Bach, J. S. (Staier, A.)

Wohltemperiertes Klavier I


Info
Musikrichtung: Barock / Cembalo

VÖ: 13.01.2023

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2021 / HMM 902680.81)

Gesamtspielzeit: 109:13



AUF DER BAROCKEN KLANGBÜHNE

Ohne den zweiten Lockdown gäbe es diese Einspielung wohl nicht. Ursprünglich wollte Andreas Staier nämlich nur das stilistisch vielfältigere und kompositorisch reifere 2. Buch von J. S. Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ einspielen. Doch dann war einfach doch viel mehr Zeit verfügbar als gedacht. So erscheint jetzt auch der erste Teil, den Staier ebenfalls auf seinem großen Cembalo-Nachbau nach einem Original von Hieronymus Albrecht Hass eingespielt hat. Mit seinem zusätzlichen Nasal- sowie einem 16-Fuß-Bass-Register verfügt es über mehr Farben als das barocke Standardinstrument. Damit hat Staier schon beim 2. Teil viele der so sattsam bekannten Stücke auf erfrischende Weise „orchestriert“. Dazu kommt sein bewegliches Spiel, so dass man statt strenger Finger- und Fugen-Exerzitien eine lebendig und spontan wirkende Lesart jetzt auch des ersten Bandes geboten bekommen.

Bach-Staiers Dramaturgie der Kontraste treibt den Zyklus in dieser Gesamteinspielung voran, führt sozusagen durch eine Folge barocker Räume: erhaben oder verspielt, mal intim ausgestattet, dann wieder blendend virtuos dekoriert, mit Blick für launige Details.
Gleich das eröffnende C-Dur-Präludium, das ja praktisch nur aus gebrochenen Akkorden besteht, wird durch das verwendete Lautenregister in ein Harfenkonzert verwandelt. Erhaben und vollgriffig schließt daran die erste Fuge an: Durchaus streng genommen, aber nicht zu steif oder eckig, dabei silbrig funkelnd.
Beim nächsten Präludium kommt dann das volle „Werk“ zum Einsatz, inklusive 16-Fuß-Fundament. Das tönt nicht lauter, aber dunkler, substanzreicher und ist von einer gewissen Monumentalität. Anders koloriert folgt die dazugehörige Fuge, Staier präsentiert sie durchlichtet und transparent.
Bei anderen Paaren betont Staier das Mit- oder Gegeneinander von Gravitas und konzertanter Spielfreude, Theatralik und Ernst, Melancholie und Tanz oder die Konfrontation von rhythmischer Pulsation mit kontrapunktischem Konstruktivismus. Kurz: Bachs Kosmos erscheint auf der historisch-informierten Cembalo-Klangbühne sehr kurzweilig und gar nicht betagt!

Dabei ist es gar nicht so entscheidend, ob man dieses oder jenes Stück nicht auch anders, schneller oder langsamer, zurückhaltender oder volltönender anlegen könnte – es ist die offene musikantische Haltung des Interpreten und seine Freude an der Profilierung der unterschiedlichen Charaktere, die dieses Einspielung wieder zu einem gelungenen und für die Zuhörenden immer wieder überraschenden und genussvollen Wurf machen. Auch klanglich bleiben keine Wünsche offen.



Georg Henkel



Besetzung

Andreas Staier, Cembalo nach H. A. Hass (Hamburg 1734)


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