Musik an sich


Reviews
Monteverdi, C. (Dumestre)

Combattimento!


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 01.11.2010

(Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2010 / Best. Nr. 172)

Gesamtspielzeit: 71:26



WECHSELBAD DER AFFEKTE

Bislang haben Vincent Dumestre und Poème Harmonique sich eher auf Randständiges und Unbekanntes konzentriert: Frühbarocke Meister aus Frankreich wie Pierre Guédron oder Estienne Moulinié beispielsweise. Oder sich mit italienischen Madrigalisten wie dem ominösen Il Fasolo beschäftigt, dessen Identität immer noch ungeklärt ist. Monteverdi stand bislang nur in sogenannten Kontrafakturen aus der Feder von Aquilino Coppini auf dem Programm der CD Nova Metamorfosi: Monteverdis originale Musik (aus dem 4. und 5. Madrigalbuch) und dazu ein neuer (geistlicher) Text von Coppini.

All diese herrlichen Einspielungen, tief empfunden und ausgehört, überdies exquisit in den vokalen und instrumentalen Klangfarben, haben immer schon Lust auf Mehr von einem etablierten Meister wie Monteverdi gemacht. Zwar gehen die Pläne der Musiker/innen nicht in Richtung einer Gesamteinspielung Monteverdis – da gäbe es eben schon genug gute Produktionen. Dass sie jetzt aber doch ein paar Kostbarkeiten aus dem 8. Madrigalbuch aufgenommen haben, hat seinen Grund wenigstens zum Teil auch in einer Komposition von Marco Marazzaroli, dessen burleskes Intermedium La Fiera di Farfa sich für das kämpferische Finale ungeniert bei Monteverdis genialer Vorlage, dem Combattimento di Tancredi e Clorinda bedient. Dies freilich mit so viel Gespür für den neuen Kontext, dass man nicht einfach von einer Kopie sprechen möchte. Die erregten Gesten der Streicher und Bassinstrumente, deren pochender, sägender Duktus an galoppierende Pferde, heißblütige Krieger und heftige Schwertstreiche gemahnt, kommen hier in einem eher komischen, der Comedia dell’arte entlehnten Kontext zum Einsatz. Statt des christlichen Ritters und der Sarazenen-Kriegerin treffen Coviello und Zanni, zwei Charaktere aus der Comedia dell’arte, aufeinander. Monteverdis musikalische Miniaturtragödie wird sozusagen in die Possentonart transponiert. In La Fiera di Farfa gibt sich das Personal der italienischen Komödie auf dem Markt die Ehre. In flottem Parlando singt man sich an, versucht, seine Waren unter das Volk zubringen, unterbrochen von einigen schlichten, aber schönen Gesangsnummern über wiegenden Continuobässen und garniert mit komischen Akzenten und possierlichen Imitationen von Tierlauten. Bis sich am Ende die beiden Platzhirsche berkriegen …
Vincent Dumestre hatte Zweifel, ob die eher schlichte musikalische Sprache von La Fiera auf der CD funktionieren würde. Immerhin gibt es endlos lange Abschnitte, die über einer einzigen Grundharmonie gesungen werde (die dann wie ein Klangband unterlegt wird). Es funktioniert, auch wenn es nicht die Kraft von Monteverdis elaborierter Sprache erreicht (das ist ja auch gar nicht die Absicht). Die kultivierte Spiellaune von Poème Harmonique sorgt dafür, dass man diesen Schwank mit Vergnügen hört - und das burleske Treiben vor den geistigen Augen sieht!

Monteverdis Combattimento ist da schon ein anderes Kaliber und stürzt den Hörer in ein Wechselbad der Affekte. Dumestre und sein Team bieten eine Kammerfassung, die in jedem Augenblick und vor allem beim ausgespielten instrumentalen Finale – ein Zusatz aus der Feder von Giovanni Maria Trabacci, der sich ganz organisch anfügt – betörend und zugleich dramatisch klingt. Die Mischung von Klangfarben und das Gespür für Stimmungen verraten, dass hier französische Musiker am Werk sind. Überzogene Effekte gibt es nicht. Der testo, der Bariton Marc Mauillon, zeichnet sich durch großes Einfühlungsvermögen und leidenschaftliche Deklamation aus. Anders als mancher Kollege überzieht er dabei nicht zugunsten eines gewiss eindrucksvollen, aber vielleicht auch falsch verstandenen barocken „Verismo“ und wahrt belcantische Noblesse.
Weitere Höhepunkte dieser CD sind die ungemein dichte Darbietung von Hor che’l Ciel e la Terra, dessen kühne, dissonanzgesättige harmonische Sprache von den Darbietenden weidlich ausgekostet wird. Man hört darin die kraftvollen Farben sowie die Licht- und Schattendramaturgie eines Caravaggios. Sehr bewegend auch das berühmte Lamento della Ninfa, bei dem Claire Lefilliâtre erneut eine ausgezeichnete Balance von vokalem Schönklang und Ausdruck gelingt.



Georg Henkel



Trackliste
1Hor che'l Ciel e la Terra: Hor che'l Ciel e la Terra5:06
2 Hor che'l Ciel e la Terra: Cosi sol d'un chiara fonte4:35
3 Lamento della Ninfa: Non havea Febo ancora1:25
4 Lamento della Ninfa: Amor3:45
5 Lamento della Ninfa: Si tra sdegnosi0:51
6 Combattimento di Tancredi e Clorinda: Combattimento19:05
7 Consonanze Stravaganti3:04
8 La Fiera di Farfa33:35
Besetzung

Le Poéme Harmonique

Vincent Dumestre: Theorbe & Leitung


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