Musik an sich


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Rautavaara, E. (Franck)

House of the Sun


Info
Musikrichtung: Oper

VÖ: 01.01.2004

Ondine / Note 1 (2 CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. ODE 1032-2D)

Gesamtspielzeit: 84:29

Internet:

Ondine


TRAGIKOMÖDIE

Eine skurrile und zugleich tragische Geschichte inspirierte den finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara (* 1928) 1990 zu dieser Oper: Im sehr kalten Spätwinter 1987 erfroren zwei alte einsiedlerische Damen in ihrem heruntergekommenen Haus in Littoinen, das den schönen Namen "Solgården", Sonnengarten trug. Es handelte sich um Emigrantinnen, die 1917 mit ihrer ganzen Familie vor den Wirren der Oktoberrevolution aus Petersburg nach Finnland geflohen waren. Die neue Heimat brachte den Vertriebenen trotz (oder vielleicht auch wegen) ihrer aristokratischen Herkunft kein Glück: Weder dem Vater noch dem Sohn gelang es, beruflich Tritt zu fassen. Beide begingen Selbstmord. Durch eigene Hand kam auch älteste Schwester ums Leben, nur die Mutter starb eines 'natürlichen' Todes. Inzwischen hatte die Dienerschaft die verarmte Familie längst verlassen. Übrig blieben die beiden Zwillinge Eleanor und Irene, die von der Dorfbevölkerung schlicht Noora und Riina genannt wurden. Zunehmend wunderlicher und nur in ihren Erinnerungen lebend, hielten sie an ihrem vornehmen Lebensstil fest, auch als es schon längst nichts mehr gab, an dem festgehalten werden konnte ...

Rautavaara interessierten weniger die makabren Ereignisse, als die unwirkliche Phantasiewelt, in die sich die beiden Frauen bis zu ihrem Tod zurückgezogen hatten, unbeirrt vom Wandel der Zeiten, von der zunehmenden Armut und vom Verfall ihres immer spukhafteren Domizils. Um dieses seltsame Paar herum sponn der Komponist (der auch das Libretto schrieb) nun seine Oper House of the Sun, die vor allem um das Ineinanderfließen von Traum und Wirklichkeit, von Vergangenheit und Gegenwart, von Leben und Sterben kreist. Obschon die traurige Familiengeschichte in Rückblenden aufscheint, überwiegt szenisch und musikalisch ein eher lyrischer, bisweilen irrealer Charakter.

MUSIKALISCHE POSTMODERNE

Rautavaara beherrscht sein Handwerk perfekt; er gebietet über eine reiche Palette an Ausdrucks- und Klangmöglichkeiten, die von der Spätromantik über den Impressionismus bis zur Moderne reichen. Seinen aktuellen Stil könnte man am besten als plural bezeichnen: Kantable Melodik wird man ebenso bei ihm finden wie elektronische Klänge, Tonales verbindet sich mühelos mit Atonalem. Jede Szene bekommt die Musik, die sie benötigt, und doch entsteht ein geschlossenes Ganzes: ein vieldimensionaler Klang-Raum, in dessen musikalischen Brechungen das merkwürdige Schicksal der Familie von Sonnig aufscheint.

Verglichen mit manch anderem zeitgenössischen Werk für das Musiktheater ist House of the Sun> geradezu eine Orgie des Wohlklangs. Gefällige Postmoderne? - Ja! Die musikalische Entwicklung bleibt stets transparent. Rautavaara hüllt die exzentrische Szenerie in farbig-schillernde Klangwolken und hat - darin seinen beiden Protagonistinnen einfühlsam folgend - keine Berührungsängste vor gefühlvollen, ja selbst sentimentalen Stimmungen. Im Lyrismus der langen Duette von Riina und Noora scheint die Zeit wirklich aufgehoben. Hier, beim endlosen Kreisen und Schweifen in ihren Erinnerung, sind die beiden ganz bei sich. Die imaginäre Welt ist wirklicher als die 'reale', die freilich als mehr oder weniger bestimmte Bedrohung immer wieder in die Traumwelt eindringt. Besucher - der Postbote, die Gemeindehaushälterin, ein Anwalt, Jungen aus dem Dorf - werden sie von den Schwestern schließlich in die selbstgesponnene Welt integriert und übernehmen die Rolle der verstorbenen Familienmitglieder. Bis zum mehr poetischen denn tragischen Finale.

Mikko Franck leitet das Oulu Symphony Orchestra inspiriert und mit sicherem Instinkt für die subtilen dramatischen Spannungsbögen durch die Filigrane von Rautavaaras Partitur. Dabei wird er durch eine engagierte Riege junger Sänger/innen unterstützt, die die seltsame, manchmal auch erschreckende, vor allem aber anrührende Welt von "Solgården" für rund 85 Minuten zum Leben erwecken.



Georg Henkel



Besetzung

Anna-Kristiina Kaapola (Noora)
Raija Regnell (Riina)
Mia Huhta (Eleanor)
Helena Juntunen (Irene)
Ulla Raiskio (Victoria von Sonnig / Victoria Vilunen)
Jukka Romu (John von Sonnig / Hermesson)
Tuomas Katajala (Victor von Sonnig / Vikke)
Tommi Hakala (Gregor / Rekku)
Markus Nieminen (Alessandro Riccioni / Santeri Rissonen)
Petri Bäckström (Maximilian Holstein)

Oulu Symphony Orchestra

Ltg. Mikko Franck


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