Musik an sich


Reviews
Lully – Marais – Muffat u. a. (Sempé)

La Belle Danse. Ballets Anciens & Modernes


Info
Musikrichtung: Barock Orchester

VÖ: 18.11.2011

(Paradizo / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2010 / Best. Nr. PA0010)

Gesamtspielzeit: 60:47



MALERISCHE FANTASIE

Beim konzertanten Einstand des jüngst gegründeten Capriccio Stravagante les 24 Violons riskierte es der Ensembleleiter und Cembalist Skip Sempé, in dem einstündigen Programm gleich fünf Ouvertüren aus französischen Barockopern aufzuführen, die meisten davon aus der Feder von Jean-Baptiste Lully. Dass dies gelang, ohne in punktiert-fugierter Eintönigkeit stecken zu bleiben, verdankt sich dem Feinsinn, mit der die Interpreten zu Werke gingen.

Sempé und seine Leute verstehen sich auf die Kunst, in der strengen, äußerlich immer gleich gefügten Form die spielerische Freiheit zu entdecken. Und sie sind sehr erfolgreich darin, dem kompakten, standardisierten Klangkörper à la française immer neue klangfarbliche Nuancen zu entlocken. Was beim ersten Hören frappiert und auch irritiert, ist der freie Umgang mit dem Metrum und rhythmischen Akzenten gerade in den langsameren Eröffnungsteilen.
So nonchalant hat man die bei anderen Interpreten gravitätisch einherschreitenden oder mit energischer Pulsation vorangetriebenen Stücke lange nicht gehört. Wie unterschiedlich diese zeremoniösen Kompositonen plötzlich klingen und wirken!
Nicht, dass ich z. B. Christophe Roussets kraftvoll und dramatisch akzentuierten Auftakt zum Roland missen möchte. Die Unerbittlichkeit der Motorik zieht den Hörer in ihren Bann. Doch was die Damen und Herren von Capriccio Stravagante aus dieser Eröffnung machen, entdeckt in der Musik ungewohnte, schwebende Stimmungen und eine Atmosphäre subtiler Tragik. Es klingt weiter, weicher und lyrischer als bei den Kollegen. Besondere Erwähnung verdienen auch die reichen, glitzernden Texturen, mit denen die Cembalisten Skip Sempé und Oliver Fortin den Continuo-Part bereichern.
Die Spontaneität und Individualität des Solisten, der viele Farben, Affekte und Stilmodi beherrscht – man denke an das reiche cembalistische Universum der Couperins und die Launigkeit großer Gambenvirtuosen wie Marais oder Forqueray – wird auf ein großes Ensemble übertragen. Bei diesem Spiel mit Zwischentönen und Verzierungen scheint mitunter der der Feinsinn eines Chopin oder Impressionismus eines Debussy vorweggenommen.

Sempé führt im Interview gute Gründe dafür an, die im Notentext verborgenen Gesten und Figuren freier aufzufassen und sich von jenen szenischen Imaginationen leiten zu lassen, die die das Libretto anbietet. Um einen utopischen ‚Originalklang’ geht es ihm nicht, sehr wohl aber um einer Bereicherung der interpretatorischen Möglichkeiten.
Freilich passt das überlieferte Bild des mit dem Taktstock diktatorisch stampfenden Lully nicht so recht zu dieser Biegsamkeit. Hat man sich aber einmal eingehört, überzeugt sie musikalisch allerdings durchweg. Zumal Sempé neben vielen energisch und pointiert musizierten Tanzsätzen auch Trouvaillen wie Lullys himmlisches Prélude Pour La Nuit oder auch eine Sektion mit Kompositionen von Muffat, Praetorius und Rossi (Les pleurs d'Orphée ) bietet, die dem französischen Gout huldigen. Selbst den Luxus zweier kurzer Vokaleinlagen gönnt man dem Hörer.



Georg Henkel



Trackliste
1Marin Marais: Ouverture (Alcyone)
2 Jean-Baptiste Lully: Prélude pour la Nuit (Le Triomphe de l’Amour)
3 Marais : Air des Faunes et Driades (Alcyone)
4 Lully: Ouverture (Roland)
5 Lully: Air des Démons (Alceste)
6 Lully: Ouverture (Atys)
7 Lully: Ouverture (Les Plaisirs de L’Ile Enchantée)
8 Lully: Première Entrée (Les Plaisirs de L’Ile Enchantée)
9 Lully: Marche des hautbois pour le Dieu Pan et sa suite (Les Plaisirs de L’Ile Enchantée)
10 Lully: Scène de Satyre et Moron (Les Plaisirs de L’Ile Enchantée)
11 Lully: Rondeau pour les violons et les flûtes allant à la table du Roi
12 Lully: Passacaille (Armide)
13 William Brade: Paduana a 6 (Pavans & Galliards, 1614)
14 Michael Praetorius: Volte (Terpsichore CCX)
15 Praetorius: Courante (Terpsichore LXV)
16 Praetorius: Courante (Terpsichore LXIV)
17 Praetorius: Courante (Terpsichore CXXXVI)
18 Rossi: Fantasie ‚Les Pleurs d’Orphée‘ (Orfeo)
19 Lully: Ouverture (Le Grand Divertissement de Versailles)
20 Georg Muffat: Simphonie (Impatentia)
21 Lully: Scène des trois Magiciens (La Pastorale Comique)
22 Lully: Première Entrée : Les Magiciens
23 Muffat: Sarabande (Impatentia)
24 Lully: Chaconne des Magiciens
25 Lully: Air des trois Magiciens
26 Muffat: Chaconne (Impatentia)
Besetzung

Capriccio Stravagante Les 24 Violons:

Skip Sempé: Cembalo & Leitung



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>