Dream Theater

The Number Of The Beast (2002)


Info
Musikrichtung: Progressiver Metal

VÖ: 10.06.2022 (02/2005)

(InsideOut)

Gesamtspielzeit: 45:48

Internet:

http://www.insideoutmusic.com
lostnotforgottenarchives.dreamtheater.net



Nachdem Dream Theater im Februar 2002 mit Master Of Puppets begonnen hatten, klassische Alben in Komplettform am zweiten Abend als Zugabe zu spielen, wenn sie zwei Abende nacheinander in der gleichen Konzerthalle gastierten, führten sie dieses Konzept im gleichen Jahr mit The Number Of The Beast fort, und auch hier liefen am Abend des 24.10.2002 in Paris im La Mutualité die Bandmaschinen mit, was anno 2005 einen weiteren Bestandteil zur Lost Not Forgotten Archives-Serie lieferte, der nunmehr ebenfalls als Re-Release bei Inside Out vorliegt, wie gewohnt zwar mit allen acht Songs und im Digipack, aber ohne die erhellenden, aus der Feder von Mike Portnoy stammenden Liner Notes des Originals, in denen man z.B. erfährt, dass er und die beiden Saiten-Johns zu Zeiten der ersten gemeinsamen Aktivitäten 1985 ihre Jamsessions oftmals mit dem Nachspielen von Iron-Maiden-Material begannen, so dass die Wahl eines Albums dieser Band für das Alben-Zugaben-Projekt nur logisch erschien und, nachdem die Entscheidung für The Number Of The Beast und gegen Piece Of Mind gefallen war, insgesamt viermal praktiziert wurde, neben dem erwähnten Paris-Gig noch bei einem in London drei Tage zuvor sowie bei zwei späteren Gigs in Athen und Osaka.
Im vorliegenden Fall gönnen sich Dream Theater allerdings eine kleine strukturelle Abweichung vom Original: Das Intro des Titeltracks mit dem Bibelzitat, das einst die B-Seite eröffnete, kommt hier gleich zu Beginn der Komplettaufführung, aber danach folgt nicht etwa der Titeltrack, sondern tatsächlich wie im Original das zügige „Invaders“. In einer anderen Komponente halten sich die US-Amerikaner allerdings von Veränderungen fern: Jüngeren Pressungen des Albums wird bisweilen noch „Total Eclipse“ hinzugefügt, aus der gleichen Songwritingphase stammend, aber 1982 nur als B-Seite der Run To The Hills-Single sowie als Japan-Bonustrack veröffentlicht – diese Nummer erklingt in Paris allerdings nicht, sondern das Quintett beschränkt sich auf die acht Songs der klassischen Pressung, die in ihrer Umsetzung knapp 46 Minuten dauern.
Noch spannender als bei der Metallica-Scheibe ist bei The Number Of The Beast allerdings die Frage, wie Dream Theater die deutlich auf zwei Gitarren ausgerichteten Originalfassungen Iron Maidens interpretieren. Um es vorwegzunehmen: Leider gelingt es auch hier nur punktuell, die Keyboards von Jordan Rudess als wirkungsvollen akustischen Partner von John Petruccis Gitarre in Szene zu setzen. Paradebeispiel für diese Punktualität ist „The Prisoner“, wo Rudess die Leads in der ersten Solohälfte übernimmt und dort eine richtig gute Figur abgibt, im Rest des Songs aber praktisch nicht zu hören ist. Kurioserweise stört letztgenannter Faktor aber auch gar nicht so sehr (vom Fakt mal abgesehen, dass sein Talent sozusagen verschenkt wird), da Petrucci mal wieder eine erstklassige Leistung abruft. Doppelstimmige Passagen kann natürlich auch er nicht alleine spielen, und so gibt es ein paar Momente, wo er offenkundig mit geloopten Parts arbeitet – und die Soli bleiben dann eben ununterrifft. Bei denen, die Rudess übernimmt, ist natürlich das Klanggewand auch anders als bei Maiden, aber da ist dann eben zumindest die darunterliegende Rhythmusgitarre da – neben „The Prisoner“ hören wir den Keyboarder auch im Finalsolo von „22, Acacia Avenue“ und mit einem sehr eigentümlichen Sound im Mittelteil des Solos im Titeltrack. In der Einleitung von „Hallowed Be Thy Name“ bleibt freilich trotzdem die Frage, ob der Tastenmensch dort die Parallelmelodie unter der Leadgitarre spielt oder, falls nein, wie Petrucci das hier im Alleingang umsetzt – eine Frage, die sich noch durch weitere Passagen des Songs zieht. Einzig im Instrumentalpart, der zum Songtitel hinführt, ist die Aufnahme der Loopstruktur deutlich hörbar. Aber egal: Wer Interpretationen hören will, die exakt wie das Original klingen, ist hier erneut fehl am Platz, aber derjenige kann ja auch weiterhin das Original hören.
Und im Gros der Songs halten sich Dream Theater sowieso strukturell (nur eben nicht instrumentenseitig) eng an den Vorbildern. Unter den acht Songs gibt es neben der bereits erwähnten Verschiebung des Intros des Titeltracks zwei markante Ausnahmen. Zum einen baut „Children Of The Damned“ den epischen bzw. orchestralen Aspekt noch etwas aus, und zwar noch stärker als Therion auf ihrer 1997 veröffentlichten Coverversion, die die Amis theoretisch gekannt haben könnten. Der eigentliche Clou ist aber „Gangland“. Es gibt ja nicht wenige Stimmen, die diesen Song am liebsten vom Album verbannt und durch das erwähnte „Total Eclipse“ ersetzt gesehen hätten. Gut, das Original ist tatsächlich die graue Maus unter den acht Songs. Aber Dream Theater machen hier eine coole Jazzpop- bzw. Akustikrocknummer draus, die zwar Puristen auch übel aufstoßen dürfte, aber allen, die einfallsreiche und gekonnte Umsetzungen schätzen, ähnlich prima reinlaufen wird wie beispielsweise die Ska-Version des Titeltracks von The Daisies. Witz am Rande: Entweder die Band war mit ihrer Fassung von „Gangland“ im regulären Albumwiedergabeteil nicht zufrieden, oder es ist irgendwas Grundlegendes schiefgegangen – jedenfalls spielten sie den Song als erste weitere Zugabe gleich noch einmal. Nur der Dabeigewesene wird freilich entscheiden können, von welchem der beiden Takes das jetzt auf der CD zu Hörende stammt – vielleicht ist es ja auch ein Zusammenschnitt beider.
Beim Sound fällt abgesehen vom Aspekt, dass man Rudess abgesehen von seinen Jazzpiano-Einsätzen in „Gangland“ im wesentlichen wirklich nur in den Soli hört, also nicht einschätzen kann, ob er außerhalb derselben überhaupt mitspielt, der Fakt auf, dass John Myungs Baß auffällig wenig präsent ist, nachdem die Einleitung von „Invaders“ eigentlich angedeutet hatte, dass er hier wichtige Aufgaben zu erfüllen haben könnte (es fehlt ja die eine Gitarre) – und Steve Harris ist ja nicht dafür bekannt, als Bassist sonderlich weit im Hintergrund stehen zu wollen. Aber außer im finalen Soloteil des Titeltracks oder im Exzelsiorteil des Solos von „Run To The Hills“ tritt der Baß selten mal in den Vordergrund, wenngleich die Verzahnung mit den Drums wiederum gut gelingt.
Erstaunlich gut schlägt sich auch James LaBrie am Mikrofon. Klar, die Sattelschlepperpower von Bruce Dickinson reproduzieren kann er, zumal ja vor der Albumwiedergabe schon ein regulärer Dream-Theater-Set angestanden hatte, nicht, aber er macht eine gute Figur, kreischt auch mal in ungewohnten Höhen und dominiert „Gangland“ recht stark – ob hier 20 Jahre früher schon mal eine Grundidee für seine 2022er Akustikrockscheibe Beautiful Shade Of Grey gelegt wurde? Hier und da („Run To The Hills“!) kommen die Backing Vocals ein bißchen hemdsärmlig rüber, aber da Maiden direkt vor diesem Album das punkige Element in Gestalt von Paul DiAnno abhanden gekommen war, könnte selbst dieser Aspekt Absicht sein, indem etwas Verlorenes und bis heute nicht Ersetztes (auch nicht in der Ära Blaze Bayley) hier quasi durch die Hintertür auftaucht.
Die Anhängerschaft in Paris zeigt sich deutlich enthusiastischer als die bei Master Of Puppets in Barcelona – oder vielleicht hat sie der Soundmensch auch nur besser einfangen können. Das Filmsample im Intro von „The Prisoner“ wird passagenweise von überraschend vielen Anwesenden mitformuliert, und dass man die Refrains der Klassiker fleißig mitsingt, gehört natürlich zum guten Ton. So macht dieser Livemitschnitt summiert ein gutes Stück mehr Hörspaß als der zu Master Of Puppets, und die Idee als solche ist natürlich sowieso grandios.



Roland Ludwig



Trackliste
1Invaders4:18
2Children Of The Damned5:06
3The Prisoner6:27
422, Acacia Avenue6:51
5The Number Of The Beast4:29
6Run To The Hills4:05
7Gangland6:30
8Hallowed Be Thy Name7:59
Besetzung

James LaBrie (Voc)
John Petrucci (Git)
Jordan Rudess (Keys)
John Myung (B)
Mike Portnoy (Dr)



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