Musik an sich


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COPYPROTECTION KILLS MUSIC

Für die Musikindustrie steht der an ihrem Niedergang Schuldige eindeutig fest. Klar, man will sich nicht ganz rausreden: Gewiss hat es in der Vergangenheit einige Versäumnisse bei der Entdeckung neuer, innovativer und 'authentischer" Künstler gegeben, klar, die fetten Jahre haben einen träge werden lassen, und, klar, es gibt einfach Veränderungen des Marktes, auf die man zu spät reagiert hat. Klar will man jetzt vieles besser machen: Neue populäre Künstler finden, auch in den Nischen fischen. Doch der Mega-Star von morgen ist noch nicht in Sicht, und der von gestern steht mit einem Bein im Gefängnis ... Aber in der Hauptsache, da sind sich alle einig, haben die Konsumenten die gegenwärtige"lebensbedrohliche" Krise verschuldet. Weil: Statt die Musik zu kaufen, haben sie sie illegal ins WWW eingespeist, auf Foren getauscht und daheim gebrannt. Es ist auch nicht zu leugnen: Technische Neuerungen wie MP3 und Internet haben der konventionellen CD arg zugesetzt. Als Tonträger ist sie praktisch zum Witz geworden. Eben jene Majors, die sie Anfang der 80er aggressiv auf den Markt durchgesetzt haben, fühlen sich nun als Opfer. Die digitalen Geister die sie riefen, lassen sich nicht mehr bändigen. So viel Musik war noch nie. So viel Umsatzverluste wie in jüngster Zeit auch noch nicht.

Über die Ursachen dafür darf man gerne streiten. Über die fantasielosen Lösungen auch:

Ein neues Urheberrecht, Kopierschutz und Musterprozesse gegen Netzpiraten und illegales Brennen sollen nun ein Produkt schützen, an dem die meist jungen Kunden lieber sparen, als an Handys, Computerspielen oder Kleidung. Es ist ja auch zu einfach. Und die meisten "Hits" halten auch nicht länger als eine Saison. Man entsorgt sie einfach mit den alten Klamotten, einige unverwüstliche Lieblingsstücke vielleicht ausgenommen. Vieles wird vielleicht nur deshalb so wild kopiert und gebrannt, weil und solange es frei verfügbar ist. Ob es im umgekehrten Fall (und sei es über die die im Aufbau begriffenen kostenpflichtigen Internet-Börsen) ebenso eifrig legal erworben wird, muss sich erst noch zeigen.

MAN DARF ... WENN MAN KANN!

Das neue Urheberrecht erlaubt Kopien für den privaten Gebrauch. Ein Recht auf Kopien besteht jedoch nicht. Der sogenannte "Kopierschutz", mit dem eine immer größere Zahl von CDs ausgestattet wird, ist damit zulässig. Die Verfahren mögen im Detail unterschiedlich sein, in der Wirkung sind sie alle gleich (in)effektiv.
Denn am sichersten ist, was sich gar nicht mehr abspielen läßt: Die kopiergeschützen Tonträger unterlaufen mit ihren künstlich entstellten Tonspuren oder verfälschen Inhaltsverzeichnissen den Red Book - oder CDDA Standard für CDs, der auf das ursprüngliche Sony- und Philips-Patent zurückgeht. Daran orientieren sich auch die Hersteller von Abspielgeräten. Bei den "Copyprotected"-CDs handelt sich daher gar nicht mehr um Audio-CDs, sondern um industriell hergestellte Mängelware, die die Toleranzgrenze der Player auf die Probe stellt. Natürlich sollen nur die bösen Brennlaufwerke mit schlechter Fehlerkorrektur versagen. Doch leider versagt auch so manches Küchen-, Radiowecker-, Auto-, Computer und selbst noch DVD- oder Qualitäts-Hifi-Laufwerk. "Wir arbeiten noch daran!" ist die tröstliche Botschaft der Phonoindustrie. Derweil geht eine Menge Schrott über die Ladentheke. Die Haltbarkeit dieser "Un-CDs" ist schlechter, weil schon kleine Kratzer selbst "funktionstüchtige" Platten unbrauchbar machen können. Dieser 'Verschleißfaktor' scheint bewußt einkalkuliert zu sein. Auch der Klang leidet hörbar, weil alle Ressourcen der Geräte für die Rekonstruktion der kaputten Tonspur benötigt werden.
Das eigentliche Ziel wird dagegen verfehlt: Für viele Schutzmechnismen sind inzwischen einfache Tricks bekannt, wie sie umgangen werden können. Neben Software wie CloneCD oder Feurio, mit denen man den Inhalt kopiergeschützter CDs auf die Festplatte kopieren kann, werden auch Reparaturhilfen zur Beseitigung von Kratzern auf "geschützten" CDs angeboten.
Absurd: Bestraft wird eigentlich, wer derartige Un-CDs legal erwirbt, belohnt hingegen, wer eine illegale Qualitäts-Kopie ohne Kopierschutz erwirbt. Der Schritt zur erneuten privaten "Web-Freigabe" ist dann meist nur noch ein kleiner. Jeder Schutz provoziert nur neuen Ehrgeiz, ihn zu umgehen. In England haben Kauf-Boykotte immerhin dazu geführt, dass der Kopierschutz wieder zurückgezogen wurde. Auch der folgende Bericht über eine erfolgreiche Klage spricht für sich:

Französisches Gericht verurteilt EMI wegen Un-CD

Die französische Verbraucherschutzorganisation UFC-Que Choisir hat vor Gericht einen Erfolg gegen den französischen Ableger des Musikkonzerns EMI erstritten. Die Organisation hatte eine Frau unterstützt, die das Musiklabel verklagt hatte, weil sie eine CD des Sängers Alain Souchon ("J'veux du live") gekauft hatte. Diese war mit einem Kopierschutz versehen und die CD deshalb nicht im Autoradio abspielbar. Das Gericht in Nanterre gab der Käuferin Recht, sie bekommt den vollen Kaufpreis zurückerstattet. Es ist bereits das zweite Mal, dass dieses Gericht einer Klage gegen EMI aufgrund des Einsatzes von Kopierschutzmaßnahmen auf einer CD Recht gegeben hat. Im März hatte der Verband UFC eine Reihe von Klagen gegen verschiedene Musikkonzerne eingeleitet. Viele davon sind noch anhängig. In einer Mitteilung begrüßt UFC-Sprecher Julien Dourgnon das Urteil und sieht sich im Kampf für die Abschaffung von Kopierschutz auf CDs bestätigt. EMI äußerte sich bislang nicht dazu.
Die UFC wirft der Musikindustrie vor, den Verbrauchern mit falschen Fakten ein schlechtes Gewissen bereiten zu wollen. Tatsächlich seien im vergangenen Jahr aber die Plattenverkäufe in Frankreich um 10 Prozent angestiegen. Außerdem hätten die Verbraucher auf unbespielte CD-ROMs im Jahr 2002 etwa 135 Millionen Euro Abgaben gezahlt, 44 Prozent mehr als im Jahr 2001. Dies sei im Interesse der Künstler und Produzenten eine adäquate Gegenleistung. Das Recht auf Privatkopie habe ihnen bislang noch nicht geschadet. Daher fordern die Verbraucherschützer ein sofortiges Verbot von kopiergeschützten CDs.
Auch in Brasilien hatte im Juli ein Kläger in erster Instanz vor einem Gericht in Rio de Janeiro eine ähnliche Klage gegen EMI, Sony und die brasilianische Produktionsfirma von Marisa Monte gewonnen.
Die UFC veröffentlicht auf ihrer Homepage eine Liste mit kopiergeschützten Audio-CDs. Das c't-CD-Register enthält zudem mittlerweile knapp 10.800 Erfahrungsberichte zu über 1600 Audio-CDs, die größtenteils nicht dem CD-Audio-Standard entsprechen. Die Datenbank ermöglicht die Suche nach Interpret und Titel des Albums sowie die Abfrage nach bestimmten Gerätemodellen. (tol/c't)

LINKS

Auch im kopierfreudigen Deutschland formiert sich der Widerstand gegen "Un-CDs". Inzwischen werden auch zahlreiche Listen geführt, die CDs mit Kopierschutz erfassen. Hier eine Auswahl weiterer Web-Adressen:

Kopierschutz - Nein Danke!: deutsche Plattform für Kopierschutzgegner mit den wichtigsten Links
3sat Spezial: sorgfältig recherchierte Seite, mit zahlreichen Links zu den technischen Verfahren, Problemen und Umgehungsmöglichkeiten, Interviews mit den Verantwortlichen der Musikindustrie und Verbraucherschützern
Ratgeber Technik u. a. mit "Rettungsmöglichkeiten" angeschlagener kopiergeschützter CDs

Georg Henkel