Couperin, Ch. - Couperin, F. – Couperin, L. (Sailly, B.)

Louis, Charles, François (?) Couperin – Pièces de Clavecin


Info
Musikrichtung: Barock Cembalo

VÖ: 05.02.2021

(Ricercar / Note 1 / CD / 2020 / Best. Nr. RIC 427)

Gesamtspielzeit: 66:44



FAMILIENBANDE

„Who did it?“ – Diese Krimi-Frage beschäftigt den Cembalisten Brice Sailly auf seinem neuen Album mit Cembalomusik der Gebrüder Couperin, die im frühen 17. Jahrhundert die französische Musikszene bereicherten. Üblicherweise werden die meisten hier eingespielten Stücke Louis Couperin zugeschrieben, der in recht jungen Jahren verstarb, aber in Paris und bei Hofe stärkste Eindrücke als Komponist von fortschrittlicher Cembalomusik hinterließ. Fortschrittlich, das meint: Stücke, die das Instrument in sein eigenes Recht setzten und nicht auf seine Möglichkeiten als mechanisierte Laute beschränkten.
Doch stammen wirklich alle der ihm zugeschriebenen Stücke von Louis? Schon die Zeitgenossen waren sich nicht ganz sicher: Sein Bruder Charles, der Vater des später als "François le Grand" bekanntesten Sprößlings der Couperin-Dynastie, käme als begabter Cembalist und Organist ebenfalls für manche der Stücke in Frage, verstarb freilich auch recht früh. Anders als sein anderer Bruder François (praktisch als François I. bezeichnet), der den Anfang des 18. Jahrhunderts noch erlebte und als renommierter Lehrer für dieses Repertoire auch ein Kandidat für diverse Kompositionen wäre.
Aber vielleicht haben auch alle drei wie in einem Familienbetrieb zusammen gearbeitet und sich gegenseitig mit Werken versorgt, die dann jeder einzelne von ihnen nach eigenem Können und Gusto bearbeitet hätte. Oder jeder hat sich bestimmten Genres zugewandt, in denen er Meister war: Deklamatorische Préludes stammten dann vom einen, elegante Tänzen vom anderen. Für manche kontrapunktischen Komplexitäten wäre wieder ein anderer Couperin der Fachmann gewesen.

Wir werden es wohl nie so genau wissen. Was überhaupt nichts macht, denn die Musik der Couperins spricht für sich selbst. Oder singt. Oder tanzt: Manchmal in erhabener, barocker Gravität, dann wieder elastisch und federnd; hier mit überschäumenden Verzierungen geradezu knisternd elektrisch, dort in schwermütiger Versunkenheit meditierend. Mal leichthändig, dann wieder vollgriffig. Manches kommt noch hörbar von den experimentellen Toccaten Frescobaldis und dem freundschaftlichen Austausch mit Johann Jacob Froberger her, von dem Louis – oder wer auch immer – gerne auch mal Passagen zitiert. Anderes scheint wie eine Vorahnung jener zarten Rokoko-Porträts, mit denen der spätere Couperin, der Große François, im 18. Jahrhundert das Werk seiner Vorfahren krönte.

In jedem Fall überzeugt das gleichermaßen energetisch und delikat nuancierte Spiel von Brice Sailly, der die Möglichkeiten seines Instruments auskostet. Jedes Stück bekommt seine eigene Farbe, entfaltet sich in seinem individuellen Charakter auf der breiten Skala zwischen verinnerlichter Betrachtung und virtuosem Tanz. Leider erfährt man über diesen Nachbau eines Instruments von Tibaut de Tolose (Émile Jobin, 2005) keine Einzelheiten.
Es klingt jedenfalls herrlich: Glockig-erdig-mineralisch, mit einem brillanten Oberton-Lüster bei voller Registrierung, aber auch gedämpfterem Farbspektrum bei den verschiedenen Register-Kombinationen. Der präsente, direkte Klang, den man im Konzert wohl kaum so erleben wird, ist gleichwohl nicht penetrant (zu Beginn von Track 16 und vielleicht auch später noch in diesem Stück scheint es hingegen kleine Fehler bei der Pressung gegeben zu haben, so dass sich einzelne Töne doppeln).
Vielmehr kann man in dieser Aufnahme die vielen Facetten des Instruments, seine subtilen Register-Abstufungen in Dynamik und Farben, sehr schön hören. Ohne weiteres ist nachvollziehbar, warum sich das Cembalo in Frankreich länger als anderswo gegenüber dem Pianoforte behaupten konnte.

Am Ende bleibt das Autoren-Rätsel ungelöst. Und auch die Musik bewahrt ihre Geheimnisse, ihre herben Schönheiten kann man erleben, aber nicht „verstehen“ – selbst wenn ihre Kunstfertigkeiten unter Saillys Händen so selbstverständlich dargeboten werden.



Georg Henkel



Besetzung

Brice Sailly, Cembalo


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>