Kein Sex, kaum Drogen, viel Rock’n’Roll: Joe Shooman mit einer Biographie über Bruce Dickinson




Info
Autor: Joe Shooman

Titel: Bruce Dickinson. Eine Biographie

Verlag: I.P. Verlag

ISBN: 978-3-931624-53-8

Preis: € 19,90

256 Seiten

Internet:
http://www.ip-verlag.de

Es kursiert der Witz, dass Iron-Maiden-Chefdenker Steve Harris in der Frühzeit seine Bandmitglieder nicht nur nach musikalischen, sondern auch nach fußballerischen Gesichtspunkten ausgewählt habe. Bekanntlich war Harris in der Jugend von West Ham United aktiv und stand kurz davor, einen Profivertrag zu unterschreiben, bevor sich die Liebe zur Musik doch als stärker erwies und wir noch heute von dieser Entscheidung profitieren können, steht der Bassist doch immer noch auf den Bühnen dieser Welt und erdenkt neue Musik, während er als Fußballprofi längst auf dem Altenteil säße. Aber wie auch immer: Bis auf den wenig fußballinteressierten Gitarristen Dave Murray gab es in den frühen Maiden-Besetzungen tatsächlich immer einen hohen Anteil an Anhängern der Hammers.
Als Sänger Paul DiAnno, auch einer dieser Anhänger, 1981 seinen Platz am Mikrofon räumen mußte, spielte der Fußball bei der Neubesetzung des Mikrofons allerdings keine Rolle. Bruce Dickinson, der diesen Platz einnahm, hatte sich nicht als großer Anhänger dieses Sports geoutet und tut dies bis heute nicht. Zudem wäre es ihm auch gar nicht in die Wiege gelegt gewesen, etwa schon von klein auf als Anhänger eines Londoner Vereins sozialisiert worden zu sein. Geboren wurde Dickinson nämlich 1958 in der Stadt Worksop in der Grafschaft Nottinghamshire, und dort wäre eine solche frühe Vereins-Sozialisierung eher beim nahen Sheffield Wednesday oder beim etwas weiter entfernten Nottingham Forest zu erwarten gewesen, auch wenn letztere ihre ganz große Zeit, als sie von der zweiten in die erste englische Liga aufstiegen, dort im Folgejahr Meister wurden und abermals ein Jahr später auch noch den Europacup der Landesmeister gewannen, erst in den späten 70ern hatten. Aber Dickinson wechselte mehrfach die Wohnsitze und die Schulen, so dass er in Mittelengland mehrere Regionen kennenlernte, bevor er 1977 nach London ging, um am Queen Mary’s College Geschichte zu studieren. Seine ersten Banderfahrungen hatte er da bereits hinter sich: In seiner ersten Schulband an der Privatschule Oundle in der Grafschaft Northamptonshire sollte er als Percussionist Bongos spielen, aber es stellte sich heraus, dass er im Gegensatz zum eigentlichen Sänger Mike Wilson die hohen Töne in „Let It Be“ traf, und von Stund an war er Sänger, was er bis heute geblieben ist. Auch in der Schultheatergruppe von Oundle war Dickinson aktiv und sammelte u.a. mit Shakespeare-Stücken Bühnenerfahrung, die ihm später in den theatralischen Maiden-Zeiten zugutekam. Noch vor seinem Weggang nach London frontete er eine weitere Schulband namens Paradox, die sich auf seine Anregung hin in Styx umbenannten – die Existenz der gleichnamigen US-Pomprocker ignorierte man kurzerhand, was auch nicht weiter zum Problem wurde, da die UK-Styx nur eine Handvoll Gigs spielten und sonst keine Spuren in der Musikgeschichte hinterließen. Kurioserweise trugen auch die ersten Bands, bei denen der Sänger in London aktiv wurde, allesamt Namen, die mit S begannen: Shots, Speed (mit denen er seine erste Single aufnahm) und schließlich Samson. Letztere hatten bisher als Powertrio gearbeitet, in dem Gitarrist/Bandkopf Paul Samson auch sang – mit Dickinson am Mikrofon eröffneten sich ihnen in der justament losrollenden NWoBHM aber ganz neue Möglichkeiten. Bereits zuvor war das Samson-Debütalbum Survivors erschienen, noch mit dem Gitarristen als Sänger – Dickinson nahm zwar nach seinem Einstieg alternative Gesangsspuren für einige der Debüt-Songs auf, aber dieses Material blieb überwiegend unveröffentlicht und erblickte erst um die Jahrtausendwende auf diversen Re-Releases das Licht der Welt.
So wurde das erste richtige Album mit Dickinson am Mikrofon der 1980 erschienene Samson-Zweitling Head On, gefolgt 1981 vom Drittling Shock Tactics. Für letzteres absolvierte der Sänger auch noch einige Konzerte, aber dann bekam er von Harris und Maiden-Manager Rod Smallwood das Angebot, neuer Sänger bei Iron Maiden zu werden, das er bekanntlich annahm und, beginnend mit The Number Of The Beast, etliche Alben einsang, die heutzutage sozusagen zum metallischen Weltkulturerbe zählen. Parallel begann er allerdings seinen Aktivitätsdrang in anderen Bereichen auszuleben, schrieb zwei Romane, wurde Fechter, machte seinen Pilotenschein, gründete die Plattenfirma Air Raid Siren Records und begann schließlich, nicht nur das bandeigene Flugzeug zu den Auftrittsorten zu steuern, sondern auch ganz normale Verkehrspilotendienste auszuführen. Zwischenzeitlich hatte er 1990 mit Tattooed Millionaire sein erstes Soloalbum veröffentlicht und sich 1993 von Iron Maiden getrennt, da er sich im Bandgefüge wie im Heavy Metal nicht mehr wohl fühlte. Mit Balls To Picasso und besonders Skunkworks bewegte er sich daher von diesem Stil weg und landete mit letzterem bei einer Art grungigem Hardrock, der freilich zwischen allen Stühlen positioniert war: Die Metalfans interessierten sich nicht dafür, die Grunge-Anhänger aber auch nicht. So tat sich Dickinson wieder mit dem gleichfalls bei Maiden ausgestiegenen Gitarristen Adrian Smith zusammen, brachte 1997 mit Accident Of Birth wieder ein traditionelles Metalalbum heraus und stellte 1998 mit The Chemical Wedding unter Beweis, dass traditioneller Metal durchaus mit modernem Sound und ungewöhnlichen Ideen (ein Konzeptalbum über William Blake und die Alchemie) funktioniert. So näherte er sich gedanklich Maiden wieder an, und so bildete es keine Überraschung, dass Smith und er 1999 wieder dort einstiegen. Seither sind in größer werdenden Abständen neue Iron-Maiden-Alben mit seinem Gesang, aber auch weitere Soloalben entstanden, zuletzt anno 2024 The Mandrake Project, mit dem der Vokalist einerseits bei seinem Leisten bleibt, aber andererseits auch wieder von den Rändern her in neues Territorium blickt.

Über so einen bewegten und vielseitigen Lebenslauf, noch dazu von einem Mann, der offenbar das Night-Ranger-Motto „The secret of my success is living 25 hours a day“ verinnerlicht hat, lohnt sich natürlich eine genaue Betrachtung mittels einer Biographie, und ebenjene hat der Musikjournalist Joe Shooman anno 2006 unter dem etwas sperrigen Titel „Bruce Dickinson: Flashing Metal With Iron Maiden And Flying Solo“ in englischer Sprache vorgelegt – für die zwei Jahre später erschienene deutsche Ausgabe wurde der Titel deutlich vereinfacht. Shooman teilt das Leben in 25 Kapitel, die zumeist chronologisch aufgebaut sind, hier und da natürlich mit Überschneidungen respektive Verschränkungen und in der jeweiligen Länge recht unterschiedlich – von 3 bis 32 Seiten reicht das Spektrum. Der Autor hat Dickinson in seiner Funktion als Musikjournalist über die Jahre hin mehrfach interviewt und schöpft aus diesem Fundus genauso wie aus Interviews mit ehemaligen Mitmusikern und anderen Weggefährten. Das Ganze ergänzt er mit Betrachtungen zu den jeweiligen Releases und schafft ein interessantes Gesamtbild, das sich dank der überwiegend kompetenten Übersetzung von Andreas Schiffmann auch recht flüssig und doch informationsgesättigt liest. Klarkommen muß man freilich mit der Eigenschaft des Autors, bisweilen aus dem Nichts kommend humoristische Einlagen einzuflechten. Etwas erschwert wird das Lesen durch das Problem, dass nicht immer klar wird, wo ein Zitat aufhört. Zudem irritiert die relativ hohe Fehlerdichte etwas, auch bei Namen, wenn etwa auf S. 60 Samson-Drummer Thunderstick plötzlich Thunderhead heißt oder der Fotograf Ross Halfin im ganzen Buch konsequent falsch Halflin geschrieben wird. Auch auf Nebenkriegsschauplätzen haben sich bisweilen Fehler eingeschlichen, so auf S. 109 in den Betrachtungen der Geschehnisse des Jahres 1982: England schied bei der Fußball-WM in Spanien zwar in der Tat nach ihrem zweiten Gruppenspiel aus, allerdings war das das zweite (und letzte) Gruppenspiel in bereits der zweiten Runde, nachdem die Three Lions ihre Gruppe in der ersten Runde mit drei Siegen noch souverän gewonnen hatten.
Im Großen und Ganzen überwiegt aber der positive Eindruck, und man erfährt auch ein paar wenig bekannte Details. Interessanterweise finden sich die längeren Kapitel tendenziell eher in der Früh- und der Samson-Zeit, während viele Maiden-Jahre eher kompakt abgehandelt werden – aber über letztere kann man ja auch in anderen Kontexten viel lesen. Zwar geht vom oben erwähnten 32-Seiten-Kapitel ein 16er Bogen für den Bildteil (mit Live- und Promofotos sowie diversen Coverabbildungen) drauf, aber auch das nächstkürzere Kapitel mit 21 Seiten ist eines über die Samson-Zeit. Shooman nähert sich seinem Sujet nicht sonderlich kritisch (und die positive Einschätzung von Skunkworks als weiteres Beispiel, dass sich der Sänger nie nach Trends gerichtet habe, vertritt der Autor ziemlich exklusiv), aber an einigen Stellen benennt er doch Fakten, die von den jeweiligen Beteiligten unterschiedlich dargestellt werden. In den Maiden-Kapiteln behandelt er im wesentlichen nur die Songs ausführlicher, an denen Dickinson selbst mitgeschrieben hat. Wenig zum Tragen kommt allerdings die Familiengeschichte: Zwar erfährt der Leser einiges aus der Kindheit und Jugend, aber die Ehefrauen und Kinder tauchen nur ganz am Rande auf, wenn überhaupt. Vom Triumvirat „Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ liegt der Fokus also ganz klar auf dem letzteren, während die Drogen eher randständig und der Sex praktisch gar nicht zutagetreten (und der Fußball erwartungsgemäß auch nicht).
So macht die Lektüre in der Gesamtschau durchaus Spaß, wenngleich man wie beschrieben kritisch wachsam bleiben muß. Anhand des Erscheinungsjahres ist klar, dass A Matter Of Life And Death das jüngste behandelte Album ist, so dass schon aus diesem Grund Dickinsons „What Does This Button Do?“ betitelte Autobiographie allermindestens eine wertvolle Ergänzungslektüre darstellt, da man sich mit dieser noch ein Jahrzehnt weiter vorarbeiten kann. Aber primär lohnt sich Shoomans Buch durchaus, zumal der Anhang auch mit diskographischen und weiteren überblicksschaffenden und damit nützlichen strukturellen Angaben aufwartet.


Roland Ludwig



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