Musik an sich


Reviews
Feldman, M. (Deforce - Oya)

Patterns in a Chromatic Field u. a.


Info
Musikrichtung: Neue Kammermusik

VÖ: 01.03.2009

(Aeon / Note 1 / 2 CD / DDD / 2003 / Best. Nr. AECD 0977)

Gesamtspielzeit: 104:25



AUSSERIRDISCHE SIGNALE

Sollten jemals die Signale intelligenter außerirdischer Lebensformen die Erde erreichen, dann klingen sie bestimmt wie die merkwürdigen Figurationen in Morton Feldmans rund 90minütigem Duo Patterns in a Chromatic Field (1981).
Die stumpfen, fragmentierten Akkorde des Klaviers in Verschränkung mit den viertönigen, chromatischen Schlängelbewegungen des Cellos, bei dem der Spieler jeden Ton etwas anders artikulieren – färben - muss, erschweren im ersten Augenblick die Identifikation der Instrumente. Wer Feldman bislang immer noch als „sanften Minimalisten“ deklarierte, dürfte überrascht sein, wenn er diese spröden, dabei seltsam anziehenden und atmosphärischen Klänge hört.
Zwar verfremdet der Komponist die Instrumente nicht wirklich. Allerdings werden die erzeugten Klänge durch die subtile Attacke von Hämmern und Bogen auf die Saiten sowie die sehr leise Dynamik auf ihr klangliches Substrat zurückgeführt. Feldman betont die Obertöne, was den Klang zugleich differenzierter, aber, wie im Fall des Cellos, auch schärfer macht. Den Komponisten interessieren Klänge, nicht aber die typischen Klangfarben.
Die (nur scheinbar) identische Wiederholung der Klänge, die als Muster – ‚patterns’ – aus oft eng benachbarten Tönen – das ‚chromatic field’ – erscheinen, hat die Wirkung von endlosen Signalsequenzen, die plötzlich aus dem Nirgendwo auftauchen und sich fortwährend verändern. Wobei es keine komponierte Botschaft, keinen strukturellen Code gibt, der etwas bezeichnet, das hinter den Klängen liegt. Die Klänge selbst sind die Botschaft.

Der Blick in die Noten bestätigt den Höreindruck: Rhythmisch ist das Ganze hochdiffizil und alles andere als gleichförmig. Dauern verlängern oder verkürzen sich kaum merklich graduell, dehnen die Zeit oder ziehen sie zusammen. Kein starrer Puls regiert, sondern die organische Bewegung von Klängen in der Zeit, die jedoch nicht absolut ist, sondern ausschließlich in den Klängen bzw. den Mustern und ihrer Erstreckung existiert.

Nach dem sehr gestaltreichen Beginn, der mit immer neuen, spontan wechselnden Mustern und ihrer „Variation“ aufwartet, so dass die Musik in eigentümlich unsteter, flirrender Bewegung bleibt, beruhigt sich das Geschehen nach und nach. Wie so oft bei Feldman ist der „B-Teil“ etwas entspannter. Klänge und Muster haben mehr und mehr Zeit, sich zu entfalten, werden auch in ihrer Gestalt vereinfacht und auf Elementares reduziert. Feldman bietet eine sehr stille Welt: Gebrochene Akkorde, Zweiklänge und oft nur einzelne Töne des Klaviers, das mit niedergedrücktem Pedal zum Leuchten angeregt wird, bekommen in langen Haltetönen des Cellos eine Art chromatischen Schatten. Dazwischen tauchen ohne Vorankündigung immer wieder komplexer gebauter und intensiver bewegte Module auf.
Anders als im 20. Jahrhundert üblich, interessierte Feldman sich nicht für Tonhöhen bzw. Intervalle und ihre Organisation mit Hilfe von „Ideen“, sondern für realistische akustische Phänomene. Der gleiche Ton, in einem hohen oder tiefen Register gespielt, ergibt einen anderen Klang. Der Komponist spricht hier von Orchestrierung (auch dann, wenn er sich mit den Klängen nur eines einzelnen Instrumentes wie dem Klavier beschäftigt). Diese Sensibilität für den Klang macht seine Werke so einzigartig unter der Musik des 20. Jahrhunderts.
Für Interpreten liegt die Herausforderung weniger in einer äußeren Virtuosität, für die sich der Komponist überhaupt nicht interessiert. Vielmehr ist das Gelingen im hohen Maße abhängig von der Konzentration der Ausführenden und ihrem Gespür für die schwebende Rhythmisierung und den delikaten klanglichen Duktus, der jedoch nie ins Ungefähre und Nebulöse abgleiten darf. Die Ausführung dieses Stückes muss der Musik Raum zum Atmen lassen und zugleich sehr konkret und präzise sein. Arne Deforce (Cello) und Yutaka Oya (Klavier) lassen Feldmans Klänge frei agieren, halten (neben einer nicht abreißenden Spannung) aber auch das heikle Gleichgewicht zwischen ihrer abstrakten Materialität und den assoziativen Anmutungen.

Dieses Gespür ist auch bei den früheren, oft sehr kurzen Komposition auf der 2. CD Voraussetzung, in denen der Komponist bei aller Eigenart eine Nähe zu den Konzentrat-Klängen Anton Weberns zeigt. Projection I z. B. ist dabei rein grafisch notiert. Das 1950 komponierte Stück war diesbezüglich eine Premiere und darin unmittelbares Vorbild für John Cage und andere Komponisten. Nur die leise, langsame Vortragsart, das Register und die ungefähre Dauer konnte der Interpret an der simpel wirkenden Partitur ablesen. Feldman wollte, dass die Klänge, von deren Beschaffenheit er gleichwohl eine sehr konkrete Vorstellung hatte, vom Interpreten frei in die Zeit hineinprojiziert würden.
Weil diese scheinbare Freiheit oft als Willkür missverstanden wurde, wandte sich der Komponist später von der grafischen Komposition ab. Duration II legt bereits die Klänge in den Tonhöhen präzise fest, überlässt die Dauer aber den Interpreten; in vielem klingen hier schon die Werke der 1980er Jahre an. Spätestens seit den 1970er Jahren bediente Feldman sich dann einer exakten und verfeinerten Notation, die wie bei Patterns in a Chromatic Field die kaum merklichen Verschiebungen und Schwebungen, die er sich bei seiner Musik vorstellte, genau darstellte.

Das Klangbild dieser sehr gelungenen Aufnahme ist präsent und detailreich, ohne sich im Mikroskopischen zu verlieren.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1
01-05 Patterns in a Chromatic Field (Beginn) 51:10

CD 2
01-04 Patterns in a Chromatic Field (Forts.) 36:54
05 Projection I 2:52
06 Composition – 8 little pieces 4:18
07 Intersection IV 3:08
08 Duration II 6:03
Besetzung

Arne Deforce: Cello
Yutaka Oya: Klavier


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