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Undertones

(Berliner, Knaack-Club, 14.02.2004)

Mit der aktuellen Reunion-CD Get what you need und der die Bandgeschichte aufleben lassenden CD-/ DVD Teenage Kicks haben die Undertones nicht nur an die Glanzpunkte ihrer Karriere erinnert, sondern auch unmissverständlich gezeigt, dass mit ihnen noch zu rechnen ist.

Das haben die Fans offenbar verstanden. Im Knaack herrschte jedenfalls eine Sardinenbüchsenatmosphäre, in der man über Nah- und Dschungelkampf-Erfahrungen verfügen musste, um sich vom Eingang bis zu der am entgegengesetzten Ende liegenden Bar zu kämpfen. Aber an Trinken, Klatschen und ähnlich akrobatische Übungen war sowieso nur dann zu denken, wenn die beiden Zweizentner-Brocken rechts und links neben mir zufällig mal in die mir abgewandten Richtungen pogten. Ansonsten war vor allem in der zweiten Hälfte des Konzertes Überlebenskampf und Standsicherung angesagt.

Natürlich stand für viele die bange Frage im Raum, ob die Undertones auch ohne Ausnahme-Fronter Feargal Sharkey überzeugen können. Er wurde durch Paul McLoone ersetzt. Ansonsten stand die Ur-Formation auf der Bühne. Die Frage war nach wenigen Minuten erledigt - oder zumindest vertagt. Denn kaum einem im Raum dürfte es gelungen sein, sich während des Konzertes in eine objektive Distanz zu dem furiosen Wave’n’Roll zu bringen, den man gerade hüpfend und schwitzend miterlebte. Frühestens auf dem Weg nach Hause, kam die Einsicht auf, dass es die magischen Momente, die der Charismatiker Sharkey vor allem auch in ruhigeren Momenten zu gestalten verstand, bei den Undertones 2004 nicht gab.

Den fünf Alt-New Wavern gelang es schnell ihr Publikum in den Griff zu bekommen. Ziemlich genau Punkt 23 Uhr erschienen sie auf der Bühne, um eine gute Stunde lang ein knallendes Tischfeuerwerk nach dem anderen abzubrennen. Das Programm bestand natürlich - wie in der Band-Situation kaum anders zu erwarten - aus Undertones-Klassikern, die in das Gerüst von Get what you need eingebaut waren. Ruhepausen waren nicht eingeplant. Das Gaspedal blieb durchgehend auf dem Bodenblech. Und es ist wohl kein Zufall, dass die neuen Songs nicht nur bruchlos ins Konzept passten, sondern oft besser zündeten, als die alten Sachen. Ohne deren Klassiker-Status wären da möglicherweise sogar einige von durchgefallen.
Zwei echte Knaller kamen schon in den ersten Minuten - der Opener des neuen Albums “Thrill me“ und das wohl bekannteste Undertones-Stück überhaupt, “My perfect Cousin“, das bereits vor dem Auftritt der Band im Durchgang vom Knaack zum angegliederten Dustrial-Cafe von einigen Fans lautstark angestimmt wurde. Was zuerst überraschte, erwies sich später als Segen. “Jimmy Jimmy“ und “Jump Boys“ (Nomen est omen.) lösten die ersten allgemeinen Hüpforgien aus. Bei “Here comes the Summer“ trafen mich die ersten Tropfen Schwitzwasser von der Decke. Als sich die Undertones kurz nach zwölf mit I don’t wanna get over you“ zum ersten Mal verabschiedeten, hatten sie gut 300 Menschen glücklich gemacht. Mit Zugaben verlängerte sich das Konzert auf satte zweieinhalb Stunden. Und es gab ja noch ein Vorprogramm.

Störend war allein ein Mixer, der den Club von der Größe eines großen Klassenraums beschallte, als habe er die Gruga-Halle vor sich. Knapp eine Stu0nde nach Beginn der Undertones hatte er die Regler so weit hoch gedreht, dass der Sound sich massiv überschrie. Hätten die Undertones nicht derart eingängige und letztlich simple Songs am Start, wäre die Band komplett tot gemischt gewesen. Im Knaack hatte die Lautstärke zudem eine unangenehme Begleiterscheinung. Das Agieren des Publikums wurde parallel zur ansteigenden Lautstärke immer aggressiver. Es wurde extrem rücksichtslos gepogt und gesprungen. Vor allem eine ganze Reihe weiblicher Fans verließen nach und nach den Saal, um dem Konzert vor der Tür weiter zu lauschen, oder sich ganz ins Dustrial zurückzuziehen. Manche Mixer lernen’s eben nie. So hatte die Vorband Rosco im Endeffekt den erheblich besseren Sound erwischt.

Noch bevor die Roscos auf die Bühne stiegen, gab es eine besondere Überraschung. Terri Hooley, eine legendäre Gestalt des britischen Punks, lies sich für einen kurzen Auftritt auf die Bühne bitten. Er ist so etwas, wie der Entdecker der Undertones gewesen. Trotz klammer Kassen brachte er die erste Single der Band, “Teenage Kicks“, auf seinem Label heraus, als die Undertones frustriert darüber nachdachten, sich aufzulösen. Hooley war zufällig in Berlin, las vom Konzert der Undertones, rief sie an und wurde spontan zu einem kurzen Set eingeladen.

Zwei Songs zwischen Sprechgesang und Polit-Rock, begleitet lediglich von einer sehr roh gespielten E-Gitarre und unterbrochen von einem Gedicht gegen den Monopol-Kapitalismus, überzeugten künstlerisch zwar nicht unbedingt, aber hinterließen eine äußerst familiäre und sympathisch gelockerte Atmosphäre.

Dass Hooley hier auftreten konnte, bewies den Respekt der Undertones vor ihrer eigenen Geschichte und vor einem Mann, der ihnen geholfen hatte einen ganz entscheidenden Schritt zu gehen. Als sie noch nichts waren, hat er ihnen die Hand gereicht. Heute, wo sie eine Legende sind, lassen sie diese Hand nicht los. Das ist leider nicht selbstverständlich. Hooley selber begibt sich fast in die Gefahr, sich zum Narren zu machen, weil er an Überzeugungen fest hält, die vor 25 Jahren im linken Underground Konjunktur hatten, heute aber als überholt gelten, obwohl wir sie vielleicht dringender brauchen als je zuvor.

Nach Hooley dann also Rosco, eine Five-Piece-Band, die wohl kaum einer im Publikum kannte. Entsprechend reserviert war die Reaktion auf die ersten beiden Stücke. Blickfang war Sängerin Erica Nicholls, die sich als Mischung zwischen Punk-Bitch und Go-Go-Girl präsentiere. Mit Schlangenmenschartigen Bewegungen und weitem Herüberbeugen ins Publikum sorgte sie dafür, dass das überwiegend männliche Publikum ihren roten String und ihre festen weißen Brüste jederzeit im Blick hatte. Und so hatte man erst einmal den Eindruck, dass diese Band vor allem optisch in Erinnerung bleiben würde.

Spätestens mit Song drei war aber das Eis gebrochen. Neben Erica war es vor allem die Rhythmus-Section, die überzeugte. George Fothergill bearbeitet sein Kit kraftvoll und mit trockener Härte. Bassist Jay Goodrich begann vor den beiden Gitarristen mit lebendigem Stageacting aus dem Schatten der appetitlichen Sängerin herauszutreten. Letztlich bestimmte Erica, eine Mischung aus Lene Lovich, Hazel O’Connor und Blondie, aber das Bild der Band. Am Ende lies der Spannungsbogen etwas nach, aber das Publikum spendete deutlich mehr als Höflichkeitsapplaus. (Eine Bezugsadresse der Demo-CD, die beim Konzert verkauft wurde, bekommt ihr zusammen mit einem Review in der nächsten Ausgabe.)

Norbert von Fransecky