····· Savatage nach 23 Jahren wieder live auf Europa-Tour ····· Die Bio-Bauern The Inspector Cluzo spielen Öko-Rock ····· Wolvespirit verkaufen Bullshit ····· Rock of Ages - Zusatzshows in 2025 ····· Ally Venable veröffentlicht Video zur neuen Single „Do you cry“ ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

40 Jahre JETHRO TULL - die Deutschland-Tour hat begonnen

Info

Künstler: Jethro Tull

Zeit: 30.05.2008

Ort: Zitadelle, Spandau

Besucher: 20.000

Veranstalter: Trinity

Fotograf: Norbert von Fransecky

Bei herrlichsten Sommerwetter fiel der Startschuss zur Jethro Tull-Jubiläums-Tournee und dem Zitadellenfestival vor praktisch ausverkauften Reihen.



Das Konzert in Spandau war ein doppelter Auftakt. Zum einen war es das erste Konzert der Deutschlandtour zum 40jährigen Bestehen von Jethro Tull, die Ende August auf der Museumsmeile in Bonn enden wird; zum anderen der Startschuss des diesjährigen Zitadellenfestivals. Die Wettergötter hatten Einsicht und wärmten die mittlerweile gut etablierte Location im äußersten Nord-Westen Berlins mit einem der ersten Hochsommertage des Jahres auf angenehme Betriebstemperaturen. Das Publikum dankte es. Die Plätze im Innenraum des historischen Gemäuers waren zwar nicht 100%ig besetzt, aber weit entfernt davon war es nicht.


Eine offenbar motivierende Kulisse. Ian Anderson und Co zeigten sich von der besten Seite und in blendender Spiellaune. Warm spielen war nicht. Die fünf waren von der ersten Sekunde an voll da, turnten drei Stücke lang kommentarlos vor den Fotografen herum, die man gnädiger Weise in einen winzigen Winkel am rechten Bühnenrand gesperrt hatte - eine Art Käfighaltung auf Zeit. Dann erst erfolgte die Begrüßung durch Ian Anderson, der den Rest der ersten halben Stunde nutzte, die Wurzeln der 40-jährigen Dame Tull frei zu legen. Da wurde gerockt, gejazzt, der Blues gespielt und auch der Folk in den Ring gerufen. Lediglich ausufernde Prog-Phasen sparte man sich noch aus. Am Ende der ersten halben Stunde gab es ein erstes Finale, bei dem sich alle Musiker, insbesondere Doane Perry am Schlagzeug und Martin Barre, der von Jazz bis Metal alle Register zog, weidlich austoben konnten.

Danach kam der Bonbon für das Berliner Publikum. Das Konzert in der Zitadelle ist das einzige Konzert der Deutschlandtour, bei dem Jethro Tull mit Unterstützung eines Symphonieorchesters an den Start gehen. Das unumgängliche Stimmen der Instrumente kommentierte Anderson mit einem „Now they are doing something Rockbands never do.“ und einem demonstrativen Blick auf die Uhr. Es folgt die vielleicht grandioseste Viertelstunde des Konzertes. Während einer zehnminütigen Version von „Thick as a Brick“ und dem folgenden „Bouree“ von Bach spielten sich Anderson, Barre, Goodier und das Orchester die Bälle perfekt zu. Ein Hochgenuss.

John O’Hara: Keyboarder Nummer 8 bei Jethro Tull - oder Akkordeon-Spieler Nummer 3. „That sounds more nichr“, meint Ian Anderson.

Das konnte man von dem dann folgenden „Too old to Rock’n’Roll too young to die“ nicht unbedingt sagen. Hier, wie auch später bei „Aqualung“ und „Locomotive Breath“, konnte man der Stimme Andersons die 30 Jahre, die seit Entstehen dieser Titel ins Land gegangen sind, besonders deutlich anhören. Zudem wirkte der Orchestersound hier auch eher wie Ohrenkleister, der dem Stück viel von seiner Knackigkeit nahm. Da konnte auch O’Haras Honky Tonk Piano am Ende wenig retten.

Dann kam die progressive Fraktion auf ihre Kosten. Leonard Bernstein möge es nicht, wenn man seine Musik nähme und daran herumschraube, erklärte Anderson. „Also machen wir das jetzt.“. Darauf hin zersägte die Band „America“ teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Martin Barre metzelte dabei streckenweise wie Jimi Hendryx selig. Fast bruchlos ging das Ganze dann in „My God“ vom legendären Aqualung-Album über. Der Interpretation gelang es hervorragend verschiedene Bandphasen miteinander zu vermählen. Die oft sehr harte Gitarre von Barre erinnerte daran, dass Jethro Tull einen längeren Flirt mit Hard Rock und Metal eingegangen war und 1989 sogar einen Grammy in dieser Kategorie gewonnen hatten. Offenbar schämt man sich dessen nicht, ist aber auch nicht bereit den hohen musikalischen Anspruch aufzugeben, den man in den früheren Jahren angelegt hatte. So wurde „My God“ zum intensivsten Part des Konzertes.

Partners in Crime seit 40 Jahren - Ian Anderson und Gitarrist Martin Barre



Besetzung
Ian Anderson (Voc, Flöte, Git)
Martin Barre (Git)
Doane Perry (Dr)
David Goodier (B)
John O’Hara (Keys, Akkordeon)

Neue Philharmonie Frankfurt
Dann ein Sprung um ein Jahr und ein paar Jahrhunderte zurück. „Past Times in good Company“ stammt aus der Zeit Henry VIII und war im vergangenen Jahr an gleicher Stelle von Blackmore’s Night auf die Bühne gebracht worden. Mit Spinett-artig klingendem Keyboard und Orchester klang das Ganze stellenweise kaum noch wie Hard Rock, blieb aber weit von der ständig lauernden Gefahr in süßlichen Kitsch abzudriften entfernt, der den Genuss im Vorjahr doch deutlich geschmälert hatte.

Eine lange Version von „ Budapest“ mit viel Instrumentalparts leitete zum finalen „Aqualung“ über. Eine tolle Wahl. Damit standen das Metal-Grammy-Album und das Highlight der Prog-Phase direkt nebeneinander - verbunden durch die grandiosen instrumentalen Fähigkeiten der Musiker, die insbesondere „Aqualung“ oft so weit von seinem Ursprung entfernten, dass man wähnte, bereits in einem anderen Stück gelandet zu sein. So geben Live-Konzerte Sinn!! Das war der Geist der 70er Jahre, der ohne jeden altbacken müffelnden Geruch in die Gegenwart transportiert wurde.
Natürlich musste nach dem „Thank you! Goodbye!“ noch eins kommen - und es kam - angesichts des Orchesters ohne langes Abgehen und wieder Auftreten. „Locomotive Breath“ wurde aus dem Lokschuppen geholt. Das Publikum riss es das erste Mal wirklich flächendeckend von den Stühlen. Was allerdings mehr über das Publikum., als über das Konzert aussagt. Hier dürfte das berühmte „Too old to Rock’n’Roll too young to die“ in vielen Fällen wirklich angebracht sein.


Insgesamt kein Jahrhundertkonzert. Auch das Dabei sein des Orchesters warf Licht und Schatten zugleich. Aber es dürfte kaum jemand unzufrieden nach hause gegangen sein. Und das nicht nur aus Nostalgiegründen. Insbesondere Anderson und Barre waren instrumental über weite Strecken ein Hochgenuss. Und die Spielfreude tat ein Übriges.
Kurz erwähnen sollte man noch den Opening Act Saori Jo. Zwar verlief sich der Sound des Duos mit Akustik-Gitarre und E-Piano im heißen Sommerabend überwiegend. Aber die kräftige Stimme der Sängerin rief Erinnerungen an Kate Bush oder Tori Amos hervor. so dass sie nach einer immer wieder von anerkennendem Gemurmel guten halben Stunde mit höflichem Beifall verabschiedet wurde.

Norbert von Fransecky


Zurück zur Artikelübersicht