Musik an sich


Reviews
Stravinsky, I. (Currentzis, T.)

Le Sacre du printemps


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne / Ballett

VÖ: 19.10.2015

(Sony Classical / Sony / CD / DDD / 2013 / Best. Nr. 88875061412)

Gesamtspielzeit: 34:48



MYTHOS UND LOGOS

Rund 35 Minuten dauert Igor Stravinskys Ballett Le Sacre du printemps aus dem Jahr 1913. Auf vorliegender CD ist diese Ikone des 20. Jahrhunderts das einzige Stück - dafür kann, wer möchte, wahlweise auch eine LP- oder eine Blue-Spec-CD-Version der Aufnahme bekommen. Die Spielzeitverknappung unterstützt ebenso wie das Op-Art-Cover den "kultigen" Anspruch dieser Einspielung, die auf Klasse statt Masse setzt und zugleich eine äußerst respektable Visistenkarte für Maestro Teodor Currentzis und sein Orchester MuscAeterna darstellt.

Die Referenz-Konkurrenz gerade bei diesem Werk ist groß und die Extreme der Musik scheinen bereits von Dirigenten wie Pierre Boulez bis Esa-Pekka Salonen weidlich ausgereizt. Trotzdem behauptet sich Currentzis Version ohne Mühe auf dem Interpretations-Olymp. Seine Einspielung ist im Lyrischen wie im Rhythmischen gleichermaßen stark: eine gelungene Synthese dieser Polaritäten, die in anderen Einspielungen mitunter einseitiger (und dann auf Kosten der jeweils anderen Dimension) zur Geltung gebracht werden.

Wunderbar der sich langsam entfaltende Beginn, der das Aufbrechen der Erde während des russischen Frühlings darstellt. Wind, Wasser, Pflanzen, Tiere, alles bekommt eine Stimme und wird vor dem inneren Auge des Hörers zur Erscheinung gebracht, ohne dass es platt illustrativ wirken würde. Gleiches gilt für die Einleitung zum 2. Teil und den Reigentanz der Mädchen bzw. die Weihehandlung der Ahnen, die durch betörend ausgehörte Harmonien und Klangfarben-Räume bestechen. Gegen diese selbstvergessenen Ruhepunkte setzt Currentzis die scharfen Akzente der stärker durch den Rhythmus geformten Abschnitte.
Dabei vermeidet er aber eine oberflächliche Aggressivität und Temposteigerungen um jeden Preis. Statt dessen vertieft eine sehr weit gespreizte Dynamik, die für die Tontechnik wie für die heimische Hifi-Anlage gewiss eine Herausforderung darstellt, den akustischen Raum. Jede Attacke ist darin sensibel durchgeformt, bleibt Musik. Ekstase ja, aber keine besinnungslos Raserei.
Auch die Transparenz der Einspielung ist diesbezüglich wirklich vorbildlich und erweist erneut die überragende Qualität von Stravinskys Partitur, in der sich Mythos und Logos verbinden: archaische, vor-klassische und -romantische Klangqualitäten und modernstes, kühl kalkulierendes Komponistenhandwerk. Die Musiker aus Perm spielen auf höchstem Niveau, sind hörbar ganz dem glühenden, aber auch seltsam verschwiemelten Bekenntnis ihres Dirigenten verpflichtet, dass dieser im Booklet ausbreitet.



Georg Henkel



Besetzung

MusicAeterna

Teodor Currentzis: Leitung


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