Charpentier, M.-A. (Meunier - L. - Van Mechelen, R.)

La Descente d'Orphee aux Enfers


Info
Musikrichtung: Barock - Ensemble

VÖ: 10.01.2020

(Alpha / 2 CD / DDD / 2019 / Best. Nr. Alpha 566)

Gesamtspielzeit: 82:22



ALTMEISTERLICHE SCHÖNHEIT

Marc-Antoine Charpentiers kleine Barockoper "La Descente d'Orphee aux Enfers" erfreut sich aufgrund ihrer hohen Qualitäten und intimen Besetzung seit einiger Zeit bei den jüngeren Barockensembles großer Beliebtheit. Gewiss ist sie leichter zu realisieren als eine große Oper, die ein großes Orchester, Solisten und einen Chor benötigt. Freilich ist bei Charpentier, der dieses Werk einst für das Hausensemble seiner adeligen Mäzenin komponierte, jeder Musiker ungleich mehr gefordert, kommt es doch auf jede Stimme, auf jede Nuance an: Alle Beteiligten sind sowohl "Ensemble" wie auch "Solisten". Die zehn Sänger*innen und eben so viele Instrumentalisten müssen nicht weniger an Ausdruck, Stimmungen und Farben aufbieten als für eine ausgewachsene Oper.

Für die jüngste Produktion haben sich der Tenor Reinoud van Mechelen, der auch die Hauptrolle singt, und sein Orchester "A Nocte Temporis" mit Lionel Meunier und dessen Vokalensemble "Vox Luminis" zusammengetan. Und wieder erstaunt die Wandlungsfähigkeit der Musik: Kürzlich noch hatte das "Ensemble Desmarest" unter Ronan Khalil dem Werk einen gewissermaßen modernen "Sound" mit historischen Instrumenten verpasst, hatte Schlagzeug hinzugefügt, die Klangfarben und Tempi "hoch ausgesteuert" und überhaupt alle Möglichkeiten genutzt, die Kontrate zuzuspitzen und aufregend klingen zu lassen.

Van Mechelen und Meunier dagegen halten sich wieder eng an die überlieferte handschriftliche Partitur Charpentiers, allenfalls eine kleine Orgel darf sich mit dem obligaten Cembalo abwechseln, um die verbürgte Palette an Klangfarben - Flöten, Violinen, Gamben - im Bass zu bereichern.
Noch bemerkenswerter ist die noble Zurückhaltung beim Ausdruck und diskrete Verlangsamung der Tempi. Es ist mit rund 62 Minuten die längste der verfügbaren Einspielungen (die übrigen bewegen sich um ca. 55 Minuten).
Damit kein Missverständnis aufkommt: Dieser Abstieg des Orpheus in die Unterwelt ist deswegen nicht weniger "dramatisch" als bei den anderen Interpreten, er verlagert die Geschichte allerdings konsequent nach innen, lauscht sozusagen in die von Charpentier sorgsam auskomponierte Musik und in die Seelenbefindelichkeiten der Figuren hinein. Die Interpreten kosten die exquisiten Volkallinien, die Harmonien und Klangfarben aus. Man hört die Verwurzelung der "Luministen" in der alten Musik, v. a. in der Musik der Bachfamlie. Eben jene Tiefe, die sie in der deutschen Barockmusik entdecken, fördern sie auch bei Charpentier zu Tage. Dieser "Orphee" leuchtet von innen.
Und van Mechelen steuert mit seiner klaren Stimmfarbe genau den richtigen Ton bei, wobei er als Orpheus von herrlich sonoren Gambenklängen regelrecht umhüllt wird - man glaubt sofort, dass dieser Pluto und die Unterweltgeister mit seinem Gesang und "Lyra"-Spiel betört und am Ende Eurydike heimführen darf. Wobei Charpentiers Oper nach zwei Akten endet. Ihr Thema ist der Abstieg, "La Descente" - den Aufstieg und den bekannten tragischen Schluss der Geschichte überließ der Komponist offenbar der Fantasie seines gebildeten Publikums.

Charpentier hat sich vor seiner Minioper noch in der quasi-oratorischen Kantate "Orphée descendant aux Enfers" mit dem Stoff befasst. Die Kopplung auf einer CD ist sinnvoll und bereichert das Repertoire, denn die Kantate wurde bislang seltener eingespielt.
Hier hört man Orpheus allein bzw. im "Dialog" mit zwei Unterweltgeistern. Das Werk ist nicht minder qualitätvoll wie der Nachfolger. Auch hier: eine erlesene Tongebung, blühende Instrumentalfarben, delikat ausschwingende melodische Linien - wieder sehr eindrücklich: van Mechelen - und die Fähigkeit, die Zeit buchstäblich anzuhalten und den Moment auszukosten, damit keine der Schönheiten der Partitur verloren geht. Eine im besten Sinne "altmeisterliche" Auffassung des Werks. Am Hörgenuss hat auch der Resonanzraum mit seiner diskret eingefangenen Kirchenakustik einen wesentlichen Anteil.



Georg Henkel



Trackliste
01-06 Orphée descendant aux Enfers, H.471
07-32 La descente d'Orphée aux Enfers, H.488
Besetzung

Deborah Cachet, Zsuzsi Toth, Reinoud van Mechelen, Lionel Meunier u. a.

Vox Luminis
A Nocte Temporis


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