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Musik an sich
 
Jacques Offenbach: La Belle Hélène
(Virgin Classics)
Oper
 

Am 17 Dezember 1864 erfuhr die Pariser Öffentlichkeit endlich ein paar Wahrheiten über den Trojanischen Krieg, die Homer in seiner "Ilias" wohlweislich verschwiegen hatte. Unter großem Beifall (und der unvermeidlichen Empörung der selbsternannten Kulturwächter gegen solch vulgären Seichtsinn) war Jacques Offenbachs "Schöne Helena" im Théâtre des Bouffes-Parisiens über die Bühne gegangen. Dank der Herren Henri Meilhac und Ludovi Halévy (Original-Libretto) und der unfähigen Zensur (unfreiwillig verschärftes Libretto) präsentierten sich die ansonsten so hehren Damen und Herren aus der griechischen Mythologie einmal von ihren menschlich-allzumenschlichsten Seiten. Helena, amtierende "Miss World" der Antike und lebenslustige Gattin des in die Jahre gekommenen Spartanerkönigs Melenas, verknallt sich schicksalhaft in Paris. Dem nämlich hatte Venus die Liebe der schönsten Frau der Welt versprochen. Und wen die Götter zum Glück bestimmen ... das Ende ist bekannt: Paris raubt Helena und provoziert damit den Krieg gegen Troja. Offenbach und seine Autoren machten daraus ein wunderbare Farce, in der Amor und Eros das Leben der recht biederen Spartaner (ergo der französischen Bourgeoisie unter Napoleon III.) auf den Kopf stellen. Denn als sich Helena zunächst dem Werben des (vermeintlichen) Hirten Paris verweigert, schlägt Venus das Volk mit erotischem Wahn. Oberpriester Calchas ärgert sich entweder mit seinem schwer pubertierenden Neffen Oreste herum oder geht so unpriesterlichen Beschäftigungen wie (Falsch)spielen nach. Melenas, der nicht mehr ganz so potente Potentat, wird erst in Kur geschickt, bekommt dann doch alles mit, ohne freilich irgendetwas zu begreifen. Seine politischen Berater entpuppen sich als verklemmte Spießer, die den Selbstmord aus Staatsräson propagieren (allerdings nicht für sich, sondern für Melenas).

Der Komponist hat all dies mit einer wunderbar leichten, verspielten und witzigen Musik voller Ohrwürmer ausgestattet, die die Vorbilder aus der Grande Opera zitiert, um sie dann genußvoll und gekonnt zu parodieren - wenn auch die gepfefferten Tänze fehlen, die seinen "Orpheus in der Unterwelt" so unwiderstehlich machen. Und der Ton insgesamt vielleicht nicht ganz so beschwipst ist. Trotzdem ist es kein Wunder, daß das Werk sich bis heute im Operetten-Repertoire behaupten konnte. Und eigentlich doch wieder ein Wunder, wenn man bedenkt, daß es meist im Silvester-Abo von Provinzbühnen als Klamauk verheizt wird. Für Offenbachs immer auch elegante Musik, der ja Melancholie durchaus nicht fremd ist, braucht es ein gewisses Fingerspitzengefühl, damit ihre Originalität zur Geltung kommt.

Nach seinem ungemein spritzigen (und komischen!) "Orpheus in der Unterwelt" von 1998 (an dieser Stelle ein diskreter Tip: die Referenzaufnahme für Offenbachs Geniestreich) hat sich Marc Minkowski mit den Musiciens du Louvre nun auch der "Schönen Helena" angenommen. Erstmalig - seit der Uraufführung - wieder in der rekonstruierten "Original-Fassung". Und mit "Original-Instrumenten". Dazu eine Sängertruppe, die in allen Rollen perfekt besetzt ist. Allen voran Felicity Lott, die ihrer Helena in einer sängerischen und schauspielerischen Glanzleistung alle Facetten abgewinnt: die reifere, um Würde und Verstand ringende First Lady ebenso wie die leicht hysterische Hausfrau, die sich ihre verdrängten Leidenschaften nicht so recht eingestehen möchte. Diese weckt Yann Beuron als viriler Naturbursche Paris mit tenoralem Schmelz. Michel Sénéchal gibt einen wunderbar zerknautschen Menelas. Marie-Ange Todorovitchs Oreste kommt einem in ihrem knalligen Chanson im 1. Akt vor wie Cherubino auf Speed.

Auch die übrigen Sängerinnen und Sänger sind ganz auf Charme und Humor von Offenbachs Musik eingeschworen. Getragen werden sie von Minkowskis kongenialem Dirigat. Da wird nichts krampfhaft komisch oder platt dahingedudelt. Die Musiciens du Louvre, bislang bekannt als Spezialensemble für Barockmusik, schaffen mühelos den Sprung in die Opera Comique. Bei ihrem ebenso prägnanten wie tänzerischem Spiel wird verständlich, warum der Kritiker Lous Lemaître 1886 bei der Wiederaufnahme des Werkes schrieb: "Diese Musik ist einfach wunderbar, so zart, so leicht, so elegant noch in den gewagtesten, fast hätte ich gesagt attischsten Einfällen ... Wir wissen heut nicht genau, wie der attische Geist aussah; aber wenn man darunter Leichtigkeit, Klarheit, Maß und Anmut versteht, etwas, was an ein glückliches und leichtes Leben und einem leuchtenden Himmel erinnert ... kann man dann die Partitur der Schönen Helena nicht attisch nennen?"

Repertoire: 5
Interpretation: 5
Klang: 5 (Livemittschnitt)
Präsentation: 5

20 von 20 Punkte

Georg Henkel

Bezugsmöglichkeiten:
In den meisten CD Läden oder direkt hier online bestellen.

 

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