Musik an sich


Reviews
Monteverdi, C. u. a. (Cavina)

Il Nero ossia L’incoronazione di Poppea


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 01.03.2010

(Glossa / Note 1 / 3 CD / DDD / 2009 / Best. Nr. GCD 920916)

Gesamtspielzeit: 204:40



EROTISCHER REIGEN

Mit philologischer Genauigkeit hatten Claudio Cavina und La Venexiana die erste „richtige“ Oper, Claudio Monterverdis „Orfeo“ vor zwei drei Jahren eingespielt. Das Ergebnis war zwar aufführungspraktisch sehr erhellend und im Detail betörend schön gesungen und musiziert, aber für meinen Geschmack auch etwas zu steif und zeremoniös geraten – gerade in den instrumentalen Einlagen. Also mehr Madrigalmesse als Oper. Irgendwie kam das Drama, die favola nicht wirklich in jene Bewegung, die das Herz ergreift.

Bei der nun veröffentlichten Einspielung der nicht minder berühmten L’incoronazione di Poppea (Die Krönung der Poppea) ist es anders: Hier verbindet sich die präzise Lesart des anonymen neapolitanischen Manuskripts von 1651 glücklich mit Pragmatik und musikalischem Instinkt. Vor allem schlägt in dieser Einspielung ein kräftiger dramatischer Puls, so dass die immerhin dreieinhalb Stunden „monodischer“ Musik nie zäh geraten. Cavina orientiert sich am continuostarken venezianischen Normorchester und hat abgesehen von einer Handvoll Streichern keine zusätzlichen Klangfarben eingesetzt. Beste Voraussetzungen für die Entfaltung vokaler Potentiale! Allerdings wurden von Cavina einige kleine instrumentale Überleitungen aus unterschiedlichen authentischen Quellen eingefügt. Angesichts der verwickelten Entstehungs- und Überarbeitungsgeschichte der Poppea schon im 17. Jahrhundert sind solche diskreten Anpassungen an die moderne Aufführungspraxis legitim und lassen kleine Kürzungen an der eigentlichen Oper verschmerzen.

Die Besetzung ist durchweg sehr stark: Cavina verzichtet auf die modischen männlichen Alt- und Sopranstimmen als Kastratenersatz und setzt ganz auf Sängerinnen, was der Homogenität des Ganzen zu Gute kommt. Mit Roberta Mameli hat er eine Mezzosopranistin gewonnen, die die leichte Erregbarkeit und das Launisch-Herrische des jünglinghaften Erotomanen Nero perfekt intoniert. Passender Gegenpart ist der fruchtige Sopran von Emanuela Galli, die als amourös-berechnende Poppea die Szene jedesmal zum Knistern bringt. Gemeinsam gestalten Mameli und Galli das berühmte Schlussduett als endloses laszives Vorspiel – die Schönheit der Sünde in theatralischer Vollendung (und gewagt jazzig in der vokalen Farbe). Cavina lässt den dissonanten Vorhalteakkord der Begleitung unaufgelöst. Das vermeintliche Glück ruht auf einem brüchigen Fundament: Ein Rückblick auf die gemeinsamen Verbrechen, die Poppea den Weg zum Thron ebneten und ein Ausblick auf das von der Oper nicht thematisierte grausame Ende der neuen Kaiserin, die, hochschwanger, von Nero durch Tritte in den Bauch getötet werden sollte. Doch dieser doppelte Boden ist eine Entscheidung der modernen Interpreten. Ähnlich wie später bei Mozart fasziniert die Fähigkeit der barocken Autoren, diese Geschichte ohne jeden moralischen Zeigefinger zu erzählen. Alle Begierden und Leidenschaften dürfen sich im Libretto und in der Musik manifestieren. Die Personen sind dabei keine Sprechblasen, sondern in jedem Moment „sie selbst“, ob man sie nun sympathisch findet oder verabscheut.

Um das zentrale Paar herum gruppiert sich ein erlesene Sänger/innen-Riege, die ihren Figuren ein unverwechselbares Profil verleiht: die sich in furiosen Rachefantasien verzehrende Octavia von Xenia Meijer, der lamentöse Othon von Josè Maria Lo Monaco, der gravitätisch-hohle Seneca von Raffaele Constantini und die anrührende Drusilla von Francesca Cassinari, vielleicht der einzige unschuldige Charakter in dieser Oper.
Dazu kommen die die unverzichtbaren Vertrauten: die durchtriebene Amme Poppeas, manchmal bis an die derb-karikierenden Grenzen ausgesungen von Ian Honeyman (aber wie zart gerät ihm bei aller „Schrägheit“ Arnaltas Schlaflied für Poppea!). Dann ist da noch der pubertierende Page der Kaiserin Oktavia, den Alena Dantcheva mit quecksilbrigem Timbre darstellt – auch musikalisch ein direktes Vorbild für Mozarts Cherubino. Pointiert wurde vom Komponisten sein Flirt mit einer „Dame in guter Hoffnung“ mitten zwischen die Selbstmordszene Senecas und die, mit Verlaub, geilen Schwärmereien, in denen Nero sich angesichts eines Porträts seiner Geliebten ergeht, platziert. Das zeugt von großem dramatischen Gespür in einer Oper, in der weniger Handlungen als unterschiedliche Personenkonstellation und Gefühlskontraste im Vordergrund stehen.
Leidenschaft, Lust und Tod liegen in der „Poppea“ aber nicht nur in solchen Momenten nahe bei einander. Die Erotik in allen Abstufungen ist in dieser Oper der Triebmotor für die Handlungen praktisch aller Beteiligten. Und so singt und spielt La Venexiana dieses Werk auch: verspielt, verführerisch, sinnlich, leidenschaftlich, schockierend. Großartig!



Georg Henkel



Trackliste
CD I (Akt 1): 73:29
CD II (Akt 1&2): 64:08
CD III (Akt 2&3): 67:03
Besetzung

La Venexiana

Claudio Cavina: Leitung



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