Vincent Herring wählt in Jever Sonne statt Trump




Info
Künstler: Vincent Herring & Soul Chemistry

Zeit: 05.02.2020

Ort: Rathaus Jever (Graf-Anton-Günther-Saal)

Besucher: ca. 130

Veranstalter: Jazzakademie an der Nordsee in Jever

Fotograf: Wolfgang Giese

Internet:
https://www.vincentherring.com/
https://www.jazzakademie-nordsee.de/

Nach dem hervorragenden Konzert am 1. Dezember letzten Jahres mit Valery Ponomarev stellte sich nun die Band des US-amerikanischen Jazz-Saxofonisten Vincent Herring vor, die Soul Chemistry. Stets mit dabei in dieser Formation sind der Bassist Essiet Okon Essiet aus den USA, und der Schweizer Schlagzeuger Joris Dudli, der bereits bei Valery Ponomarev dieses Amt bekleidete. Die Pianisten wechseln öfter und nun war es der junge deutsche Pianist Urs Hager, Jahrgang 1996, der auf Empfehlung von Dudli die Band verstärkte, wie Vincent Herring später bei der Vorstellung bemerkte, er sei noch »green«, aber nach einigen Konzerten war er dann überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben, obwohl er ihn jedes Mal bei der Vorstellung noch ein wenig ärgern musste bei der Präsentation des Namens des „Greenhorns“. Jedoch avancierte Hager im Laufe des Abends durchaus zu einem Publikumsliebling. Und so ist es dann auch wahrzunehmen gewesen, Hager ergänzte die 'älteren Herrschaften' der Band vorzüglich mit frischem und innovativem Spiel und reihte sich mühelos in den Reigen der improvisationsfreudigen und ideenreichen Musiker ein.

Im Übrigen sei noch zu erwähnen, dass nicht nur Valery Ponomarev, sondern auch Vincent Herring und Essiet Okon Essiet in Diensten von Art Blakeys Jazz Messengers waren, einer wahren Talentschmiede, und auch heute wurde bewiesen, dass Art damals ein gutes Händchen hatte. Denn sowohl Herring als auch Essiet erwiesen sich als hervorragende Musiker auf hohem Niveau. Herring verdiente sich seine Sporen unter anderem in den Bands von Lionel Hampton und Nat Adderley, neben Blakey spielte er mit solchen Größen wie Cedar Walton, Freddie Hubbard, Dizzy Gillespie oder Horace Silver. Am heutigen Abend konnte man auf jeden Fall eine starke Ausprägung seines Spiels auf dem Altsaxofon zu Charlie Parker und Cannonball Adderley vernehmen, mittlerweile jedoch mit einem persönlichen Anstrich ausgestattet. Darüber hinaus war sein Ton mitunter stark verwurzelt im Blues und Rhythm & Blues. Denn neben Jazz ab der Ära des Bebops über Hard Bop reichte die Palette bis hin zum Soul Jazz und teilweise zur Fusion.
Kontrabassist Essiet Okon Essiet

Essiet Essiet kann ebenfalls auf eine lange Reihe musikalischer Erfahrungen und Partner zurückgreifen, davon zeugen Aufnahmen und Auftritte mit Abdullah Ibrahim (Dollar Brand), Bobby Watson, Billy Cobham, Bobby Hutcherson, Kenny Barron, Freddie Hubbard und anderen. Entsprechend war sein Stil sehr individuell geprägt, auch zu Assoziationen verleitend, zu anderen Bassisten wie zum Beispiel Ron Carter.

Unterstützt von dem noch jungen Urs Hager und dem sehr erfahrenen Schlagzeuger Joris Dudli, mit Art Farmer, Johnny Griffin, Benny Golson, Chico Freeman und Joe Henderson seien nur seine bekanntesten musikalischen Partner genannt, stand einer qualitativ hochwertigen Show also nichts mehr im Wege.

Wie bereits im letzten Jahr wurde das Konzert eingeleitet durch die Master Class der Jazzakademie Jever. Dem Auftritt voraus ging ein vorheriger vierstündiger Workshop der Teilnehmer mit Vincent Herring. Zwei Sängerinnen, jeweils zwei Besetzungen an Bass und Schlagzeug, ein Saxofonist, ein Keyboarder und ein Gitarrist stellten innerhalb einer guten halben Stunde wechselnd verschiedene Klassiker des Jazz bzw. des Great American Songbooks vor, unter anderem "My Foolish Heart", "Nature Boy" und zum Schluss eine gute Interpretation des Stückes von Freddie Hubbard, "Red Clay", mit einer groovenden Funk-Ausprägung.

Anschließend startete das Hauptkonzert, auf unterhaltsame und teils scharfzüngige und augenzwinkernde Weise von Herring moderiert, mit einem schnellen Stück, dass sogleich die Stärke des Bassisten offenbarte. Mit seinen Fingern schien er auf dem Bass elegant und fließend spazieren zu gehen – stilistisch hatte er, wie er mir später erklärte, wohl unbewusst, den typischen Walking Bass von Willie Dixon integriert, jedenfalls war das mein Eindruck – und trieb zusammen mit Dudli die Solisten unermüdlich an. Die Einleitung erfolgte zugleich mit der Vorstellung aller Musiker mit jeweiligen solistischen Einlagen. Ganz anderer Art war der zweite Song, das war eine Interpretation von Stevie Wonders "You Are The Sunshine Of My Life". Ein großartiges Spielfeld für den Drummer Dudli – mit einem ausdrucksstarken Solo – eröffnete sich mit dem schnellen "Ojos De Rojo" (Eyes Of Red) von Cedar Walton. Einer emotional gestalteten Ballade mit Hauptaugenmerk auf Hager am Piano folgte eine Eigenkomposition von Herring, die er seinen Angaben zufolge eigentlich "Die Trump Die" nennen wollte, doch letztlich wurde daraus "The Sun Will Shine Again". Nun, das wäre wohl auch eine Folge des ursprünglichen Titels, oder?

Bandleader Vincent Herring

Im zweiten Set fühlte sich Herring offenbar „genötigt“, wie er augenzwinkernd angab, auch Kompositionen von Joris Dudli vorzustellen. Aber – so seine Ausführungen, mit dieser Band würde man nur die guten übernehmen, den Rest könne Dudli mit seiner eigenen Band spielen. Und man präsentierte mit "Boundaries Expanded" einen wirklich hervorragenden Song, der das kompositorische Talent des Schlagzeugers eindrucksvoll belegte. Eingeleitet wurde es vom Pianisten mit einem Zitat aus der klassischen Musik, letztlich wurde das Stück eine grandiose Vorstellung für Essiet, der mit seinem Bass unglaubliche Techniken vollführte, hier erinnerte er mich ganz stark an den Kollegen Stanley Clarke hinsichtlich des Ausdrucks. Eine weitere Dudli-Komposition folgte mit "The Many Ways Of Desire", ferner erlebten wir einen furiosen Aufbruch in das hitzige Zeitalter des Be Bops mit einer Interpretation Gershwin’s "Strike Up The Band", mit einem höllischen Tempo und starken Reminiszenzen an Charlie Parker hinsichtlich des wilden Spiels von Herring. Zwischenzeitlich stellte dieser auch sein spezielles Altsaxofon vor, eigens für ihn von Yamaha gefertigt, genannt 'The Dragon', enthält es doch zahlreiche Drachenmotive, inklusive aller Funktionsteile.

"You’re My Everything" war der letzte Song, »dedicated to all the beautiful Fräuleins«, und nach großem Beifall inklusive Standing Ovations gab es eine Zugabe mit einem Blues. Blues, wie wir ihn alle haben, so Herring, sei es, dass man all' sein Geld verloren habe, oder die Frau fortgegangen sei, oder – noch schlimmer, wenn die Frau mit dem ganzen Geld verschwunden sei. Wie auch immer, mit einem soulvollen Blues wurde ein sehr guter Schlusspunkt unter dieses gut zweistündige Konzert gesetzt. Und noch einmal geht mein Dank an Martin Dehrendorf und die Jazzakademie an der Nordsee für die Realisierung dieses Konzerts.


Besetzung:
Vincent Herring (alto saxophone)
Urs Hager (piano, electric piano)
Essiet Okon Essiet (upright bass)
Joris Dudli (drums)


Wolfgang Giese



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