Musik an sich


Reviews
Gluck, Ch. W. (Pina Bausch)

Orpheus und Eurydike (DVD)


Info
Musikrichtung: Oper Ballett

VÖ: 19.11.2009

(BelAir / harmonia mundi / DVD / 2008 / Best.nr. BAC044)

Gesamtspielzeit: 104:00

Internet:

Tanztheater Pina Bausch



ANDENKEN

Die Spitze der Stadt Wuppertal katapultierte sich in der nach oben offenen Geschmacks- und Pietätlosigkeitsskala weit nach oben, als man jüngst das Ableben der Choreographin Pina Bausch unverblümt als Argument dafür heranzog, das Schauspielhaus – Sitz ihres weltberühmten Tanztheaters – umgehend zu schließen und abzureißen. Die Stadt muss sparen, koste es, was es wolle. Tja, Banken sind systemrelevant und bekommen Rettungsschirme, Theater sind bildungs- bzw. gesellschaftsrelevant und werden geschlossen. Das sind die feinen Unterscheide.

Zum Glück wird das Andenken der Künstlerin auf andere Weise und anderorts besser gepflegt. Eine der letzten künstlerischen Betätigungen Pina Bauschs war 2008 die Pariser Neuinszenierung ihres 1975 uraufgeführten Stücks „Orpheus und Eurydike" zur Musik Christoph Willibald Glucks. Den Ballettpart übernahm diesmal nicht Bauschs eigene Compagnie, sondern das Ballett der Pariser Oper.
Vieles von dem, was Pina Bausch ursprünglich revolutionär und gegen vielerlei Widerstände an Gestik und Bewegungsdramaturgie im Tanztheater eingeführt hat, ist heute längst etabliert. Und doch überrascht diese Choreographie noch immer. Rhythmus und Ausdruck der Musik wie auch der Textgehaltwerden zwar konsequent aufgenommen, dennoch aber ist der Tanz nie illustrativ, eher intuitiv assoziierend. Geschaffen wird so neben der Musik und dem (auf Deutsch) gesungenen Text eine dritte Ebene, die man vielleicht am ehesten als die Metaebene unter diesen dreien bezeichnen mag: in ihrer unmittelbaren Emotionalität so intensiv wie elementar. Die getanzten Figuren bleiben eigenständig interpretierbar und sind dennoch nicht autonom. Auch wer mit dem modernen Tanztheater seine Schwierigkeiten hat, wird an dieser Produktion dennoch gewiss Gefallen finden. Die Bewegungsabläufe sind ungemein fließend, weit mehr als sonst finden sich darin Elemente und Versatzstücke klassischer Ballettfiguren. Ein wahrhaft zwingender Moment gelingt Bausch, wenn sie zu Orpheus berühmter Arie "Ach, ich habe sie verloren" alle Bewegung ersterben lässt - der Tänzer des Orpheus kauert abgewandt in einer Ecke und es agiert minimal nur noch dessen Sängerin. Bausch lässt das Stück übrigens sodann mit einer Wiederholung des Trauerchors aus der Eingangsszene enden - weitaus schlüssiger, als die oft kritisierte Happy End-Lösung der Oper.

Besonders ausdrucksstark tanzen Marie-Agnès Gillot als ätherische Eurydike und Yann Bridard als Orpheus, der (lediglich mit einem fleischfarbenen Höschen angetan) als höchst verletzlicher, den willkürlichen Launen der Götter und Menschen ausgesetzter junger Mann dargestellt wird.

Der bekannten und doch in ihrer unmittelbaren Kraft unverwüstlichen Musik verleiht Thomas Hengelbrock mit seinem schlagkräftigen Balthasar-Neumann Ensemble und Chor die nötige Frische. Dabei nimmt er die Tempi oft überraschend moderat, was dem Tanz sehr zugute kommt und der Dramatik keinerlei Abbruch tut.
Gut gelöst ist das Problem des Einsatzes der Sänger in einer solch „getanzten Oper“. Sie agieren zurückhaltend neben den Tänzern oder am Rand der spärlich ausgestatteten Bühne. Hier gefallen vor allem die Sopranistinnen Julia Kleiter und Sunhae Im (Eurydike und Amor), während man sich von Maria Riccarda Wesselings Orpheus mehr Intensität gewünscht hätte.

Nicht durchweg glücklich gelungen ist die Bildregie. In den großen Ensembleszenen wirken die Schnitte sehr kurzatmig und die Kameraschwenks zur Nachverfolgung einzelner Tänzer hektisch. Der Hang zu einer Beobachtung von Einzelfiguren und Details – jedoch unter Verzicht auf jede Großaufnahme – schmälert den so wichtigen Eindruck des Gesamtgeschehens auf der Bühne. Zugegeben: bei diesem Spagat gerät das Medium Fernsehen/DVD an seine Grenzen. Vielleicht ein Argument, Pina Bauschs Tanztheater möglichst live zu erleben – denn noch existiert das Ensemble, mag auch der Abriss seiner angestammten Spielstätte schon so gut wie beschlossen sein.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Pina Bausch: Choreographie & Regie

Yann Bridard: Orpheus (Tanz)
Maria Riccarda Wesseling: Orpheus (Gesang – Mezzosopran)

Marie-Agnès Gillot: Eurydike (Tanz)
Julia Kleiter: Eurydike (Gesang – Sopran)

Miteki Kudo: Amor (Tanz)
Sunhae Im: Amor (Gesang – Sopran)

Ballet de l´Operá national de Paris

Balthasar-Neumann Ensemble & Chor

Thomas Hengelbrock: musikalische Leitung


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