Musik an sich


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Bach, C. Ph. E. (Beringer)

Matthäus-Passion 1781


Info
Musikrichtung: Geistliche Musik

VÖ: 08.03.2004

Rondeau / Note 1 (CD DDD (AD:2003) / Best. Nr. ROP2027)

Gesamtspielzeit: 65:58

Internet:

Rondeau
Windsbacher Knabenchor



BEUTEKUNST IM DOPPELTEN SINNE: DIE PASSION CARL PHILIPP EMANUEL BACHS

Bis heute ist sie nicht umfassend ausgewertet oder gar zugänglich, die Notensammlung der Berliner Sing-Akademie, die in den Wirren des 2. Weltkrieges nach Kiew gelangte und erst 2001 von der ukrainischen Regierung an Deutschland zurückgegeben wurde. Welch interessante Schätze darunter sind und der Entdeckung harren, läßt diese CD erahnen. Zwar wurde zur Aufführung gar nicht auf das Material aus jenem Archiv zurückgegriffen, sondern das Werk mit Hilfe anderer Quellen rekonstruiert, aber es dürfte dem Original recht nahe kommen.
Carl Philip Emanuel Bach (1714-1788) schrieb dieses Oratorium für die Aufführung in den Hamburger Hauptkirchen zu einer Zeit, als andernorts bereits die Passionsvertonung durch das Passionsoratorium, eine mehr betrachtende und auslegende Form der musikalischen Schilderung abgelöst worden war. Besondere Lust verspürte er offenbar nicht, sich dem antiquierten Handwerk zuzuwenden: Er griff - keineswegs unüblich zur damaligen Zeit - ganz überwiegend auf Werke anderer Komponisten zurück. So stammt die Musik größtenteils von J.S. Bach (insbesondere aus dessen Matthäus-Passion), aber auch von Gottfried Homilius und Georg Benda. Die musikalischen Bruchstellen lassen sich weder verleugnen, noch überhören. Carl Philip Emanuel Bach steuerte selbst lediglich einige Chorsätze bei, arrangierte in den Rezitativen einiges um, ergänzte oder straffte, wo er es für notwendig hielt. Aus dem Werk seines Vaters stammen v.a. die Choräle und die Chorstücke bis hin zu den Turba-Chören. Die Arien sind ursprünglich Homilius zuzuordnen.

Immerhin zeigt dies, dass die Musik Johann Sebastian Bachs nach seinem Tod keineswegs sogleich in Vergessenheit geriet. Der liturgisch enge Rahmen im protestantischen Hamburg, demzufolge die Passionsmusik ihren Platz im Gottesdienst hatte und mithin nicht länger als eine Stunde dauern durfte, ließ allerdings keine Aufführung einer Passion in den Ausmaßen der Werke von Bach sen. zu.
So bleibt dann auch in Carl Philipp Emanuels Pasticcio kaum Platz für Kontemplation. Das dramatische Geschehen läuft außerordentlich straff ab. Nur drei Arien und einige kurze Chorsätze unterbrechen die Vertonung des biblischen Textes. An den hierbei verwandten Texten und der Musik läßt sich bereits die Frucht der Aufklärung ablesen - die empfindsam-fromme Betrachtung unter Hervorhebung der Barmherzigkeit Gottes steht deutlich im Vordergrund. Die innere Spannung und Zerrissenheit, wie wir sie noch bei J.S. Bach finden, sucht man hingegen vergebens.

In diesem Mitschnitt einer Aufführung im Rahmen der Ansbacher Bachwoche 2003 betont der Dirigent Karl-Friedrich Beringer recht deutlich den dramatischen Aspekt. Spürbar wird dies vor allem im Vortrag des gut disponierten Evangelisten-Sängers Marcus Ullmann (Tenor) und in der Interpretation, die Tobias Scharfenberger (Bass) in der Rolle des Jesus liefert; seine Darbietung erscheint dabei auffallend kraftvoll und bisweilen kämpferisch.
Etwas zu viel des Guten tut hingegen bisweilen Sebastian Bluth (Bass), dem die Rollen des Petrus, Pilatus, Judas und des Hohepriesters anvertraut sind. Ihm gerät die angestrebte Dramatik leicht zur Theatralik. Daran krankt auch seine Interpretation der ersten Arie "Nun sterb ich Sünder nicht", während er sich bei der letzten Arie "Versammlet euch, der Erde gefallne Kinder" zurückzunehmen weiß und dann auch stimmlich zu überzeugen vermag.
Tadellos die Leistung von Doerthe Maria Sandmann (Sopran), die der Arie "Im Leben will ich dich bekennen" mit ihrer seidig-matt schimmernden Stimme die richtige Dosis Emphase verleiht.

Der vielbeschäftigte Chor zeigt sich einmal mehr in ausgezeichneter Verfassung, wirkt konzentriert und engagiert. Man mag allerdings darüber streiten, ob er für das eher schlichte Werk nicht doch zu dick besetzt ist.
Die auf modernen Instrumenten musizierenden Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin meistern die nicht übermäßig anspruchsvolle Aufgabe der Orchesterbegleitung souverän.
Das Klangbild ist räumlich und gut gestaffelt bei leichter Überbetonung der Baß-Frequenzen.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Doerthe Maria Sandmann, Sopran
Elisabet von Magnus, Alt
Marcus Ullmann, Tenor
Sebsatian Bluth, Bass
Tobias Scharfenberger, Bass

Windsbacher Knabenchor
Deutsche Kammer-Virtuosen Berlin

Ltg. Karl-Friedrich Beringer


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