Musik an sich


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Gudmundsen-Holmgreen, P. (Hillier)

The Natural World of Pelle Gudmundsen-Holmgreen


Info
Musikrichtung: Neue Musik vokal

VÖ: 17.01.2011

(Dacapo / Naxos / SACD hybrid / 2010 / Best. Nr. 6.220583)

Gesamtspielzeit: 70:57


Dass ein Vokalafficionado wie Paul Hillier sich für einen Komponisten wie den 1932 geborenen Pelle Gudmundsen-Holmgreen begeistert, lässt sich leicht nachvollziehen: Diese oft ätherische, niemals verstörende Moderne wurzelt trotz manch ungewöhnlicher Gesangstechnik in jener erlesenen Spät-Renaissance-Vokalästhetik, die Hillier und das von ihm mitbegründete (und über 15 Jahre geleitete) Hilliard-Ensemble exemplarisch gepflegt haben. Inzwischen ist Hillier Leiter des dänischen Ensemble Ars Nova Copenhagen; auch im Großen kultiviert er einen unverwechselbaren Schönklang und eine betörende Homogenität. So ist dieser Kammerchor ein perfektes Instrument für die (relative) „Neue Einfachheit“, die Gudmundsen-Holmgreens Kompositionen auszeichnet. Frappierend, wie nahe Gudmundsen-Holmgreens Zyklus Eksempler aus dem Jahre 1970 der Musik Arvo Pärts kommt – der hat seinen sekund- und dreiklangsseligen Tintinabuli-Stil aber erst ab 1976 etabliert. Offenbar lag der Geist der Reduktion damals einfach in der Luft.

Auch bei Gudmundsen-Holmgreen gibt es diese leeren Intervalle, mit verführerischen Sekund- und Nonenreibungen an den Rändern, ohne dass daraus aber wie bei Pärt ein geschlossenes musikalisches System würde. Die aparten harmonischen Trübungen und nicht abreißenden Spannungsbögen sind nur ein Mittel dieser reichen, anspruchsvollen Musik. Sie wirken freilich auch sehr melancholisch – nordisch, kühl, entrückt – und auf Dauer etwas monoton. Zu schön. Gudmundsen-Holmgreen bietet in solchen Momenten erlesenes Kunsthandwerk. Alte Musik mit neuen, atmosphärischen Klängen, wenn man so will.
Noch ein relativ spätes Werk wie Tre Stadier knüpft an (tier)lautmalerische Madrigale des 16. Jahrhundert an und schafft daraus postmoderne Stilkopien, die allerdings herrlich anzuhören sind und durch die duftige Interpretation der Ars Nova Copenhagen unmittelbar bildmächtig werden. Die finalen Fire Madrigaler fra naturens verden (Vier Madrigale von der natürlichen Welt) wirken da mit ihren avancierteren Vokaltechniken, den vielfältigen Anspielungen sowie humorvollen, ja bizarren Gesten viel aufregender, surrealer, magischer. Für mich ist dieses Beispiel für Gudmundsen-Holmgreens Metastil der überzeugendeste Beitrag auf dieser CD.

Gudmundsen-Holmgreen zeigt in allen Fällen ein großes Gespür für die Möglichkeiten der menschlichen Stimme, für die Mischung von Register- und Klangfarben, für harmonische Licht- und Schattenwirkungen. Auch die Musikalität der dänischen Sprache steht immer außer Frage. Sie klingt! Vor allem, wenn sie so perfekt intoniert wird, wie von Ars Nova Copenhagen. Klangbild: natürliche, leicht distanzierte Kirchenakustik.



Georg Henkel



Trackliste
01-06 Eksempler (1970)
07-09 Igen. Tre Korsatser. Tekster fra Praedikerens Bog (2006)
10-15 6 Enkle Danske Sange for blandet Chor (2002)
16-23 Konstateringer. For Lige Stemmer (1969)
24-26 Tre Stadier (2003)
27-30 Fire Madrigaler fra naturens verden (2001)
Besetzung

Ars Nova Copenhagen

Paul Hillier: Leitung


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