Musik an sich


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Haydn, J. (Spering)

Il ritorno di Tobia


Info
Musikrichtung: Wiener Klassik/Oratorium

VÖ: 29.10.2007

Naxos / Naxos (3 CD, DDD (AD: 2006) / Best.nr. 8.570300-02)

Gesamtspielzeit: 169:04

Internet:

Capella Augustina

Naxos



ENTDECKUNG

Bei den Stichworten "Haydn" und "Oratorium" fallen einem in erster Linie "Die Schöpfung" und "Die Jahreszeiten" ein. Sie gehören zu Haydns reifem Spätwerk. Aber schon rund ein Vierteljahrhundert früher, nämlich 1775, hatte der Komponist mit einem Oratorium einen grossen Publikumserfolg erzielen können. Das in jenem Jahr uraufgeführte Stück "Il ritorno di Tobia" knüpft wesentlich deutlicher als seine beiden "Brüder" an den neapolitanischen und österreich-süddeutschen Oratorienstil an.

Das Textbuch basiert auf dem alttestamentarischen Buch Tobias und erzählt die Geschichte von den Gefahren, die der junge Tobia in der Fremde zu bestehen hat, von seiner glücklichen Heimkehr und von der durch ihn bewirkten Heilung des erblindeten Vaters (Tobit). Neben Vater und Sohn treten die Mutter Sara und Raffael, ein Erzengel, in Erscheinung. Das Ganze ist, abgesehen von den rahmenden Chorsätzen, vor allem ein ausuferndes, virtuoses Arienkonzert. Und das heißt auch, dass die Arien von erheblicher Länge sind, so dass der Fluss der Handlung immer wieder ins Stocken gerät.
Dieser Umstand, zusammen mit der rund dreistündigen Aufführungsdauer, war es wohl auch, der eine angedachte Wiederaufführung schon im Jahre 1781 scheitern ließ: der Musikgeschmack hatte sich rapide geändert und ein Oratorium im Stile der Opera seria war nicht mehr en vogue.
Dabei war und ist bei aller Orientierung am konventionellen Grundgerüst Haydns Werk jeder Beachtung wert. Denn schon hier hebt sich der Komponist von der Masse seiner Kollegen durch eine enorm farbige Instrumentation und ein besonders feines dramatisches Gespür ab. Obgleich die Arien nie mehr als ein oder zwei Affekte abbilden, geschieht diese Affektzeichnung doch sehr differenziert. Viele der orchestralen Effekte entstammen den Vorbildern des Musiktheaters und an einigen Stellen fühlt man sich deutlich an Glucks Opern erinnert. Die koloraturlastigen Arien sind extrem anspruchsvoll und bei entsprechender Besetzung ein virtuoser Hochgenuss.

Um das für eine Live-Aufführung vielleicht weniger geeignete, für eine CD-Produktion hingegen äusserst dankbare Werk hat sich das Label Naxos in Kooperation mit dem Deutschlandfunk und einigen Sponsoren in beispielhafter Weise verdient gemacht. Die Besetzungliste liest sich wie ein Who is Who der Alten Musik-Szene und wird den damit hoch angesetzten Erwartungen fast durchweg gerecht. In den Sopranpartien geht der Sängerwettstreit zwischen Roberta Invernizzi und Sophie Karthäuser unentschieden aus: Während Invernizzi mit dem grösseren stimmlichen Feuer aufwarten kann, überzeugt Karthäuser mit der schmeichelnderen Tongebung.
In puncto Intonation und Koloratursicherheit liegen die Damen ohnehin gleichauf. Ann Hallenbergs bronzen timbrierter Alt steht der Rolle der Anna gut zu Gesicht; hier gefällt neben der Beweglichkeit in der Höhe auch die runde, ausgewogene Tongebung in den tieferen Lagen der Partie. Apropos Tiefe: Der Bass Nikolay Borchev gebietet über eine junge, dennoch aber bereits so voll und schwarz tönende Bassstimme, dass man von ihm in der Zukunft noch viel erwarten darf. Dies gilt an sich auch für den schwedischen Tenor Anders J. Dahlin, der diesmal aber Probleme hat, sich gegen den kräftigen Orchesterklang durchzusetzen. Sein Vortrag ist in der Tiefe zu dünn und in der Höhe überspitzt. Zudem wirkt er in seiner zweiten großen Arie ("Quel felice nocchier") im Vergleich mit dem vom Orchester entfalteten Furor müde und erschöpft.
Wenngleich Dahlin sich keinen ernsthaften Patzer erlaubt, so bleibt doch festzustellen, dass diese schwierige Partei nach einem anderen, gewichtigeren Tenor verlangt hätte.

Das Vokalensemble Köln gestaltet die prächtigen Chorsätze präzise und kraftvoll.
Ein Genuss ist das Spiel der Capella Augustina. Ihr Brio sorgt dafür, dass trotz gewisser Längen keine Langeweile aufkommt. Dabei erweist sich Andreas Spering, wie schon bei der Einspielung der "Schöpfung" (siehe Review) als einer der derzeit versiertesten Sachwalter für Haydns Oratorien. Seiner Aufmerksamkeit entgeht kein Detail. Zugleich aber schafft Spering eine musikalische Spannung, die die Nähe des Oratoriums zur Oper deutlich hervortreten lässt.

Da die Einspielung auch aufnahmetechnisch allerhöchsten Ansprüchen genügt, hat Naxos mit dieser nahezu durchweg mustergültigen Interpretation neue Maßstäbe gesetzt.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Raffaele: Roberta Invernizzi, Sopran
Sara: Sophie Karthäuser, Sopran
Anna: Ann Hallenberg, Alt
Tobia: Andreas J. Dahlin, Tenor
Tobit: Nikolay Borchev, Bass

VokalEnsemble Köln
Capella Augustina

Ltg. Andreas Spering


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