Lully, J.-B. – d'Anglebert, J.-H. – Chambonnieres, J. u. a. (Rousset, Ch.)

Le Manuscrit de Madame Théobon


Info
Musikrichtung: Barock Cembalo

VÖ: 18.02.2022

(Aparté / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2020 / Best. Nr. AP256)

Gesamtspielzeit: 122:00



PLAYLIST EINER HOFDAME

2004 ersteigerte Christophe Rousset auf Ebay ein kostbares Manuskript mit Cembalomusik: eine Sammlung von überwiegend kurzen Stücken aus der Hand diverser französischer Meister des 17. Jahrhunderts, die einst einer Versailler Hofdame und zeitweiligen Geliebten des Sonnenkönigs gehört hat.
Diese Lydie de Théobon war offenbar eine passionierte Cembalistin. Die 80 Kompositionen boten ihr reichlich Gelegenheit, je nach Bedarf Suiten aus Präludien, Tänzen oder illustrativen Stücken zusammenzustellen. Beim überwiegenden Teil der Werke handelt es sich um Transskriptionen von Instrumentalteilen aus Balletten und Opern Lullys; es sind sozusagen die „Kupferstichversionen“ seiner orchestralen „Gemälde“.
Vertreten sind außerdem unter anderem die Begründer der französischen Cembalistik im Grand Siècle, Jacques Chambonnieres und Jean-Henri d'Anglebert sowie eine ganze Reihe von anonym überlieferten und bislang unbekannten Werken, darunter nur skizzenhaft notierte „Préludes non mesuré“, die von Madame Théobon halbimprovisierend auszugestalten waren – seinerzeit die Königsdisziplin barocker Cembalospielkunst.

Man bekommt also einen Einblick in den Musikgeschmack der Dame, ihre persönliche „Playlist“, die zugleich viele der damaligen Hits umfasst, die am Hof en vogue waren. Das Manuskript ist damit Quelle der einer musikalischen Kulturgeschichte wie auch der Historie des privaten Lebens.
Freilich lebt es bei der Wiederaufführung vor allem von den unmittelbaren musikalischen Reizen. Und an denen mangelt es nicht: Die Stücke sind durchweg eingängig und schön; ihre Stimmungen reichen von pastoral-burlesk und tänzerisch-verspielt über ernst und melancholisch bis hin zu eleganten Kabinettstückchen, die man wohl nur für sich allein in Mußestunden gespielt hat. Wer sich im barocken Musiktheater Frankreichs ein wenig auskennt, wird zudem viele Bekannte aus den großen Erfolgsopern Lullys wiederfinden: ein Präludium aus „Phaeton“, die Träume des Atys, die „Passacaille“ aus „Armide“, einen Feenreigen aus „Roland“ …

Auf einem hervorragend restaurierten historischen Cembalo von Nicolas Dumont spielt Christophe Rousset mit der ihm eigenen Klarheit und Prägnanz sowie einer nie vordergründigen Virtuosität. Der ausgewogene Klang des zweimanualigen Instruments ist von strenger Pracht und dezenter Farbigkeit, erfreut bei der oft geforderten ornamentalen Präzision ebenso wie bei vollgriffiger Fülle.



Georg Henkel



Trackliste
Werke von Jean-Baptiste Lully, Jacques Chambonnieres, Jean-Henri d'Anglebert, Jacques Hardel, Nicolas Antoine Lebegue, Jean Rousseau, Louis Couperin
Besetzung

Christophe Rousset, Cembalo von Nicolas Dumont (1704)


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