Musik an sich


Reviews
Corrette – De La Garde – De Grandval u. a. (Visse - Valetti)

Dom Quichotte … Cantates & Concertos Comique


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 01.11.2009

(Alpha / Note 1 / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. Alpha 151)

Gesamtspielzeit: 66:10



EINE ECHTE GAUDI!

Auch in der Musik benötigt der Humor eine gewisse Fallhöhe, um wirksam zu werden. Er misst sich am Ernsten, Erhabenen und Vollendeten, das er mehr oder weniger offensichtlich ins Lächerliche zieht oder in sein groteskes Gegenteil verkehrt, dies aber ebenfalls mit kunstvollen Mitteln. Vielleicht hat er es deshalb schwerer als das Erhabene & Ernste: Was, wenn der ästhetische Gipfel, von dem aus er sich beherzt in die Tiefen des Menschlich-Allzumenschlichen oder des musikalischen Unfalls hinabstürzt, dem Hörer einfach nicht präsent ist, so das dieser den Witz als solchen gar nicht erkennt? Dann könnte er das notorische „Hurz“ entweder irritiert für den nämlichen Gipfel halten – oder für sein Gegenstück, das tiefe Tal der peinlichen, unfreiwilligen Komik …

Wenn Geist, Witz und Humor bei der sogenannten Alten Musik in modernen Ohren zünden sollen, muss die Gratwanderung zwischen Kunst und Komik für den heutigen Hörer nachvollziehbar werden. Und so gesehen machen der Altus Dominique Visse und Café Zimmermann bei dieser Sammlung barocker französischer Kantaten und komödiantischer Konzerte alles wirklich genau richtig. Visse ist ein Unikum, der, wo nötig, gleich mehrere Rollen übernimmt und stufenlos zwischen schrillem Fallsett, Kleine-Mädchen-Stimme und virilem Bariton hin- und her springt. Ein Feuerwerk stimmlicher Charakterisierungskunst!
Die heute meist vergessenen Komponisten wussten ganz genau, wie sie mit den Registern des Burlesken, Komödiantischen oder Satirischen spielen mussten, um ihr oft aristokratisch-verklemmtes Publikum zum Lachen zu bringen (wobei der Mund natürlich geschlossen blieb …).
Dabei ergeben sich im Vergleich mit der Gegenwart verblüffende Perspektiven: Gerne ergötzte man sich schon damals an dem, was heute als Prekariat diverse Casting- und Doku-Soaps bevölkert. Natürlich mochte man sich damit nicht „in echt“ befassen, sondern in Form kunstvoll stilisierter Typen: verkrachte Witwen, lüsterne Soldaten (sämtlich in La Matrone d’Ephèse) und ungehobelte Diener (Sancho Pansa in Dom Quichotte) dürfen sich darum in Jargon von Gassenhauern, Vaudevilles oder Volksliedern entäußern.
Immer wieder werden die pathetischen Gesten der großen, ernsten Oper von lächerlichen Personen verhunzt oder es wird von ebendiesen zu erhabener Musik gänzlich Unpassendes geäußert. Pathos als Hohlform. Gerade hier setzen die Komponisten auf ein gebildetes Publikum, das sich mit den Feinheiten der hohen Kunst genau auskennt.
Unschätzbare Übersetzungshilfe für den heutigen Hörer leistet hier Dominique Visse durch seine wirklich komische, niemals grobe Performance, bei der er vokal gekonnt zwischen absurder Schönheit (z. B. die „ergreifenden“ Arien des Don Quichotte oder der Beginn von La Matrone d’Ephèse) und grossartiger Hässlichkeit (ebenda das Finale mit dem Geist des verstorbenen Ehemanns) balanciert. Das Instrumentalensemble unterstützt ihn dabei nach Kräften, spielt mit bizarren Klangfarben, singt auch mal mit oder markiert ein aufsässiges Orchester, das einem eitlen Komponisten die Botmäßigkeit verweigert (La Sonate). Die kammermusikalischen Konzerte sorgen für nicht minder vergnügliche Intermezzi. Von Michel Corrette hätte ich gerne noch mehr gehört. Bestes barockes Entertainment!



Georg Henkel



Trackliste
01-03 Michel Corrette: Concerto Comique V
04-06 Pierre de La Garde: La Sonate
07 Marin Marais: La Sonnerie de Ste Geneviève du Mont de Paris
08-11 Nicolas Racot de Grandval: La Matrone de Ephèse
12-14 Michel Corrette: Concerto Comique XXIV
15-18 Philippe Courbois: Dom Quichotte
Besetzung

Dominique Visse: Altus
Café Zimmermann

Pablo Valetti: Violine & Konzertmeister



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