Aella

Mania Welitschaja – 30 Ljet Spustja


Info
Musikrichtung: Metal

VÖ: 02.08.2015

(KIV / CD-Maximum)

Gesamtspielzeit: 38:56

Internet:

http://www.vk.com/aellaband


Dass eine Band eine komplette Platte einer anderen Band am Stück covert, besitzt gewissen Seltenheitswert. Spontan fallen einem beispielsweise Dream Theater ein, die sich gelegentlich den Spaß gönnen, als Zugabe ganze Alben wie The Number Of The Beast oder Master Of Puppets zu performen – als Studioveröffentlichung ist dieses Szenario aber schon deutlich rarer. Aus dem Hardcorebereich kennt man The Power Of Expression, ein Bandprojekt, das sich sogar extra gegründet hat, um die gleichnamige Scheibe der Band B’last neu einzuspielen, bevor man beschloß, zusammenzubleiben und auch Eigenkompositionen zu fabrizieren. Der hier zu betrachtende Fall ist allerdings nochmals anders gelagert: Die russische All-Girl-Metalband Aella faßte den Plan, das Arija-Debütalbum Mania Welitschaja aus Anlaß von dessen 30jährigem Erscheinungsjubiläum komplett neu einzuspielen, und das 2015 veröffentlichte Ergebnis bildet das dritte Studioalbum der Band.
Nun sind Arija nicht irgendwer, sondern schlicht und einfach Rußlands größte Metalband, und auch wenn Mania Welitschaja noch nicht die alles überragende Klasse einiger späterer Alben, allen voran des Drittlings Geroi Asfalta und des 2003er Werkes Krestschenije Ognjom, erreichte, ist es doch ein interessantes Album, das die Qualitäten der Band bereits deutlich erkennen läßt und mit „Torero“ einen Song enthält, der noch heute regelmäßig in den Setlisten der Band auftaucht. Als dahergelaufene Wald-und-Wiesen-Band Mania Welitschaja covern zu wollen würde also an Größenwahn grenzen (das bedeutet der Albumtitel übrigens auch) – aber Aella haben genügend Klasse, sich dieser Aufgabe gekonnt zu entledigen. Zugleich beweisen sie großen Respekt vor dem Original, indem sie nicht in die Originalstrukturen eingegriffen haben, mit Ausnahme etwa einer Kürzung des im Original lange auswabernden Outros von „Wolontjor“ und einigen Straffungen in dessen Hauptteil. Allerdings erforderte die Instrumentierung ein paar Anpassungen: Arija hatten mit Wladimir Cholstinin 1985 nur einen Gitarristen, aber ihre oft und gern mit Iron Maiden verglichene Musik war schon zu Debützeiten eindeutig auf zwei Gitarren ausgelegt, und so verpflichteten sie vor dem Zweitling S Kjem Ty? Andrei Bolschakow und arbeiteten fortan bis heute mit zwei Gitarristen, während Keyboarder Kirill Pokrowski die Formation nach dem Zweitling verließ und seine Planstelle bis heute unbesetzt blieb. So sehr viel hatte er allerdings schon auf Mania Welitschaja nicht zu tun, und so war die Aufgabe für Aella, die mit zwei Gitarristinnen arbeiten, nicht weiter schwer, zum einen einige seiner Passagen auf die zweite Gitarre umzuschreiben und zum anderen den „Rest“ Gästen zu überlassen, von denen das Booklet kurioserweise allerdings nur Marija Wasenkowa für den Song „Posadi Amerika“ nennt, während unklar bleibt, wer beispielsweise in „Torero“ Keyboards spielt oder die Orgel im Titeltrack, welchletzterer ein kurzes Instrumentalstück aus Orgel, Keyboards, Vokalisen und Gitarre darstellt, das gerade ohne die Orgel deutlich weniger majestätisch wirken würde. Klar ist hingegen eine andere Personalie: Die Mädels hatten zum Zeitpunkt der Einspielung keine Schlagzeugerin, und so übernahm Dmitri Kowaljew diese Position durchgehend als Gast. Der ist dann offenbar auch gleich dafür verantwortlich, dass Aella kaum einen Deut schneller musizieren als Arija 30 Jahre zuvor: Die Abweichungen der Songlängen bleiben mit Ausnahme des erwähnten „Wolontjor“ und des Openers „Eto Rok“ im Bereich von wenigen Sekunden, und dass das Aella-Album zweieinhalb Minuten kürzer ist als das Arija-Original, liegt im wesentlichen an der „Wolontjor“-Änderung.
Mania Welitschaja war 1985 das erste „richtige“ Metalalbum der Sowjetunion, und so kann man es Arija natürlich nicht verdenken, dass sie noch keine ganz genaue Vorstellung hatten, wie sie ihren Vorwärtsdrang ausleben sollten, ganz von der Tatsache abgesehen, dass es auch keine Tontechniker und Studios gab, die mit dieser Sorte Musik praktische Erfahrung hatten. Vor diesem Hintergrund ist Mania Welitschaja als Eigenproduktion richtig gut geworden, wobei nur Eingeweihte wissen, wie das lediglich auf Kassette veröffentlichte Ergebnis damals real klang: Die meisten werden nur eine der remasterten CD-Versionen aus den Neunzigern besitzen, so auch der Rezensent, der eine 1998er Variante von Moroz Records sein eigen nennt, die er 2007 in Naltschik erworben hat. Anhand dieser Variante wird allerdings besonders deutlich, mit welcher Liebe zum Detail Aella vorgegangen sind: Die Bookletrückseite wurde bis auf den erweiterten Titel komplett übernommen, dazu in einer sehr ähnlichen Schriftart, und in der Danksagung im Booklet findet sich ein Name eingerahmt, nämlich derjenige des bereits erwähnten Kirill Pokrowski – das ist in der 1998er Arija-Variante auch bei einem Namen der Fall, nämlich bei Wiktor Wekschtein, dem Manager der Band. Sollte es sich bei Pokrowski um den Manager Aellas handeln? Auszuschließen wäre es nicht. Eindeutig verifizierbar ist aber die Hommage auf dem Cover. Das des Originals besteht bekanntermaßen aus den vier Buchstaben des Bandnamens (das „ja“ bedarf im kyrillischen Alphabet nur eines Buchstabens), die quasi als aus Stein gehauene Skulptur nebeneinandergestellt sind. Der Name Aella hat im kyrillischen Alphabet zwar einen Buchstaben mehr, aber diese fünf in analoger Weise aus Stein „aufzubauen“ war nicht weiter schwierig und setzt dieser Hommage in optischer Hinsicht die Krone auf.
Bleibt nun trotzdem die Frage, wie sich die vier Mädels und ihr schlagzeugender Hahn im Korb musikalisch schlagen. Rein instrumental gibt es erstmal absolut nichts zu beanstanden: Die Gitarristinnen Olga Andrejewa und Olga Wolodkina sind nicht nur optisch heiße Feger (soweit man das anhand des Bandfotos erkennen kann), sondern auch äußerst fit an den sechs Saiten, und Bassistin Natalja Perewerzewa kommt mit den nicht selten weit hervortretenden Linien Alik Granowskis (wir erinnern uns, dass Arija weiland nur einen Gitarristen hatten und dem Basser damit eine größere Bedeutung zukam) gleichfalls hervorragend klar, was auch auf Gastbassist Aleksandr Romanow, der drei der acht Songs spielt, zutrifft. Bleibt Sängerin Tillen Awers – und sie hat den schwersten Job von allen, erleichtert allenfalls dadurch, dass man Arija ja mittlerweile nicht mehr automatisch mit der Stimme Waleri Kipelows in Verbindung bringt, sondern auch seine beiden Nachfolger Artur Berkut und Michail Schitnjakow im Ohr hat, zumal wenn diese das alte Material live darboten. So fällt es auch etwas leichter, sich an eine Sängerin zu gewöhnen, zumal diese keine klassische Stimmlage einbringt und auch nicht in Heavenly-Voices-Manier ins Mikrofon haucht, allerdings auch nicht wild herumkreischt – im besten Sinne normaler klarer weiblicher Rockgesang, gelegentlich ein wenig expressiver, die Melodien problemlos haltend und trotz eigener Stimmfärbung nie zu weit vom Original weg, so artikuliert sich die Aella-Vokalistin. Nur in „Wolontjor“ kreischt sie dann doch mal eine Strophe, und das machte Kipelow 1985 nun wirklich nicht – er setzte hier eher eine Art bedrohliches Flüstern ein. Aber beides paßt an dieser Stelle perfekt.
Da es auch an den technischen Aspekten nichts auszusetzen gibt, geht diese Jubiläumsscheibe also als gelungene Hommage durch, die sich in jeder Arija-Sammlung bestens macht, aber ohne Kenntnis des Originals genauso problemlos als eigenständiges Werk goutierbar wäre, wenn man klassischen melodischen, latent Iron-Maiden-angehauchten Metal mag. Die Sängerin hat Aella zwischenzeitlich allerdings verlassen, und dem Rezensenten ist noch nicht bekannt, wie die Band in ihrer aktuellen Besetzung klingt (neuerdings nennt sich Olga Andrejewa übrigens mit Vornamen Helga), was für die Beurteilung dieser Scheibe aber natürlich irrelevant ist.



Roland Ludwig



Trackliste
1Eto Rok5:27
2Torero5:35
3Wolontjor5:52
4Biwny Tschornych Skal4:57
5Mania Welischaja1:54
6Schisn Sadarom4:21
7Metschty5:28
8Posadi Amerika5:15
Besetzung

Tillen Awers (Voc)
Olga Andrejewa (Git)
Olga Wolodkina (Git)
Natalja Perewerzewa (B)



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