Reactor

Rather Dead Than Dishonoured


Info
Musikrichtung: Melodic Speed Metal

VÖ: 21.06.2024 (1991)

(Jolly Roger Records)

Gesamtspielzeit: 44:56

Internet:

http://www.jollyrogerrecords.com


Zu Beginn des letzten Jahrzehnts im vor noch nicht allzulanger Zeit vergangenen Jahrtausend agierten in gar nicht so weiter räumlicher Entfernung gleich zwei Metalbands unter dem Namen Reactor. Die so benannten schweizerischen Death Metaller brachten 1991 und 1992 je ein Demo heraus, merkten dann irgendwann, dass es da auch noch die süddeutschen Melodic-Speedster gab, und da sowieso personelle Umbrüche anstanden, firmierte die neue Besetzung der Schweizer fortan als Sickening Gore, löste sich nach dem 1993er Debütalbum aber auch schon wieder auf.
Die aus dem Raum Augsburg stammende deutsche Formation hatte schon ein wenig früher angefangen und war 1991 bereits beim Debütalbum Rather Dead Than Dishonoured angekommen. Nun konnte man zu dieser Zeit mit melodischem Speed Metal hierzulande kaum noch einen Blumentopf gewinnen, während die Anhängerschaft in Japan diesen Stil immer noch vergötterte, so dass Reactors Debüt zunächst in beträchtlichen Stückzahlen ins Land der aufgehenden Sonne exportiert wurde, ehe die Band dort einen regulären Deal landete.
Die daraus resultierende Lizenzpressung bei Zero ist auch im Booklet der hier vorliegenden Wiederveröffentlichung des lange nur schwer erhältlichen Albums via Jolly Roger Records abgebildet; dazu gibt es alle Lyrics und einige weitere Bilder, aber keine Bonustracks, und auch am Sound wurde offenbar nichts verändert – das Klangbild ist auf einem für die Frühneunziger typischen Lautstärkepegel und wirkt insgesamt recht dünn. Baßfetischisten werden, obwohl man Robert Käfferlein durchaus durchhört, mit dem Material kaum glücklich, und auch Muck Langmaiers Schlagzeug klingt bisweilen etwas zu distanziert. Andererseits kommen damit sozusagen Authentizitätsfetischisten auf ihre Kosten, die wissen wollen, wie sich eine solche Quasi-Eigenproduktion anno 1991 angehört hat.
Hauptfrage ist aber natürlich, wie die neun Songs zu bewerten sind. In der deutschen Metalpresse hatten es Reactor damals schwer, wurden etwa von Matthias Breusch als „Running Wild für Arme“ verspottet, und auch das Lob von Matthias Herr im vierten Band seines Heavy-Metal-Lexikons konnte das Ruder nicht entscheidend herumreißen, wobei auch Herr die Stimme von Jerry Bryant als den Schwachpunkt der Band ausmachte, was Breusch gleichfalls getan hatte. Solange sich der Vokalist in mittelhohen Lagen aufhält, wie er das über weite Strecken im Opener „Reactor“ tut, macht er seine Sache gar nicht so schlecht, aber wenn er weit nach oben gleitet, mutet das mitunter problematisch und bemüht an, und auch die Abstimmung mit dem instrumentalen Unterbau offenbart hier und da noch Reserven, und das in allen Tonlagen. Die Trümpfe von Reactor waren hingegen klar die Gitarristen Markus Baier und Thorsten Schwalm, die vor allem in den speedigen Nummern fleißig zaubern und ihr Können oft und gern unter Beweis stellen. Das Problem besteht darin, dass ihre Songwritingfähigkeiten mit dem technischen Können noch nicht ganz mithalten können. Der Speed verdeckt das noch wirkungsvoll, aber sobald das Quintett auf Midtempo herunterschaltet, wirkt sich die dünne Produktion fatal aus und läßt allenfalls solide, aber keine Bäume ausreißende Songs wie „Fight For Rock“ dann tatsächlich wie „Running Wild für Arme“ wirken, weil sich eben keine großartige songwriterische Idee damit verbindet, die hier spontan zünden würde. Das Epos „Look For Mercy“ stellt ein gutes Beispiel dar, wie das hübsche Akustikintro und das vorm Hauptsolo eingewobene Baßsolo für sich betrachtet zu überzeugen wissen, in diesem Stampfer aber ansonsten kaum Wirkung entfalten, und dass völlig unvorbereitet nach mehr als sieben Minuten plötzlich noch ein Speedsolo um die Ecke biegt, rettet das Ganze nicht mehr – hier zeigt sich, dass die Band zwar durchaus Ambitionen hat, aber noch nicht durchgängig in der Lage ist, diese auch umzusetzen. Geradezu unbeholfen wirkt die Idee, nach dem Hauptsolo von „Speed I Need“ den Gesang zunächst nur von den Drums begleiten zu lassen und nochmal dünner abzumischen als sonst – der Song selbst macht allerdings abgesehen von der wieder mal gekonnten Gitarrenarbeit sowieso wenig Hörspaß und ist einer derjenigen, denen man irgendwie tatsächlich eine Art provinziellen Charakter zuzuschreiben geneigt sein könnte. Hier kann also nicht mal die programmatisch hohe Musiziergeschwindigkeit die Kastanien aus dem Feuer holen. Auch der Stampfer „Red Baron“ haut den Hörer nicht vom Hocker, zumal die Gesangslinie am Ende des Refrains ziemlich unbeholfen wirkt und die Idee, zum Schluß das Tempo zu erhöhen, ähnlich seltsam anmutet wie in „Look For Mercy“. Außerdem macht das Finale dieses Songs klar, dass man Bryant nicht a cappella singen lassen sollte. Aber auch über instrumentalem Background hat er bisweilen Probleme, etwa wenn er gleich in der ersten Strophe von „Listen To Me“ am Ende der ersten Phrase völlig hilflos nach unten kippt, was an der analogen Stelle in der zweiten Strophe nur geringfügig souveräner wirkt. In der Gesamtbetrachtung macht diese Speednummer wenigstens mehr Spaß als „Speed I Need“ und wertet damit die schwächere hintere Hälfte des Albums zumindest ein Stück weit auf – die beiden besten Songs sind tatsächlich die beiden Opener „Reactor“ und der zweite, den das Booklet „Help Me Through The Night“, das Inlay aber nur „Help Me“ nennt, während der Closer „Witches On Fire“ zwar temposeitig nochmal aufdreht, aber die Gitarren im Gesamtmix so weit zurücknimmt, dass man nicht weiß, ob man das noch für künstlerische Absicht halten soll, wenn sich die Band ihrer größten Stärke freiwillig beraubt, die nur mal kurz im Hauptsolo weiter in den Vordergrund treten darf.
So hinterläßt Rather Dead Than Dishonoured trotz aller Wiederentdeckungsfreude einen zwiespältigen Eindruck und kann auch mit der seinerzeitigen zweiten deutschen Reihe, also Attack oder Forced Entry, nur phasenweise mithalten. Zudem irritierte schon damals das extrem düstere Cover, hinter dem man eher eine Death-Metal-Band wie etwa die gleichnamigen Schweizer vermutet hätte und das für den Re-Release leider sehr schlecht reproduziert wurde, wie man speziell auf der Bookletrückseite sieht – und als Grundproblem erkennt man auf dem Bild auch noch so gut wie nichts und kann nur erahnen, dass das eine Art Ruinenlandschaft sein soll. Die Japaner hat das damals offenkundig nicht gestört, denn die Zero-Lizenzpressung hat kein anderes Covermotiv verpaßt bekommen, aber aus heutiger Perspektive ist das trotzdem allermindestens als unglücklich zu bezeichnen. Die hier zum Review abgebildete Version ist etwas „aufgehübscht“, so dass man wenigstens ein bißchen was vom Motiv erahnen kann.



Roland Ludwig



Trackliste
1Reactor4:48
2Help Me Through The Night4:15
3Fight For Rock4:17
4Set Us Free3:52
5Look For Mercy9:26
6Speed I Need3:38
7Red Baron6:48
8Listen To Me3:40
9Witches On Fire4:08
Besetzung

Jerry Bryant (Voc)
Markus Baier (Git)
Thorsten Schwalm (Git)
Robert Käfferlein (B)
Muck Langmaier (Dr)



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