Musik an sich


Artikel
Freedom Call haben sich von ihren Fantasy-Geschichten verabschiedet.




Info
Gesprächspartner: Chris Bay (Voc, Git)

Zeit: 25.01.2010

Ort: Berlin - Nürnberg

Interview: Telefon

Stil: Melodischer Power Metal

Internet:
http://www.freedom-call.net

Das neue Album Legend of the Shadowking beschäftigt sich mit dem bayerischen König Ludwig II (1864 – 1886). Er regierte in politisch brisanten Zeiten. 1864 schlug Preußen Dänemark an den Düppler Schanzen und sicherte sich die Macht über das heutige Schleswig-Holstein und Teile, die heute zu Dänemark gehören. 1866 wurden die Habsburger Armeen in Königgrätz vernichtend geschlagen. Preußen sicherte sich (statt Österreich und Bayern) die Vormacht im Deutschen Bund, der 1871 nach dem Sieg über Frankreich zum Deutschen Reich mit dem Preußenkönig als Wilhelm I an der Spitze zum Deutschen Reich wurde.
Damit beschäftigen sich Freedom Call kaum. Das ist die „Schuld“ ihres Heroen Ludwig II, der sich weniger für Politik, als für Architektur interessierte. Das mag uns heute sympathisch erscheinen. Im 18. und 19. Jahrhundert sah man das etwas anders. So ist der Ruf Ludwig II (zumindest außerhalb von Bayern, Japan und der USA) eher umstritten.

Eigentlich hätte Legend of the Shadowking schon im letzten Jahr, pünktlich zum 10ten Bandjubiläum von Freedom Call erscheinen können. Warum es das nicht tat und warum Freedom Call sich unbedingt mit diesem König beschäftigen mussten, hat Norbert von Fransecky aus Sänger Chris Bay herausgekitzelt.


MAS: Dreieinhalb Jahre liegen zwischen Legend of the Shadowking und dem davor liegenden Album Dimensions. Warum hat das so lange gedauert?

Chris Bay: Das hing ganz zentral mit den Ereignissen um die Insolvenz von unserm Label SPV zusammen. Wir waren im Grunde schon vor einem Jahr so weit und haben nur noch auf das grüne Licht der Firma gewartet, um Mix und Mastering anlaufen zu lassen. Da müssen dann ja auch die entsprechenden Finanzen zur Verfügung stehen. Aber das grüne Licht kam erst mal nicht und wir hingen in der Warteschleife.
Ich habe dann auf mein Bauchgefühl gehört und abgewartet, was denn nun mit SPV wird. Wir haben durchaus andere Angebote gehabt, aber ich bin mit der Zusammenarbeit mit SPV in den letzten 10 Jahren sehr zufrieden gewesen und mein Bauchgefühl hat mir gesagt, lieber ein paar Monate warten, als dort weg zu gehen.

MAS: Ihr habt mit Samy Saemann einen neuen Bassisten dabei. Kannst Du uns etwas zu ihm sagen?

Chris Bay: Ja, das ist ein echter Glücksfall. Er hat unter anderem eine Vergangenheit im Winzbacher Knabenchor. Und bei den Gesangsparts und den vielen Backing Chören, die es bei Freedom Call gibt, ist es mehr als wichtig, dass er eine gut ausgebildete Stimme hat.

MAS: Ich habe von Legend of the Shadowking nur einen Stream zur Verfügung gehabt, bei dem es keine Infos, wie z.B. eine Besetzungsliste gab. Wenn ich auf Eure Homepage gehe, finde ich da keinen Keyboarder. Das klingt bei der Musik von Freedom Call etwas unglaubwürdig.

Chris Bay: Klar, ohne Keyboards würden Freedom Call nicht funktionieren. Im Studio spiele ich die ein. Live haben wir wechselnde Leute dabei. Ein fester Keyboarder müsste auf Dauer bezahlt werden und das ist einfach nicht drin.
Aber nicht alles auf dem Album sind Keyboards. Zwar wird natürlich einiges an klassischen Zutaten über Sampler abgerufen. Aber wir haben auch eine Violinistin und eine Sopranistin ins Studio geholt, die einiges beigetragen haben.

Diskografie
Stairway to Fairyland (1999)
Taragon (1999)
Crystal Empire (2001)
Eternity (2002)
Live Invasion (2004)
Circle of Life (2005)
Dimensions (2007)
Legend of the Shadowking (2010)
MAS: Eure beiden letzten Scheiben haben bei mir – nach dem tollen Live-Album – nur bedingt Gnade gefunden. Ich habe sie als mehr oder weniger bedeutungslosen 08/15 Power Metal in einem Meer von Konkurrenz abgekanzelt. .
Das neue Album ist da Lichtjahre stärker. Siehst Du das ähnlich?

Chris Bay: Es ist für einen Künstler schwer das selber zu bewerten. Man hat zu jedem Album seien eigene emotionale Beziehung. Und die Reaktionen und Reviews sind und waren sehr unterschiedlich. Manche sehen das genau umgekehrt, wie Du.
Im Endeffekt gefällt es mir sogar, wenn unsere Alben polarisieren. Wenn alle nur sagen würde „Ach ja, ist halt eine neues Album“ fände ich das wesentlich enttäuschender.

Aber auf jeden Fall hat das neue Album einige sehr markante Punkte.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir über einen echten Menschen geschrieben haben und das Leben von Ludwig II nicht nur Sonnenseiten hatte. Es gibt sehr dunkle Punkte in seinem Leben und das muss sich natürlich auch in der Musik abbilden.
So etwas hat es bei Freedom Call noch nie gegeben. Die Farbbreite der Musik erstreckt sich von extrem happy bis in fast doomige Bereiche hinein.

MAS: Damit sind wir beim Thema Eures Konzeptalbums angekommen: Ludwig II von Bayern. Wie seid Ihr zu dem Thema gekommen?


Chris Bay: Erstmal sind wir eine bayerische Band, genau genommen zwar Franken, aber wir sehen das nicht so eng. Da begegnet Dir Ludwig II zwangsläufig in der Schule. Dann gibt es die Prachtbauten, die in seiner Regierungszeit entstanden sind, wie zum Beispiel Neuschwanstein, obwohl das in Japan mittlerweile bekannter ist, als in Deutschland. Und dann gibt es bis heute noch die Diskussion über seinen Tod im Starnberger See, der ja angeblich Selbstmord gewesen sein soll.
Von daher ist Ludwig II immer noch ein lebendiges Thema – zumindest in Bayern. Und statt wie andere Metalbands ins Mittelalter zu gehen und über Drachen und Ritter zu schreiben, haben wir uns gesagt, schauen wir doch einfach bei uns um die Ecke.
Das ist auch ein Stück weit gesunder Patriotismus.

MAS: Wie intensiv habt Ihr Euch auf das Thema vorbereitet?

Chris Bay: Wir haben nicht den Anspruch, dass wir jetzt eine neue Biographie über Ludwig II schreiben könnten. Aber ganz oberflächlich sollte es auch nicht sein. Wir sind von einem soliden Grundwissen ausgegangen und haben ein bisschen Recherche per Literatur und DVD betrieben.

MAS: Habt Ihr Euch dazu Hilfe von außen geholt, oder seid ihr selber solche Geschichtsfreaks?

Chris Bay: Die inhaltliche Ausarbeitung und die Arbeiten an den Texten hat vorwiegend unser Drummer gemacht. Ich war für die Musik zuständig.

MAS: Ludwig II ist ein mehr als umstrittener König. Es ranken sich etliche Legenden um ihn. Er soll wahnsinnig gewesen sein, Selbstmord begangen und Staatsfinanzen zerrüttet haben. Nehmt Ihr zu solchen Gerüchten irgendwie Stellung?

Chris Bay: Nun das mit den Finanzen ist eine unstrittige Tatsache. Er hat ungeheuer viel gebaut, Und Schlösser, wie Neuschwanstein, waren einfach nicht im Etat drin.
Das mit der psychischen Krankheit ist ihm wohl eher von außen zugeschrieben worden. Er war unfähig zu Regieren. Er hat sich für das Regieren und die Kriege, die stattfanden, einfach nicht interessiert und sich völlig in sich zurückgezogen. Da hat man ihm die psychische Erkrankung einfach unterstellt.
Auch der Selbstmord ist fraglich. Er wurde wohl eher ermordet, weil er seiner Umwelt ein Dorn im Auge war. Auch Leute, die ihn anfangs unterstützt haben, wie zum Beispiel Richard Wagner, haben sich am Ende von ihm zurückgezogen.

MAS: Ludwig II wird kunstgeschichtlich nicht sonderlich ernst genommen. Was er hinterlassen hat, gilt als Zuckerbäcker-Architektur, überladen, süßlich, eklektisch, ohne Tiefe oder eigenen Standpunkt. Ähnlich fällt oft das Urteil der Metal-Fachwelt zu Freedom Call aus, die dann als eine etwas belanglose Version von Helloween und Gamma Ray beschrieben werden – angesiedelt zwischen fröhlichen Power Metal und Pop.
Habt ihr keine Angst, dass die Wahl von Ludwig II als Konzeptthema diesem Urteil Vorschub leistet?

Chris Bay: Da haben wir ganz andere Erfahrungen gemacht.
Das hört man im Wesentlichen von Journalisten und in Foren von Leuten, die überall ihren Senf dazu geben wollen. Von den Fans hören wir so was nicht. Die wollen sich unterhalten und ihren Spaß haben. Und auch bei den Shows erlebe ich die Leute eher interessiert und merke nichts von Oberflächlichkeit.
Und der ständige Vergleich mit Helloween und Gamma Ray ist so eine typisch konservative Haltung, die in Helloween die Erfinder oder Begründer eines ganz neuen Stils sieht. Aber davor gab es schon Iron Maiden und Judas Priest und vieles andere. Da hat keiner etwas Neues erfunden.
Von daher finde ich es sehr interessant, wenn ich mittlerweile auf amazon und anderswo lese, dass neue Bands mit Freedom Call verglichen werden. Wir mussten halt einfach nur ein paar Jahre im Geschäft sein und in der Szene bekannt werden.

MAS: Legend of the Shadowking ist Euer erstes Konzeptalbum?

Chris Bay: Im Prinzip ja. Unsere ersten Alben stellten eine Trilogie da, die aus dem Land Taragon erzählt hat. Aber das war eine reine Fantasy-Geschichte. Mit Legend of the Shadowking beschäftigen wir uns das erste Mal mit einer realen historischen Person.


MAS: Ihr geht jetzt auf Tour mit einer recht begrenzten Anzahl von Shows in Deutschland. In der Gegend von Berlin lasst Ihr Euch z.B. gar nicht sehen.

Chris Bay: In Berlin ist Metal-mäßig einfach nichts los. Aber da wir durch ganz Europa touren kommt doch einiges zusammen. Wir spielen insgesamt etwa 30 Shows.

MAS: Und das passiert alles im Vorprogramm von Gamma Ray?

Chris Bay: Ja. Wir starten im Hamburg. Dann geht es über Paris nach Spanien, Mailand, Griechenland und Osteuropa. Von da aus kommen wir wieder nach Deutschland zurück und gehen dann nach Skandinavien.

MAS: Vor Hamburg gibt es aber noch eine Show in der Wagner-Stadt Bayreuth.

Chris Bay: Ja, dort spielen wir in der Nähe unserer Heimat eine Headliner-Show, um das neue Album vorzustellen. Mit einer anderen Metal-Band im Vorprogramm wird das ein richtiges kleines Festival.

MAS: Wie sieht das mit Stücken vom neuen Album bei den Shows im Vorprogramm von Gamma Ray aus?

Chris Bay: Wir spielen jeden Abend etwa 45 bis 50 Minuten. Da bringen wir neun bis zehn Stücke unter. Fünf davon kommen vom neuen Album.

MAS: Wagt Ihr euch dabei auch an die düsteren Sachen ran?

Chris Bay: Ein Stück von den dunkleren Sachen wird dabei sein – „Darkness“.

MAS: Dann ganz herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg auf der Tournee.

Chris Bay: Ich danke Dir.



Norbert von Fransecky



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