Musik an sich


Artikel

NDR-Schlagerparade 2004: Ein Konzertbericht

Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) ist für die im Norden unserer Republik gelegenen Bundesländer eine unumstößliche Größe und stellt den in dieser Region am meisten gehörten Radiosender. Die Verbindung zu den Fans und Hörern wird aber nicht nur über das Antennen- oder Kabelnetz gehalten, denn auch Schlagerkonzerte stehen in regelmäßiger Reihenfolge auf dem Speiseplan der Radiomacher. In Zusammenarbeit mit der Tournee- und Künstleragentur Voice-Concerts aus Freren/Emsland wurde eine Tournee unter dem Titel "Die große Schlagerparade 2004" zusammengestellt, bei der sich Künstler wie z.B. G.G. Anderson, Andreas Martin, Bernhard Brink, Ireen Sheer und George Baker profilieren dürfen. Moderatoren der Veranstaltung am 20. Januar 2004 in den Emslandhallen in Lingen (Ems) waren Lutz Ackermann und der aus dem N3-Fernsehen bekannt "Bingo-Bär" Michael Thürnau.

Die generell recht schwierige Rolle des "Eisbrechers" fällt bei dieser Tour Andreas Martin zu, der nicht nur mit einem Medley seiner größten Hits von "Amore mio" bis "Das erste Mal im Leben" überzeugte, sondern auch seinen aktuellen Song "Niemals zu alt" aus dem gleichnamigen Album vorstellte und damit gleich eine lockere Atmosphäre für die folgenden Künstler bot. Nach ihm betrat - nur unterbrochen durch eine der angenehm kurzen Moderationspausen, gelegentlich angereichert mit netten Gags - der Niederländer Frans Bauer die Bühne der Emslandhallen und zog besonders die Damenwelt in seinen Bann. Seine offene und freundliche Art, gepaart mit einer sehr sanften Stimme, die recht stark an Julio Iglesias erinnert, hinterließ doch Spuren beim Publikum, das ihm zu einigen Blumensträußen und Geschenken verhalf und als fester Hörerstamm von NDR1 alle Lieder mitsingen konnte. Dass Frans Bauer in seinem Heimatland noch weit erfolgreicher ist als in Deutschland, bewiesen die vielen niederländischen Gäste des Konzerts, die "ihren" Star frenetisch feierten. 

Da die Lieder von Frans Bauer eher ruhig anmuten, erwarteten die Zuschauer hiernach eigentlich eine temperamentvolle Fortsetzung des Programms. Diesem Anspruch konnte Gaby Albrecht jedoch nicht gerecht werden, da sie mit ihrer Alt-Stimme und dem sehr ruhigen und stimmungsschweren Repertoire mit Liedern wie "Der Wind hat mir ein Lied erzählt" von Zarah Leander eher die Bedächtigkeit und Ruhe ins Spiel brachte. Dies hatte jedoch ein Ende, als als nächster G.G. Anderson die Bühne betrat und einige seiner Hits ansang. Aber auch hier hatte man zwischenzeitlich das Gefühl, er würde "mit angezogener Handbremse" fahren, denn bereits sein zweiter Titel "Stern an der Playa del Sol" war wiederum ein ruhiger Song. Die Bedenken wurden jedoch zerstreut, als er zu einem über 7 Minuten andauernden Hit-Potpourri ansetzte und den Zuschauern klar wurde, wie viele Hits der Wirbelwind bisher unter eigenem Namen produzierte, ganz abgesehen von den endlos vielen erfolgreichen Kompositionen für andere Interpreten.

Nach einer 20-minütigen Pause, die das insgesamt dreistündige Programm unterbrach, ging es wieder mit einem Niederländer weiter. George Baker durfte von seiner Mitte der 70er angelegten Popularität profitieren und startete mit seinem "Mornig Sky", allerdings bzw. leider versehen mit einem bis dahin nicht bekannten deutschen Text. Auch wenn es sich um eine deutschsprachige Tournee handelt, darf den Zuschauern ruhig mal ein Titel in der Originalversion zugemutet werden, denn diese Text sind weitaus präsenter. Selbiges gilt auch für "Santa Lucia by night" und das obligatorische "Paloma blanca", deren Originaltexte einen runderen Eindruck hinterlassen hätten. Dazwischen interpretierte George Baker "Bridge over troubled water" von Simon & Garfunkel, das seine stimmlichen Qualitäten zwar herausstellte, vom Konzept aber recht deplaziert wirkte, da es sich hierbei de facto um keinen typischen George-Baker-Titel handelte, und der die Stimmung wieder ein wenig herunterfuhr.

Ireen Sheer begeisterte die Gäste zum einen mit einem Hit-Medley, zum anderen mit ihrem Dauerbrenner "Und heut Abend hab ich Kopfweh", der in den Lingener Emslandhallen aus tausend Kehlen mitgesungen wurde. Gesanglich hinterließ sie keinerlei Zweifel an ihrer Qualität und hatte das Publikum stets sicher im Griff, aber auch optisch machte sie einen sehr ansprechenden Eindruck in einem frech geschnittenen Paillettenkleid. Dass der Queen-Song "We are the champions" jedoch nicht in ihr Programm passt, hätte man bereits früher merken müssen, denn auch hierbei handelt es sich trotz ihrer gesanglichen Sicherheit um einen Song der Kategorie "Wozu das?". Mit Bernhard Brink betrat sodann der letzte Künstler des Abends die Bühne, und hier wurde sehr schnell deutlich, dass man es nicht nur mit einem erfolgreichen Sänger, sondern auch mit einem echten Entertainer zu tun hatte, denn bereits bei der letztjährigen Tournee fiel der gebürtige Niedersachse durch seine gekonnten Gags und lustigen Anekdoten auf, bei denen er kein Blatt vor den Mund nimmt, zum Teil tagesaktuelle Themen verarbeitet und auch Kollegen imitiert oder in die Pfanne haut. Selbstverständlich wurde auch hier die in Kürze erscheinende CD angepriesen und ein Titel daraus vorgestellt, den man in wenigen Wochen wohl des öfteren im Radio hören wird. Gelungener Abschluss seines Auftritts waren zwei Duette mit Ireen Sheer, die gesanglich hervorragend dargeboten und daher mit großem Applaus bedacht wurden. Empfehlenswert wäre, Bernhard Brink nicht immer den letzten Part des Abends übernehmen zu lassen, denn er hat durchaus die Möglichkeit, der Stimmung im Konzertsaal einen zwischenzeitlichen Höhepunkt zu verschaffen, was der gesamten Veranstaltung dienlich sein dürfte.

Fazit:

Dass deutsche und niederländische Schlagersängerinnen und -sänger (von der Après-Ski-Hits-Mitgröl-Szene mal abgesehen) über sehr gute stimmliche Qualitäten verfügen, darf - auch in den der deutschen Schlagerszene nicht sehr verbundenen Kreisen - ruhigen Gewissens nicht bezweifelt werden, denn kein Interpret der NDR-Schlagerparade 2004 hat sich gesangliche Schwächen geleistet. Es wurden vielmehr grundsolide und gute hand- bzw. mundwerkliche Leistungen geboten, die auch entsprechend vom Publikum der Lingener Emslandhallen honoriert wurden. Es ist schön anzusehen und anzuhören, dass die Fluktuation im Schlagergeschäft recht gering ist und die guten Interpreten auch nach Jahrzehnten noch in der Lage sind, mit zeitgemäßer Musik Chart-Erfolge zu erzielen.

Ob die Auswahl der vorgetragenen Titel wegen des gefühlten Übergewichts gemäßigten Temperaments einer Erfrischung bedarf, kann im Laufe der Tour ausprobiert werden, denn schließlich handelte es sich erst um den zweiten von sechzehn Terminen der Tournee, die alljährlich zu Jahresbeginn (natürlich in wechselnden Besetzungen) mit dem allseits beliebten Moderatorenteam Thürnau/Ackermann im Norden der Republik ihre Kreise zieht. Organisiert und auf die Beine gestellt wird die komplette Tour durch den Konzert- und Tourneeveranstalter Voice-Concert in Freren, der deutschlandweit viele Konzerte der Schlager-, Volksmusik- und Musicalbranche organisiert und sich hierbei zu einem der führenden Unternehmen dieser Art ausgebaut hat. Die Erfahrung und Professionalität der beteiligten Organisatoren und Interpreten führte zu einem überaus runden Musikerlebnis, das seine Zuschauer nach mehr als drei Stunden glücklich und zufrieden entließ, und genau zu diesem Zweck sollte man derartige Konzerte besuchen. Die Hoffnung auf die 2005er Tournee wirft bereits jetzt ihre Schatten voraus.


Lothar Heising