Station 17

Scheibe


Info
Musikrichtung: Handicap Pop

VÖ: 05.09.1997

(What‘s so funny about)

Gesamtspielzeit: 68:10


Scheibe ist alles andere als eine gewöhnliche Scheibe. Ich habe das Album leider nie ohne Vorinformationen gehört. Vielleicht solltet Ihr es hören, bevor Ihr die Review lest, die ein wenig Hintergrund geben muss. Mehr Hintergrund bekommt Ihr in meiner monatlichen Kolumne, auf Grund der diese Review überhaupt geschrieben wird.

Insbesondere über den schrägen Gesang hätte ich mich gewundert. Der Text von „Vernichtungsmaid“ besteht z.B. lediglich aus den ständig wiederholten Worten „Engel der Vernichtung“. „Quiek Quiek“ ist lautmalerisches Schweinchengrunzen. „Das Mädchen am Pier“ ist völlig verstrahlt. „Überall lauert Gefahr“ ist ein kindlich naives Bekenntnis davor Angst zu haben. Das eröffnende „1 fach Denken“ ist eine Reflektion darüber, wo die Gedanken herkommen – extrem naiv formuliert, aber auch überraschend tiefschürfend.

Das Geheimnis hinter Station 17 verbirgt sich in seinem Namen. Stationen gib es in Krankenhäusern und Kliniken. Der Musiker Kay Boysen arbeitete als Betreuer in einer Wohngruppe geistig Behinderter in der evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg und machte gelegentlich Musik mit den Bewohnern der Wohngruppe. Ihre kreativen Fähigkeiten brachten ihn dazu sie mit professionellen Musikern zusammen zu bringen. Das Ergebnis ist Station 17, die 1988 von drei CDs bereits insgesamt 10.000 Exemplare verkauft hatten.

Von der Struktur her liefern normal behinderte Musiker (wie du und ich) wohl die Grundstrukturen und die geistig Behinderten improvisieren dazu zum Teil auf eigens gestalteten Instrumenten. Dass dabei Stücke entstehen, die man durchaus auch in einer Disco einsetzen könnte, ist nicht völlig überraschend.

Das Interessante sind die Texte. Und hier bin ich mir recht unsicher, wie sie entstanden sind. Bei einigen, z.B. dem bereits erwähnten „Engel der Vernichtung“, bin ich mir relativ sicher, dass der „Gesang“ als Sample auf die Musik gelegt wurde. Bei andern könnte ich mir vorstellen, dass hier zur Musik quasi gerappt wurde, wenn auch in anderer Ästhetik – zum Beispiel in den ebenfalls bereits erwähnten Titlen „Überall lauert Gefahr“ und „1 fach Denken“.

Dann gibt es wieder Textzeilen, die offenkundig bei anderen Künstlern aufgeschnappt wurden: „Oh Susi“ bei Frank Zander, „Verpiß Dich“ bei Tic Tac Toe, „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ bei Paul Kuhn oder von dem Volkslied „Ein Hund kam in die Küche“.

Letztlich lässt sich dieses Album nicht objektiv bewerten. Aber da es auch noch nach 25 Jahren Spaß macht es zu hören, hat es den Test of Time definitiv bestanden.



Norbert von Fransecky



Trackliste
11 fach denken 4:38
2Ich und ich 3:33
3Quiek Quiek 1:52
4Überdruck unter Dampf 3:01
5Oh Susi 5:35
6Das Mädchen am Pier 2:19
7Weg nach Nirgendwo 4:53
8Vernichtungsmaid 2:47
9Tik Tak 3:22
10Es gibt kein Bier auf Hawaii 1:25
11Überall lauert Gefahr 2:11
12Cola lite 4:25
13Klötze & Perlen 2:41
14Jesus hat gesagt 3:00
15Herzilein 2:35
16Verpiss' Dich 4:07
17Feuerwasser 2:13
18Ein Hund kam in die Küche 5:11
19Time to say vorbei 4:47
20Meeresrauschen / Brandung 3:45
Besetzung

Karl Heinz Ott (Voc <10,14,18>, Akkordeon <18>, Kamm <10>, Sitar <10>)
Karl Heinz Hille (Voc <7,8,11>, Keys <7>)
Hors Becker (Voc <5,16>, Git <5>, Effekt-Git <1>)
Thorsten Nürnberger (Voc <13,17>, Keys <17>)
Anita Grönig (Voc <6,19>)
Andreas Lehrke (Voc <2,12>)
Hannelore Friedrichs (Voc <15>, Geräusch-Gitarre <8,11>)
Willy Müller (Voc <10>, Schlitztrommel <18>)
Birgit Hohnen (Voc <1>)
Dirk Regenhardt (Voc <3>)
Manfred Müller (2. Voc <3>)
Uwe Bender (Voc <4>)
Andreas Lehrke (Voc <9>)

Kay Boysen (Keys <1>, Git <2,7,13>, B <4,10,15,17,18>)
Thomas Maier (Git <4,5,15,16,17,18>, B <6>, Dr <10>)
Giesbert Kellersmann (Git <16>, B <1,2,7,9,16>)
Andreas Grützner (Git <11>)
Thomas Maier (Effekt-Git <1>, Dr <8>)
F.M. Einheit (Sampler <3,8,13,15>)
Wolfgang Kiebach (Keys <1,12,16>)
Andrea Trumm (Perc <4,5,13,16,18>)
Harre Kühnast (Dr <1,2,7,12>, Keys <5,9>)
Stefan Walter (Keys <2,12>)
Siegfried Stuhlert (Keys <8,11>)
Hansjürgen Witt (Keys <12,16>)
Günther Fuchs (Keys <14>)
Michael Schlapkohl (Keys <9>)
Rüdiger Hirt (Sax <4>, Klarinette <18>)
Bernd Kaczmarek (Akkordeon <6,19>)
Kurt Eske (Mundharmonika <4>)
Alsterdorf (Geräusche <20>



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