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Artikel

NEAL MORSE, Martin Luther und der Mut für eine Sache ein zu stehen

Info

Gesprächspartner: Neal Morse

Zeit: 01.03.2007

Ort: Berlin - USA

Interview: Telefon

Stil: Prog Rock

Internet:
http://www.nealmorse.com

Neal Morse ist nicht zu bremsen. Nach mehreren Konzeptalben, auf denen er sich seiner eigenen Biographie (Testimony), der Bibel (One) und dem Heiligtum des Volkes Israel (?) gewidmet hatte, stellt er sich mit seinem aktuellen Album Sola Scriptura der Reformationsgeschichte. Bevor Norbert von Fransecky den amerikanischen Prog-Head über seinen Bezug zur deutschen Kirchengeschichte befragt, gibt er einen kurzen Überblick über das, was auf dem Konzeptalbum mit seinen drei Longtracks + einem Fünfminüter geschieht.

Im Zentrum von Sola Scriptura steht Martin Luther. Die Texte bleiben oft etwas kryptisch und man muss sich in der Geschichte des Reformators schon etwas auskennen, um alle Bezüge zu erkennen. Drei wichtige reformatorische Ereignisse werden direkt angesprochen: der Anschlag der 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, die damals als schwarzes Brett der Universität diente (“Upon the Door“); der Aufenthalt auf der Wartburg, wo Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte (“Underground“) und das standhafte Festhalten an den eigenen Schriften vor dem Reichstag zu Worms (“Heaven in my Heart“).

Im ersten Longtrack (“The Door“; 29:14 min) wird die mittelalterliche Kirche beschrieben, die trotz ihrer eigenen Verkommenheit alle abweichenden Meinungen im Namen Gottes vernichten lässt. Dagegen steht Luther mit seiner Sehnsucht, ein Leben zu führen, das Gott gefällt.
In der Auseinandersetzung mit der Kirche, die die von Christus geschenkte Gnade verkauft, kann der noch unbekannte Mönch und Theologieprofessor nicht anders als die Wahrheit, die er erkannt hat, auszusprechen. Das gipfelt im Thesenanschlag an der Tür der Schlosskirche, damals nicht mehr und nicht weniger als der übliche Weg, wissenschaftliche Gedanken zur Diskussion zu stellen.
Der zweite Track (“The Conflict“; 25:00) beginnt mit einem Vertreter der Kirche, der sich mit
abwechselnd schmeichelnder und drohender Stimme als Heiliger, als Priester und als König darstellt und somit alle Machtfunktionen der mittelalterlichen Gesellschaft gegen den Angriff Luthers ins Feld führt. “Party to the Lie“ macht deutlich, wie überzeugt beide Seiten sind, dass sie unmöglich auf der falschen Seite stehen können.
Dann wird der direkte Kampf erst einmal verlassen. Luther geht in den Untergrund, ins Versteck, und übersetzt die Bibel, so dass sie jeder verstehen kann. “Two down, one to go” stellt die Reformation in einen größeren geistesgeschichtlichen Zusammenhang und erinnert daran, dass sich diese kirchliche Erneuerungsbewegung in einer Zeit abspielt, in der die ganze Welt im Umbruch ist. Columbus entdeckt einen neuen Kontinent. Gutenberg revolutioniert die Informationstechnik. Und das sind nur zwei Beispiel von vielen in der spätmittelalterlichen Welt, die sich aufmacht zur Neuzeit zu werden.
Am Ende des zweiten Tracks steht wieder der Konflikt. Die katholische Kirche schwört, den „wilden Eber der in den Weingarten eingebrochen ist“ zu töten und Luther begründet seine Standfestigkeit damit, dass er das Leben nach dem er zu Beginn des Albums gesucht hat, gefunden hat. Das kurze “Heaven in my Heart“, ein Stück über Gottvertrauen in Zeiten der Bedrohung, nimmt diesen Faden noch einmal auf.

Bereits in den ersten Stücken hat Morse gelegentlich mit apokalyptischem Vokabular gearbeitet. Das wird jetzt massiv ausgebaut. Von zwei wilden Instrumentalstücken gerahmt triumphiert am Beginn von “The Conclusion“ (16:34) “Long Nights Journey“ darüber, dass „die Frau“ gefallen ist, die jetzt eindeutig mit dem widergöttlichen Babylon identifiziert wird.
Dann kommt die Gegenwart in den Blick. “Come out of here” ruft dazu auf, in die Fußstapfen Luthers zu treten. Damit könnte eigentlich Schluss sein. Aber Morse schlägt noch einmal den Bogen zum Anfang zurück. Die (evangelische!) Kirche hat gefunden, was sie gesucht hat. Track 1.3 und 2.6 werden textlich noch einmal aufgegriffen, womit der Satz “Alles wonach ich suche, ist ein Leben, das dir (Gott; NvF) gefällt“ endgültig zum roten Faden des Albums wird.
Die letzten 50 Sekunden gehören einem eindeutig missionarischen Schlusswort: “Vielleicht bist du derjenige, nach dem Gott sucht!“

Am Telefon verrät Neal Morse, dass er bei allem Engagement nicht unbedingt wild darauf war, ein weiteres Konzeptalbum aufzunehmen.

“Der gleiche Kerl, der mir das “Fragezeichen-Album” zum Tabernakel vorgeschlagen hat, kam letztes Jahr zu mir. Er hatte die Idee etwas zu Luther zu machen. Ich habe einfach gesagt, dass ich kein Konzeptalbum mehr machen will.“ lacht Morse. “Das ist zu viel Arbeit für eine einzelne Sache. Davon war ich überzeugt. Aber je mehr ich darüber betete, desto mehr war ich überzeugt, dass es eine gute Sache wäre."

Und Sola Scriptura muss nicht unbedingt das letzte Konzeptalbum gewesen sein. Als Antwort auf eine entsprechende Frage fällt Morse - bildlich gesprochen - vor seinem Gott auf die Knie. “Nun! Mein Leben gehört nicht mir. Ich habe es Gott übergeben, um das zu tun was er will. Ich weiß wirklich nicht, was ich als nächstes tun werde. Ich würde gern ein Album mit einzelnen Titeln aufnehmen, aber wir wollen abwarten, was der Herr will. Was immer er will, das ist es, was wir tun.“

Wenn Morse angibt, dass ihm an Luther vor allem “der Mut gefällt, mit dem er für seine Sache ein stand“, dann wird deutlich, dass der Amerikaner in dem Reformator einen Seelenverwandten sieht. “Er las die Bibel und erkannte, dass das was in der Welt und der Kirche ablief, nicht zu dem passte, was er las. Und er riskierte sein Leben für seinen Glauben.” Morse selber hat immerhin zumindest seine vielversprechende Karriere gefährdet, als er aufgrund eines Rufes Gottes vor fünf Jahren das Schlachtschiff Spock’s Beard verlies, das gerade mächtig am Durchstarten war.

Morse schlug einen für das 21. Jahrhundert eher altmodischen Weg ein, um sich auf das anspruchsvolle Thema vorzubereiten. “Ich habe einfach etwas gelesen. Es ist komisch, aber ich habe nicht einmal das Internet benutzt. Ich bin einfach in eine Bibliothek gegangen und habe mir ein Buch geholt. Yeah, that’s a good Way. Allerdings lebe ich in einer kleinen Stadt. Dort gab es kein Buch, das sich nur mit Luther befasst. Also bekam ich eins, in dem alle Reformatoren behandelt wurden.

An den Namen des Autors erinnert sich Neal Morse allerdings nicht mehr. „Einige Kapitel befassten sich mit Luther: Dabei lag das Interesse vor allem auf dem Thesenanschlag in Wittenberg und Luthers Rede in Worms. Daher beruht auch das Album vor allem darauf. Einige Teile des Albums sind mehr oder weniger Zitate daraus. Der Ausspruch des Papstes, `ein Wildschwein ist in den Weinberg des Herrn eingebrochen` ist zum Beispiel ein Zitat daraus.“ Mich hatte diese Textstelle sofort an die entsprechende Szene des Luther-Films von 2004 erinnert. Ob hier eine direkte Inspiration vorliegt, muss Morse allerdings verneinen. Er hat den Film noch nicht gesehen.

Meine Vermutung, dass sich das kurze “Heaven in my Heart” auf die Geschehnisse beim Reichstag zu Worms bezieht, bestätigt Morse dagegen. “Ja, darum geht es. Ich habe versucht mir vorzustellen, wie das gewesen sein mag. Was bewegt dich? Und ich konnte mir nur vorstellen, dass er das Gefühl hatte, dass hier die Sache Gottes einen Schritt weiter ging.
Ich wollte den Moment auf dem Album haben, in dem Luther sagte: Hier stehe ich. Es gibt keinen anderen Weg. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir."


Damit ergibt sich ein historisches Problem im Ablauf von Sola scriptura. Luther musste sich erst nach dem Reichstag vor dem Kaiser auf der Wartburg verstecken. Bei Morse befindet sich Luther aber bereits in Track 2 im “Underground“ auf der Wartburg und der Reichstag folgt erst in Stück 3.

”Mir ist schon klar, dass auf dem Album nicht alles in chronologischer Reihenfolge ist. Auch dieser Gedanke stammt von dem Freund, der mir die Idee eingegeben hat. Er meinte, ich solle mitten in der Schlacht beginnen und alles andere darum aufbauen. Etwa so, wie in den Star Wars Filmen. Fang mitten drin an. Dann kannst du mit Rückblenden arbeiten und so voranschreiten.
So wollte ich die Sachen bewegen, nicht unbedingt in chronologischer Ordnung. Dessen war ich mir schon bewusst.“


In dem grandiosen “Party of the Lie” beschäftigt Morse sich mit dem Aufeinanderprallen von Katholiken und Protestanten. Dabei klingt es so, als würde hier nicht unbedingt eine „gute“ und eine „böse“ Partei beschrieben. Beide Seiten erscheinen eher als Kontrahenten, die jeder für sich völlig davon über zeugt sind, dass sie im Recht sind.

”Nun, es denken ja tatsächlich beide, dass sie recht haben. Auf der einen Seite ist da der Papst mit seinen Anhängern. Und sie sagen, dieser Kerl muss nieder gemacht werden. Sie sagen, er ist ein Lügner.
Luther dagegen sagt, ich kann kein Lügner sein. Davon bin ich überzeugt. Gott wird die Sache lenken. Er wird über mein Schicksal entscheiden.
Aber die eine Seite hat sich Gott verschrieben, die andere Seite den Menschen. Das ist natürlich der große Unterschied.“


Bei der Frage, wo Morse selber zwischen Katholiken und Protestanten steht, wird er sehr vorsichtig. “Nun, ich glaube, ich möchte sagen, dass ich alle Formen von toter Religion ablehne.“ Nach einer langen Pause ergänzt er lachend “Ich glaube, mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

Bekanntlich hat Luther sich sehr engagiert als Kirchenliederdichter betätigt. Das weiß natürlich auch Neal Morse. Wäre es da nicht eine gute Idee gewesen, das eine oder andere Luther-Lied in das Album einzubinden? “Toll, dass Du das ansprichst,“ sagt er begeistert. Daran habe bereits der geheimnisvolle Freund gedacht, dessen Namen Morse nie erwähnt. “Er hatte die Idee aufgebracht, das Album mit `A mighty Fortress is our God´ (`Eine feste Burg ist unser Gott´) zu beginnen. Ich habe das dann nicht gemacht. Aber der Vorschlag war da. Vielleicht nehmen wir das mal in einer Live-Version auf.“

In den Backstage-Impressionen der Testimony-DVD (2004) kann man sehen wie Mike Portnoy vor dem Auftritt gemeinsam mit den anderen Musikern eine Gebetsgemeinschaft abhält, in der er auch selber das Wort ergreift. Überraschender Weise ist Portnoy dennoch kein bekennender Christ. “Ja, er hat mit uns gebet,“ gibt Morse zu Protokoll. “Aber du musst kein Christ sein, um mit uns zu beten. Ich wollte einfach für das Konzert beten. Ich glaube, dass es eigentlich für alle Menschen, die das tun wollen, gut ist, es zu tun, solange man das selbe empfindet. Wir machen alle das Gleiche durch. Es kann etwas fremdartig sein, wenn nicht alle von der selbe Sache motiviert sind. Aber ich würde einfach darüber beten. Ich bete mit Nicht-Christen und manchmal mag der Herr mitten dabei sein. Es geht dabei einfach darum, offen für alles zu bleiben, was Gott tun will.“

Auch Paul Gilbert, der neue Gitarrist in Neals Band, ist kein Christ. Der Metal-Gitarrist, der in der Vergangenheit unter anderem bei Mr. Big gespielt hat, ist auch nicht für den neuen harten Akzent verantwortlich. “Das war schon vorher klar,“ macht der Bandleader seine Urheberschaft deutlich. “Ich habe das so im Gefühl gehabt. Es entsprang im Wesentlichen der Sache, dem heftigen Thema, um das es geht. Außerdem habe ich einen neuen Gitarrenverstärker mit einem heavy Sound. Das spielt auch eine Rolle.“

Mit seinen Kirchentouren war Morse in den letzten Monaten verschiedentlich in Deutschland. Die Lutherstadt Wittenberg hat er dabei aber noch nicht zu Gesicht bekommen. “ Ich bin in Eisenach (Luthers Geburtsstadt; NvF) und Worms gewesen. Aber die Chance nach Wittenberg zu kommen, hat sich bislang nicht ergeben." Vielleicht gibt es ja bald eine Chance dazu. “Eine neue Kirchentour ist nicht geplant, aber wir denken über ein paar Gigs Ende Mai nach."
Mittlerweile stehen drei Daten fest. Am 26. Mai ist Morse Headliner beim IO-Pages-Progfestival in Holland. Da Spock’s Beard am 25. Mai ebenfalls dort auftreten, kocht derzeit natürlich die Gerüchteküche, ob es eine auf diesen Abend begrenzte Re-Union geben könnte. In der „Press Area“ auf der Homepage des Labels InsideOut (www.insideout.de) wird zusätzlich alles getan, um das Feuer anzuheizen.
Am 28. Mai tritt Neal Morse dann im Aschaffenburger Colos-Saal und am 13. Juni in der Regent Hall im London auf. Dazwischen wäre natürlich noch Zeit für Stippvisiten in Gemeinden.

Die Auftritte dort haben allerdings einen ganz anderen Charakter als ein reguläres Morse-Konzert. Das Programm stammt im Wesentlichen von den „Worship-CDs“, die auf seinem eigenen Radiant Label erscheinen und in Deutschland über den christlichen Vertrieb GerthMedien (www.gerth.de) vertrieben werden. Das ist kein Prog-Rock, sondern softe Pop-Nummern, die gut zur Gitarre mitgesungen werden können - passend sowohl zum Abend am Lagerfeuer, wie auch für den Gemeindegottesdienst.

Die Organisation solcher Auftritte, die selber gottesdienstlichen Charakter haben, findet über sehr persönliche Drähte statt. “Am Anfang gab es da einfach ein paar Freunde. Die haben Kontakt zu uns aufgenommen. Sie hatten wiederum ihre Kontakte zu Gemeinden und kirchlichen Gruppen. Sie haben auch da die Kontakte hergestellt. Und als einmal bekannt war, was wir da machen, kamen Leute aus meiner Fanbase auf mich zu, Leute, die die Testimony-Konzerte besucht haben und so weiter. Plötzlich gab es Anfragen und Emails: `Oh Neal, du kommst um in Kirchen zu spielen. Willst Du nicht auch in unsere Kirche kommen?`“

Auf’s Geld gesehen sind diese Konzerte kaum profitabel. Eintritt wird nicht erhoben. In Berlin wurde vor einigen Monaten ganz schlicht eine Kollekte gesammelt, in der Hoffnung zumindest die Kosten für die Flugtickets zu decken. “Wir versuchen nicht auf das Geld zu schauen, wenn wir dem Herrn dienen, oder? Jesus hat gesagt: Du kannst nicht Gott und dem Mammon dienen.“

Norbert von Fransecky

Norbert von Fransecky


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