Musik an sich


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Stockhausen, K. (Stockhausen)

Cosmic Pulses (Klang 13. Stunde)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Elektronik

VÖ: 01.01.2008

Stockhausen Verlag / Stockhausen Verlag / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. CD 91 (Cosmic Pulses)

Gesamtspielzeit: 77:00



UNGEBROCHEN SCHÖPFERISCH II

In schlichten Worten informiert Karlheinz Stockhausen auf seiner Homepage darüber, dass er die Arbeit an seinem monumentalen Opern-Zyklus LICHT am 31. 12. 2002 abgeschlossen habe. Nachdem der Komponist sich über 25 Jahre praktisch ausschließlich seinem musiktheatralischen Gesamtkunstwerk über die sieben Wochentage gewidmet hatte, wäre gewiss niemand über eine großzügig bemessene Auszeit erstaunt gewesen.
Doch der damals 74jährige arbeitete bis zu einem überraschenden Tod im Dezember 2007 unermüdlich an neuen Projekten, 16 Stunden täglich am Schreibtisch waren für ihn ganz normal. Nach den 7 Wochentagen sollte immerhin zunächst eine entsprechende Anzahl von Stücken zu den 24 Stunden des Tages, danach zu den 1440 Minuten eines Tages und schließlich den Sekunden (immerhin 86400!) folgen.

Wer Stockhausen und seine kompromisslose schöpferische Hingabe kannte, wusste, dass diese Ankündigungen tatsächlich ernst gemeint waren. Ebenso wenig, wie er je an der Vollendung seines LICHT-Zyklus gezweifelt zu haben schien, fochten ihn offenbar kreative, körperliche oder technische Bedenken bezüglich der Realisierbarkeit der neuen Kompositionen an.
Nach der Monumentalität der sieben Opern zeichnen sich die unter dem Titel KLANG – Die 24 Stunden des Tages begonnenen Werke durch konzentrierte, oft kammermusikalische Besetzungen aus. Nicht der große finale Knall, sondern Sublimierung und Vergeistigung der Musik waren Stockhausens Ideal. Geblieben ist freilich der Anspruch, Neues zu komponieren, ungehörte Klangwelten zu erschließen und technische Herausforderungen zu meistern, die den meisten Konzertveranstaltern aufgrund der hohen Kosten immer wieder den Schweiß auf die Stirn treiben.
Bis zur 21. Stunde war der neue Zyklus gediehen, als Stockhausen starb. Einundzwanzig Stücke. Das sind drei mal sieben Kompositionen – für einen esoterisch umfassend gebildeten Künstler wie Stockhausen hätte die dreimalige Bestätigung der Vollkommenheit gewiss ihre eigene Logik der Vollendung gehabt.

Beim Stockhausen Verlag, bei dem seit 1991 nach und nach sämtliche Werke – das Verzeichnis nennt 362 einzeln aufführbare Werke – auf CD erscheinen, sind inzwischen auch die ersten Stunden von KLANG erhältlich.
Die immer wieder verblüffende musikalische Bandbreite des späten Stockhausen kann man exemplarisch anhand zweier Kompositionen erkunden, der 2. Stunde mit dem Titel Freude, eine Komposition für zwei Harfen und singende Spielerinnen, sowie der 13. Stunde, eine achtkanalige elektronische Komposition, die den Titel Cosmic Pulses trägt.

KOSMISCHER STRUDEL

Ist das wirklich in beiden Fällen der gleiche Komponist? Was haben die überwiegend feingliedrigen akustischen Figurationen von Freude (KLANG, 2. Stunde) mit dem Malstrohm von Cosmic Pulses gemein? Das Stück ist eine rein elektronische Komposition und für oktophone (achtkanalige) Wiedergabe gedacht. Die Guckkasten-Stereophonie der CD kann also wie so oft bei Stockhausen nur einen beschränkten Eindruck von der Musik vermitteln. Der Komponist hat die Komplexität von Klangbewegungen im Raum auch im Vergleich zu früheren Werken um ein vielfaches potenziert, indem er 24 Schleifen (oder melodisch-rhythmische Schichten) über Lautsprecher im Raum kreisen und die akrobatischsten Kapriolen schlagen lässt.
Der Tonraum umfasst sieben Oktaven. Die tiefste Schicht, Nr. 24, ist zugleich die mit langsamsten „Taktung“, nämlich 9,36 Impulsen pro Minute. Man hört eine „richtige“, wenngleich bizarr-zackige Melodie, die durch metallisch dröhnende Syntheziser-Klangfarben einige Wucht hat. Die höchste Schicht, Nr. 1, weist dagegen 1920 Impulse pro Minute auf und erinnert dadurch mehr an die Signale eines Kurzwellen-Senders. Schicht um Schicht nimmt von unten nach oben die Geschwindigkeit und Pulsfrequenz zu. Mit der Hand ausgesteuerte, frei verteilte Glissandi sowie stufenlose Be- und Entschleunigungen der Schleifen lassen diese „eiern“ und erwecken den Eindruck einer eliptischen Bewegung. Beginnend mit Nr. 24 setzen die Schleifen sukzessive im Abstand von 40 Sekunden ein, bis nach 15’20’’ alle 24 Schleifen gleichzeitig zu hören sind. Ab der 24 Minute klingen die Schleifen in der gleichen Reihenfolge wieder aus, allerdings in kürzeren Abständen. Nach 32 Minunten kommt die Bewegung zum Stillstand.
Die originalen 241 Raumbahnen, auf denen die Schleifen sich bewegen, werden in der Stereo-Wiedergabe naturgemäß arg zusammengedrückt. Dennoch ist die Wirkung der CD eindrucksvoll. Auch wenn die Details der einzelnen Schleifen recht schnell im Gesamtprozess aufgehen, entstehen doch immer wieder größere Wirbel, Kreisel und Ströme, die dem Stück Konsistenz und Kenntlichkeit verleihen. (Für alle Interessierten befinden sich auf der CD neben dem Originalstück auch alle 24 Schleifen in Beispielen von 1’30’’ Länge zum Studium.)
Zu diesen globalen Effekten kommen die aus der Rotation immer wieder hervor blitzenden Momente dazu, wenn z. B. die sehr hohen Pulse und Frequenzen wie Sternschnuppen vorbeiziehen oder sich in der Tiefe machtvolle Pfundnoten vernehmen lassen. Über die 32 Minuten ergeben sich bei insgesamt sehr hohem Tempo immer wieder neue Konstellationen, die auch nach wiederholtem Lauschen nicht ausgehört sind. Der Gesamteindruck dieser Super-Polyphonie-Polyrhythmie ähnelt einem Torus, einem sich in der Horizontalen und Vertikalen drehenden Gebilde. Die Assoziation an Strudel oder Wirbelstürme, mehr aber noch an rotierende Planentensysteme, Galaxien oder Schwarze Löcher drängt sich geradezu auf. Mit diesem „Himmelsflug“ hat Stockhausen einen späten Beitrag zur „Harmonie der Sphären“ komponiert, ohne einfach nur Naturphänomene in Klang zu setzen.
Manche Hörer bemängeln an dem neuen Stück die Massivität und geringe Durchhörbarkeit. Das Stück ist in der Tat sehr kompakt und die Bassschichten sind wirklich in der Lage, Laminat-Böden in Schwingung zu versetzen. Wenn man nicht aufpasst, erzeugt der volle Torus schnell einen akustischen Drehschwindel. Die Unschärfen, die sich notwendig einstellen, erwartete man wohl eher bei einem Stück von György Ligeti. Am besten hört man das Werk wie eine akustische Skulptur an oder besser: als ein kinetisches Klang-Objekt im imaginären Klang-Raum. Synästhetische Assoziationen sind hier vielleicht wichtiger als analytisches Hören. Stockhausen selbst sprach von einem Klang-Experiment, dessen Folgen für sein weiteres Schaffen er selbst noch nicht ganz abschätzen könne. Immerhin bestehen die weiteren Stunden aus Klang im Wesentlichen aus Auskoppelungen diverser Schleifen von Cosmic Pulses, zu denen jeweils hinzukomponierte Stimmen und Instrumente treten.
Erfreulich ist, dass die Synthesizer, auf die Stockhausen seit den 70er Jahren mit unterschiedlichem Erfolg setzt, in diesem Fall weder piepsig noch eindimensional klingen. Offenbar wurden wie bei seinen frühen elektronischen Werken zunächst akustische Klänge aufgenommen und dann weiterverarbeitet. Die Klänge sind obertönig und weisen mitunter eine komplexe Textur auf. Der mitreißende Effekt, den Cosmic Pulses macht, beruht nicht zuletzt auf dieser angemessenen klanglichen Fassung.

Die Aufnahme ist exklusiv gegen Vorkasse (Bar, Scheck oder Überweisung) für € 25.- beim stockhausen-verlag@stockhausen.org erhältlich. Die Versanddauer beträgt ca. zwei Wochen. Ein komplettes Werkverzeichnis, der CD-Katalog und alle weiteren Infos zur Bestellung finden sich auf der genannten Homepage des Komponisten.



Georg Henkel



Trackliste
01 Cosmic Pulses 32:00
02-25 Schleifen 24-1 (je 90 Sekungen mit Ansage des Komponisten)
Besetzung

Cosmic Pulses
Joachim Haas, Gregorio Karman, Antonio Pérez Abellán & Kathinka Pasveer: technische Realisation
Karlheinz Stockhausen: Klangregie


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