Musik an sich


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Sammelprogramm (Alpha-Künstler)

"Pastime with Good Company" 1998-2003


Info
Musikrichtung: Sammelprogramm

VÖ: 01.01.2004

Alpha / Note 1 (CD DDD (AD 2002) / Best. Nr. Alpha 901)

Gesamtspielzeit: 55

Internet:

Alpha



GRATULATION!

Das französische Label Alpha feiert seinen fünften Geburtstag. Das ist angesichts der aktuellen Lage auf dem Musikmarkt, wo die traurige Moritat von Freisetzungen und Labelsterben zum Leitmotiv geworden ist, schon etwas Besonderes. Als der gelernte Organist und Software-Marketing-Chef Jean-Paul Combet 1997 die Idee hatte, eine eigene CD zu produzieren, hat er einfach auf seinen Geschmack vertraut: Die Premiere von Alpha war ein Programm mit frühbarocken Sologesängen von Bellerofonte Castaldi (1580-1649), gesungen von der wunderbaren Guillemette Laurens und sensibel begleitet von La Poème Harmonique unter der Leitung des jungen Lautenisten Vincent Dumestre. Also eben das, was unter die Rubrik "für Spezialisten" fällt und gemeinhin nur als begrenzt verkäuflich gilt.
Statt der üblichen Plastikhülle gabs einen schwarzen Papp-Tryptichon mit alter Kunst drauf und drin: das Programm der Alpha-Aufnahmen lautet nämlich 'ut pictura musica' -- Malerei ist stumme Musik, Musik ist klingende Malerei. Im Booklet fanden sich ein zum Bild gehöriger kunstgeschichtlicher Essay von Denis Grenier und eine ausführliche Werkeinführung. Ein paar Künstlerfotos "in action" (Robin Davies) rundeten das Heft ab. Die CD-Oberseite trug elegantes Schwarz. Fertig war jenes typische Design, dass die Alpha-Produktionen schon äußerlich unverwechselbar macht. Augen und Ohren kommen hier gleichermaßen auf ihre Kosten.
Für den stets exquisiten Klang zeichnet Huges Deschaux verantwortlich. Die meisten Aufnahmen werden in der Hospitalkirche Notre-Dame de Bon Secours gemacht, die sich wegen ihrer ebenso leuchtenden wie intimen Akustik für die mehrheitlich kammermusikalischen Besetzungen der Alpha-Produktionen besonders gut eignet.

Alpha etablierte sich just in jenem Augenblick, als die Verkaufszahlen auch in der klassischen Musik insbesondere bei den Marktführern rapide in den Keller gingen. Worte wie "Marktsättigung" und "Überalterung der Hörer" und "Klassik ist tot" machten die Runde. "Übersättigung" wäre vielleicht richtiger gewesen: übersättigt vom Immergleichen, von den totgedudelten Repertoire-Hits, von den mittelmäßigen Aufnahmen sogenannter Stars, von der beliebigen Aufmachung nicht nur der Billig-CDs.
Die erste Alpha-CD bekam nicht nur beste Kritiken, sondern verkaufte sich auch so gut, dass Combet eine weitere Produktion mit den gleichen Künstlern und einem ebenso esoterischen Barock-Programm wagen konnte. Ein weiterer Treffer. Getroffen hat Combet seitdem rund 50 Mal: mit weiteren Künstlern und einem wachsenden Repertoire, das bei einem Schwerpunkt auf Alter Musik gelegentlich auch in die Romantik und zeitgenössische Gefilde vorstößt. Es gibt inzwischen auch eine ganze Reihe von Sponsoren, die ausgewählte Projekte mittragen. 2001 eröffnete Alpha eine zweite Reihe, die sich der mündlich überlieferten Musik widmet: "Les Chants de la terre". Die dort veröffentliche Platte La Tarantella (Alpha 503) schaffte es bis in Krakauer Clubs und gewann gerade den Cannes Classical Award für Alte Musik.
Der wachsende Kreis von Hörern, die das Alpha-Konzept schätzen, läßt hoffen. Er zeigt, dass es Alternativen zum (vemeintlich) "toten" Mainstream und den Musikfabriken gibt. Wegen der CD-Brennerei hat Combet wenig Sorge: Wer zwei gebrannte CDs von Alpha besitze, der kaufe sich spätestens die dritte im Original, weil ihn das Konzept überzeuge!

ORIGINELLES GEBURTSTAGSPROGRAMM

Alpha wäre nicht Alpha, wenn es sich zum Geburtstag nicht etwas besonders einfallen ließe. Üblich sind zu solchen Anlässen Sampler-Programme mit einer Best-Off-Zusammenstellung. Eine klingende Visitenkarte des Labels sozusagen, die Appetit auf mehr machen soll. Nun, Alpha präsentiert eine ausdrücklich seinen Hörern gewidmete exklusive Produktion, auf der all jene Künstler vertreten sind, die in den vergangenen Jahren maßgeblich zum originellen und künstlerisch überzeugenden Profil des Unternehmens beigetragen haben. Und zwar jeweils mit einem eigens für diese CD produzierten Titel. Es sollten persönliche Wunsch- oder Lieblingsstücke der Künstler sein. Herausgekommen ist ein Alpha-Konzentrat, das mit 16 Tracks rund ein Stunde Hörvergnügen und damit beste Unterhaltung garantiert.

Das Ensemble L'Arpeggiata unter Christina Pluhar eröffnet das Programm mit dem "Reinschmeißer" La Rosina, einer ohrwurmverdächtigen Melodie des 15. Jahrhunderts, wie immer hinreißend musiziert in der Mischung von stimmigem Arrangement, Improvisation und Notentreue. Zu L'Arpeggiata gesellt sich im nächsten Track noch der Sänger Marco Beasley mit dem Renaissance-Song Un Cavalier di Spagna, den er kurzerhand um zwei neue Strophen erweitert hat.
Dann der Sprung durch die Jahrhunderte und Genres: Quatuor Habanera spielt einen Tango von Astor Piazolla -- in einer reinen Saxophonbesetzung, die einfach umwerfend klingt und alle Vorurteile gegen eine solches Ensemble gleich mit dem ersten Ton beiseite bläst. Die musikalische Zeitmaschine macht wieder einen Sprung zurück ins Mittelalter, wenn Diabolus in Musica mit Gaudeat ecclesia volkstümliche Sakralmusik präsentiert. Mit dem Largo und Presto aus der Trio-Sonate BWV 1038 entführt das Café Zimmermann in ebensolches: Bach führte dort im Winter in Leipzig Konzerte mit seinen Söhnen und Studenten der Universität auf. Nima Ben David steuert ein Gambenstück von Tobias Hume bei, Gustav Leonhardt bringt sein Cembalo mit einem französichen Prelude von Louis Couperin zum Leuchten.

Jetzt ein völliger Registerwechsel (der zugleich die Perspektive auf eine soeben neu eröffnete Reihe des Labels richtet, die sich dem gesprochenen Wort verschrieben hat): Eugène Green rezitiert, nein deklamiert eine bukolischen Skizze aus einer französischen Anthologie des 17. Jahrhunderts! Bereits Michel Richard Delalandes 'Misere' (Alpha 030) hatte er einen Sermon sur la mort, eine Predigt über den Tod aus der Karzeit 1662 zur Seite gestellt. Klassisches Französisch und barocke Sprachkunst. Das ist nun wirklich eine exotische Idee, die für das Verständnis der wort-fixierten französischen Musik jener Zeit allerdings verblüffende Perspektiven eröffnet. Die Diktion ist höchst artifiziell, der Text wird geradezu sanglich 'auf der Oktave' vorgetragen, pathetisch und zugleich verspielt ...

Solisten wie die Barock-Geigerin Hélène Schmitt, der Organist Frédèric Désenclos oder auch der Sänger Brice Duisit, der den Hörer mit Gesang und Fiedel in die Zeit der Troubadoure entrückt, zeigen im Anschluss ihre Kunst. Dann projiziert der Percussionist und Klangkünstler Joel Grare in seinem Stück Bela Bartok a-t-il souri dans la nuit? eine esoterisch anmutende Klanglandschaft in den Raum. Bruno und Eshter Cocset entbieten mit Cello und Harfe einen englischen Gruß: Sallys Garden - Fisher's Hornpipe - Ladie's Hornpipe. Ebenfalls ins britsche Horn stoßen Les Witches mit dem folkigen Trio Slieve Tussel - Wellington's advance - The three little drummers.
Dazwischen präsentiert aber noch Arthur Schoonderwoerd seine ganz spezielle Version von Beethovens 'Für Elise': auf einem Clavicord, klanglich ein Mittelding zwischen Cembalo und Piano. Das Ergebnis: Hausmusik des frühen 19. Jahrhunderts, die diesem Stück jegliche Clayderman-Süße austreibt und im zweiten Teil geradezu apokalyptische Assoziationen weckt. Zum Abschluss entlassen Le Poème Harmonique den Hörer mit einem betörenden Air von Clément Janequin, dessen sehnsuchtsvolle Melancholie in Claire Lefilliatres leuchtendem Sopran ihr optimales Medium findet.

Es ist die Mischung, die diese CD zu einem Klangabenteuer macht. Eine wunderschöne musikalische Reise, der hoffentlich noch viele weitere folgen werden.



Georg Henkel



Besetzung

Diverse Interpreten


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