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Neal Morse und Jesus Christus auf Doppel-Headliner-Tour



Knapp 30 Stunden vorher bekomme ich die Nachricht, dass Neal Morse - anders als in den enttäuschenden Presseinfos angekündigt – im Rahmen seiner Akustik-Tour doch einen Abstecher nach Berlin machen wird. Schnell werden die Pläne für das Wochenende geändert. Im Kalender steht nun am 13. Februar „19 Uhr, Neal Morse, Christus-Gemeinde“ vermerkt.

Die Christus-Gemeinde entpuppt sich nach meiner Ankunft als einer der alten „Kulturwürfel“ inmitten von Plattenbauten an der (Ost)Berliner Landsberger Allee. Hier hat die 1989 gegründete Freikirche ihr Domizil gefunden. Der einfach zu recht gemachte Gemeindesaal ist eine Mischung zwischen Schulaula und Mehrzweckhalle, in der sich auch eine Aldi-Filiale ohne große Mühe einrichten könnte.

Morse - so erfahre ich später von einem Mitarbeiter der Gemeinde – hat sich zu dem Berlin-Abstecher bereit erklärt, nachdem ein Auftritt in München ausgefallen war. Ein Engagement in Amsterdam hatte er abgesagt, da man ihm dort nur drei Lieder in einem Gottesdienst habe zubilligen wollen. Dass der Auftritt in einer Gemeinde bei freiem Eintritt stattfindet, soll Morses eigener Wunsch gewesen sein. Am Ausgang wurde dann eine Kollekte „für den Flug nach hause“ eingesammelt.

Zwanzig nach sieben betritt der fromm gewordene Prog-Rocker die Bühne. Ihm zur Seite steht ein Percussionist, der vor allem die Holzkiste, auf der sitzt, bearbeitet, und ein Übersetzer, um die oft predigtartigen Ansagen zu übersetzen. Seine Band hat er zu hause gelassen. Dafür stehen ihm bei “Cradle to the Grave“ sein Sohn und bei einem weiteren Song sogar Sohn und Tochter bei.



Was in den nächsten anderthalb Stunden abgeht, ist im strengen Sinn des Wortes weder „solo“ noch ein Konzert. Neben Neal Morse steht durchgehend ein zweiter „Star“ auf der Bühne, der lebt obwohl er bereits vor fast 2.000 Jahren gestorben ist. Morse läßt keine Sekunden lang einen Zweifel daran aufkommen, dass er nicht im eigenen Auftrag auf der Bühne steht. Neben Gitarre und Keyboard sind eine Kladde mit nagelneuen Texten und eine erkennbar gebrauchte Bibel ständig genutzte Utensilien. Morse singt und betet, er predigt und erzählt und er versucht immer wieder das Publikum einzubeziehen.


In diesen Momenten erkennt man die deutliche Zweiteilung im Saal. Während die „Blocks“ rechts und links vor der Bühne auf Morses Aufforderung “Praise the Lord“ ergriffen die Hände in die Höhe heben, um dem Herrn ein Stück näher zu sein, reagiert der „Block“ rechts vorm Mischpult mit rhythmischen Bewegungen oder gar dezentem Headbanging, wenn eins der Spock’s Beard- oder Neal Morse-Stücke erkannt wird.

Auf die muss die Menge im fast vollständig gefüllten Saal allerdings einen Moment warten. Die ersten Minuten gehören neuen Songs. Wenn das, was hier zu hören war, typisch für die zukünftigen Werke von Neal Morse sein sollte, kann man sich auf Texte einstellen, die stark von konkreten Bibelstellen angeregt sind und eine Art frommen Kommentar zu ihnen darstellen. Wie das Ganze sich musikalisch entwickeln wird, ist dagegen weniger vorhersehbar. Der Songwriter-Akzent dürfte sicher auch dem besonderen Charakter des Abends geschuldet sein.


Mit “We all need some Light“ leitet Morse dann zu dem Teil des Abends über, in dem Auszüge aus Testimony und One zu hören waren. Eine musikalische Offenbarung war das sicher nicht. Die fast durchgehend nur mit der Gitarre begleitete Performance blieb dann doch etwas eindimensional. Warum das Keyboard nicht häufiger zum Einsatz kam, ist mir schleierhaft. Und die von mir bereits in der Rezi zu One angesprochene Limitiertheit von Morses Stimme kam bei diesem Akustik-Set besonders stark zum Tragen.

Dennoch gelang es dem predigenden Sänger zum Ende mit “the first song I ever sang in a church“, „Sing it high“ den Saal zum Kochen zu bringen. Und spätestens hier waren auch sämtliche Gräben zwischen freikirchlicher und Prog-Gemeinde geschlossen.

Ein denkwürdiger Abend, von dem ich außer der Erinnerung noch eine neue CD namens Lead me Lord mitgenommen habe, deren Untertitel The Worship Sesssions Volume One für die Zukunft einiges erhoffen lässt. Review demnächst.


Norbert von Fransecky



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