Dream Theater

Train Of Thought Instrumental Demos (2003)


Info
Musikrichtung: Progressive Metal

VÖ: 20.8.2021 (23.7.09)

(InsideOut / Sony)

Gesamtspielzeit: 67:16

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net


Als Dream Theater 2002 begannen, bei Zwei-Abend-Sets am jeweiligen zweiten Abend ein komplettes Album zu covern, wählten sie als erstes dieser Alben Master Of Puppets von Metallica, eines derjenigen Alben, die Gitarrist John Petrucci, Bassist John Myung und Drummer Mike Portnoy in den Achtzigern die Augen geöffnet hatten, dass es möglich ist, relativ harte und zugleich relativ komplexe Musik zu spielen – die Entwicklung in diesem Sektor in den Folgejahrzehnten, zu der nicht zuletzt diese drei Herren samt ihrer jeweiligen Mitmusiker ihr Scherflein beitrugen, ließ sich zu dieser Zeit noch kaum erahnen. Jedenfalls hatten Dream Theater nach dem phasenweise sehr harten Awake-Album den Kernigkeitsgrad ihrer Musik wieder etwas gesenkt, obwohl Six Degrees Of Inner Turbulence Petrucci teilweise schon wieder sehr harsches Riffing evozieren sah.
Dann aber kam die besagte Entscheidung, Master Of Puppets zu covern – und die hatte maßgeblichen Einfluß auf das Folgealbum Train Of Thought, das, wie schon damals mancher Hörer mehr oder weniger spöttisch bemerkte, tatsächlich so klang, als würden Dream Theater verschollene Metallica-Songs covern, und zwar aus der Periode zwischen Master Of Puppets und ...And Justice For All. Das gefiel vielen Hörern, anderen aber nicht, und die Band, die sowieso Wert darauf legt, dass das Folgealbum nicht wie Teil II seines Vorgängers klingt, spielte dann als nächstes Octavarium ein, das mit Metallica nur noch peripher etwas zu tun hatte und den Härtegrad wieder ein gutes Stück senkte. Allerdings kehrten Dream Theater dieser Stilistik nicht vollends den Rücken zu – auch in ihrem weiteren Schaffen findet sich durchaus immer mal noch ein Song, von dem man denkt, dass er auch schon auf Train Of Thought gepaßt hätte, wenn man sich etwa an „Constant Motion“ vom Systematic Chaos-Werk erinnert.
Der Produktionsprozeß von Train Of Thought unterschied sich allerdings etwas von dem seiner direkten Vorgänger, wie Portnoy im Booklet des Originalreleases der Train Of Thought Instrumental Demos bemerkt, das dem hier vorliegenden Re-Release wie immer fehlt. Voll ausgearbeitete Demosongs gab es in diesem Falle nämlich nicht, sondern „nur“ die innerhalb von gerade mal drei Wochen konzipierten Gerüste, eben die sozusagen live im Proberaum mitgeschnittenen instrumentalen Demos, die auf dieser CD versammelt sind. Baß und Drums sind vollzählig dabei, von den Gitarren die Rhythmusgitarren weitgehend vollzählig, die Leadgitarren nur zu einem relativ kleinen Teil, und auch Jordan Rudess arbeitete seine Keyboardparts zum überwiegenden Teil erst bei den „richtigen“ Aufnahmen aus, die Soli fast komplett, aber auch die Backgroundsounds sind erst sporadisch da. An manchen Stellen entfalten sie freilich eine derart große strukturelle Bedeutung, dass sie schon für die Rohfassung entsprechend konzipiert und eingespielt wurden – das trifft beispielsweise für das große Break in „In The Name Of God“ um Minute 10 zu, dessen gigantische Größe man auch in dieser Demoversion schon entsprechend erahnen kann. Da einige in der finalen Aufnahme darüberliegende Spuren hier noch fehlen, kann man auch im Schlußteil dieses Songs die Klavierlinie besser und früher wahrnehmen und ihre Bedeutung für die Gesamtarchitektur erkennen – ein Phänomen, das man in ähnlicher Weise von den Instrumentalfassungen kennt, die Nightwish einigen ihrer Alben zusätzlich beigelegt hatten. In einigen Fällen wurden Ideen auf dem Album letztlich auch anders umgesetzt – der perlend-glitzernde Keyboardsound in den Strophenbreaks von „As I Am“ etwa wurde in der Albumfassung ebenso verändert wie der sehr auffällige Slap-Baß Myungs in den Strophen dieses Songs. So ermöglicht die Veröffentlichung der Demofassung also auch in diesem Falle einen Einblick in die Songwerkstatt von Dream Theater, und wer mag, kann sich auch auf die Suche nach den reichlich zwei Minuten machen, die die Schlußfassung länger ist als diese Demoversion.
Die Demo-CD enthält wie schon im Falle etwa der Scheibe mit den Awake-Demos die sieben Songs mit einer Ausnahme in der Reihenfolge, wie sie geschrieben und in Demo-Form festgehalten wurden, die von der finalen Albumreihenfolge also etwas abweicht. Dass der große epische Schlußpart von „In The Name Of God“ diesen Song zum Hauptkandidaten für den Albumcloser macht, bedurfte vermutlich keiner großartigen Überlegungen, auch wenn er als erster der neuen Songs geschrieben wurde und auf der Demo-CD folgerichtig als Opener fungiert. Auffällig ist allerdings, dass mit der kurzen Ballade „Vacant“ und dem Instrumental „Stream Of Consciousness“ die beiden strukturell ungewöhnlichsten der Songs auch die letzten waren, die geschrieben wurden, könnte man meinen – „Vacant“ ist allerdings die besagte Ausnahme, die als fünfter Song geschrieben wurde, auf der Demo-CD aber als sechster steht, da es quasi das Intro zum letztplazierten „Stream Of Consciousness“ darstellt. Speziell bei diesem wiederum könnte für manchen Hörer der Vergleich mit der Albumfassung besonders interessant sein, fehlt der Gesang doch hier wie dort, so dass sich der Vergleich auf die Unterschiede in der Instrumentierung konzentrieren kann. „Instrumental“ ist bei den Demosongs übrigens in vollem Umfang zu verstehen, womit wir einen Unterschied zu den erwähnten Nightwish-Instrumentalfassungen haben, auf denen sich zumindest hier und da Backingvokalspuren, Chorpassagen etc. finden. Nichts von alledem hier bei Dream Theater: James LaBrie schweigt noch komplett, und auch von den Instrumentalisten tritt niemand ans Backingmikro. Die Gesangspassagen wurden also offensichtlich alle erst für die Endfassungen erarbeitet – wenn es sie im hier festgehaltenen Zustand schon gegeben hätte, hätte ja kein Grund bestanden, nicht wenigstens eine Pilotspur mit einzusingen. Wem Dream Theater ohne LaBrie also wenig beglückend erscheinen, der könnte mit diesen Demoaufnahmen vermutlich nicht so sehr viel anfangen.
Andererseits erstaunt 20 Jahre nach dem Originalrelease ein Fakt: In diesen zwei Jahrzehnten haben sich instrumentale Rock- bzw. Metalbands ja sehr verbreitet, so dass das Grundkonzept, ohne Vocals zu arbeiten, in der Szene mittlerweile geläufig und kein Exotenfaktor mehr ist. Und obwohl fünf der sieben Songs die Zehnminutenmarke knacken, ermüdet man beim Hören durchaus nicht, sondern ist eher geneigt, sich vorzustellen, dass mit vielleicht hier und da noch ein paar Leadgitarrenzusätzen und ein paar Extra-Keyboards hier durchaus eine hörenswerte Instrumentalmetalscheibe entstanden wäre. Das schöne Gitarre-Keyboard-Exzelsior-Duell in „Endless Sacrifice“ ist zum Glück auch in dieser Demofassung schon weitestgehend fertig ausgearbeitet – hiervon noch ein paar, und die Scheibe würde durchaus autark funktionieren, zumal auch das Klanggewand dem nicht entgegensteht. Portnoys Becken scheppern zwar ein bißchen stark, und einige Linien von Rudess hätte man weiter in den Vordergrund rücken können, aber auch so schlägt der Sound der Demos im Feeling so manche hochgezüchtete sterile Produktion, was Authentizitätsfanatikern prima reinlaufen dürfte. Und im Finale von „Endless Sacrifice“ gibt es sogar schon einen dieser typischen Portnoy-Wirbel quer über die gesamte Snare. Petruccis tiefer gestimmte Gitarren machen jedenfalls auch in der Demofassung schon mächtig Druck, wenn’s drauf ankommt, die phasenweise auftretende größere Geradlinigkeit nützt den Demoversionen durchaus auch schon (man hätte aufgrund der generell noch geringeren Elementdichte auch das Gegenteil annehmen können), was die Erzeugung von für Dream-Theater-Verhältnisse damals eher ungewöhnlicher Klangwucht angeht, und dass die Herrschaften fit an ihren Instrumenten sind, davon war ja sowieso auszugehen. Liebhabern der Endfassung wird zwar durchaus das eine oder andere Element mehr oder weniger schmerzlich fehlen, aber die besagte Endfassung kann man ja trotzdem jederzeit wieder anhören, wenn einem danach ist. Train Of Thought Instrumental Demos hingegen wird bei den meisten Hörern wohl nicht ganz so oft im Player verweilen, lohnt seine Erschließungsarbeit aber freilich allemal und könnte gerade Menschen, die den Sound der Band sonst als übersatt empfinden oder die nicht mit der Stimme von James LaBrie klarkommen, einen überraschenden Zugang zum Schaffen der US-Ostküstler eröffnen.



Roland Ludwig



Trackliste
1In The Name Of God12:43
2As I Am7:06
3Honor Thy Father10:00
4Endless Sacrifice11:17
5This Dying Soul11:38
6Vacant2:46
7Stream Of Consciousness11:40
Besetzung

John Petrucci (Git)
Jordan Rudess (Keys)
John Myung (B)
Mike Portnoy (Dr)



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