: 24.02.2012

(Loose Music/ Rough Trade)

Gesamtspielzeit: 58:05

Internet:

http://www.jimwhite.net


Jim White dem Alternative Country zuzurechnen, ist bislang recht schwer gefallen. Er benutzt Country-Instrumentarium und –Melodien, ist aber gleichzeitig ein Klangexperimentierer, was ihn in dieser Szene ziemlich einzigartig macht. Oft ist die Atmosphäre seiner Songs mit dem Wort „spooky“ noch am treffendsten wiedergegeben und dazu passt sein verhaltener, eher in Richtung Leonard Cohen gehender Gesangsstil. Andererseits kann er auch aufdrehen und Funk- und Gospelelemente auftauchen lassen. Typisch für ihn ist auch die Vielschichtigkeit seiner Arrangements. Er nimmt eine einfache musikalische Idee, spielt sie in vielen Variationen auf unzähligen Instrumenten in getrennten Tonspuren ein und entzerrt das wieder innerhalb seines Studioprogramms. Oft lässt er die Musiker am Ende einfach weiterspielen und schneidet die Improvisation an den Anfang, um die Stücke atmosphärisch interessant einzuleiten. Seine besten Stücke könnte man fast als Ambient Country bezeichnen, die die schwüle Hitze der Südstaaten-Sümpfe spürbar macht. Durch seine eigenwillige und introvertierte Art ist er zu einem Pionier einer eigenen Richtung geworden, die mit brüchigem Gesang und manchmal fast psychedelischen Klängen sich im Americana-Bereich bewegt.

Vergleichsweise dazu wirkt sein neues Album Where It Hits You zunächst eher gefällig, manchmal sogar traditionell oder ungewöhnlich fröhlich mit Mitpfeif-Songs und Hooligan-artigen Chören zu übertriebener Fistelstimme. Sein eingängiges „Chase The Dark Away“ z. B. hätte auch von Grant McLennan von den Go-Betweens stammen können. Dies überrascht um so mehr, kennt man die Begleitumstände des Albums. Der im Leben schon oft gebeutelte Musiker (Verlust von drei Fingern seiner Gitarrengreifhand bei einem Sägeunfall, Drogenabhängigkeit usw.) wurde mitten in den Aufnahmen von seiner Frau verlassen. Trotzdem ihn das ziemlich traf, weil das Album ausgerechnet viele Liebeslieder an seine Frau enthält, entschloss er sich, es wie geplant zu Ende zu bringen. Doch ist das Album so aufgebaut, als würde es dieser Geschichte folgen. Ab dem achten Stück schlägt die Stimmung um, die Musik wird elegisch, melancholisch, dezent, teilweise von Sprechgesang begleitet. Gerade „That Wintered Blue Sky“ klingt mit seinen verhaltenen Pianoakkorde und der wirbelnden Snaredrum wie die Musik zum letzten Gang. Und der nachfolgende Titel „Epilogue To A Marriage“ spricht mit seinem Namen für sich. Klavier, Gitarre und Steel-Gitarre greifen hier ineinander wie ein Glockengeläute, doch ist dieses Geläut kein feierliches, eher traurig davon driftend. Dennoch schillert der bisherige Jim White hier noch am ehesten durch.

Insofern hinterlässt das Album einen zwiespältigen Eindruck, bleibt aber bezüglich seiner komplexen Arrangements immer noch außergewöhnlich. Es ist vielleicht zu untypisch und manchmal etwas zu konventionell geraten. Gleichwohl mag es sein bislang persönlichstes Album sein.



Hans-Jürgen Lenhart



Trackliste
1Chase The Dark Away
2 Sunday's Refrain
3 The Way of Alone
4 State of Grace
5 Infinite Mind
6 What Rocks Will Never Know
7 Here We Go!
8 My Brother's Keeper
9 That Wintered Blue Sky
10 Epilogue to a Marriage
11 Why It's Cool
12

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