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Einmal um die halbe Welt: Das Sinfonieorchester der Leipziger Musikhochschule spielt Bartók, Westlake und Schumann

Info

Künstler: Sinfonieorchester der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Zeit: 01.04.2023

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Jiyoon Kim

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Gelegentlich dienen die Konzerte des Sinfonieorchesters der Leipziger Musikhochschule zugleich als Prüfungskonzerte. Mit diesem Konzertprojekt am Übergang des März zum April 2023 ist das sogar gleich doppelt der Fall, wie Dirigent Matthias Foremny in seiner wie gewohnt kundigen wie launigen Moderation bekanntgibt. Das einmal um die halbe Welt führende Programm hebt allerdings mit dem einzigen Werk an, dem kein Prüfungshintergrund innewohnt: der Tanz-Suite Sz. 77 von Béla Bartók, die allerdings gerade sozusagen ihr 100jähriges Jubiläum feiert, entstand sie doch 1923 für ein anderes Jubiläum, nämlich den Festakt zur 50jährigen Vereinigung der Städte Buda und Pest, also ein ureigenes ungarisches Sujet – und Bartók hatte bekanntlich Bahnbrechendes in der Erforschung und Bewahrung der ungarischen Volksmusik geleistet, so dass es nicht weiter verwundert, dass Elemente dieser auch in die etwa viertelstündige Tanz-Suite eingeflossen sind. Ein Ritornell trennt die einzelnen Sätze voneinander und wird vom Hochschulsinfonieorchester mit großer Lieblichkeit zelebriert, während das Gros der Tänze eher zum flotten Herumpogen animieren würde, säße man nicht in einem bestuhlten Konzertsaal. Da hüpft ein Fagott über finsteren Streichern, da wechselt cineastische Monumentalität mit Speed und Kammermusik, da schreitet man behutsam holzdominiert dahin, da heulen die Blechbläser über wüsten Rhythmen, die eher einen Moshpit ergäben, und da legt auch der Dirigent selbst immer mal einen Hüftschwung hin, wenn es stilistisch paßt. Das Finale hat Bartók groß gedacht, Foremny und das Orchester machen es auch groß und legen viel Energie rein.

Der erste Prüfling wäre theoretisch gleich zweimal dran, denn das Oboenkonzert „Spirit of the wild“ von Nigel Westlake steht bei beiden Aufführungen dieses Programms, also am Vor- sowie an diesem Abend, mit dem gleichen Solisten an, und das ist Zhiyu Sandy Xu (Foto), in China geboren, aber schon als Kleinkind mit seiner Familie nach Australien ausgewandert und dort offensichtlich trotz seiner Studien in Europa immer noch bestens vernetzt, so dass er auf Westlakes 2016 für das Sydney Symphony Orchestra entstandenes Werk stieß und sich entschloß, es trotz oder vielleicht auch gerade wegen seiner immensen Anforderungen als Prüfungsstück für sein Meisterklassenstudium in Leipzig zu wählen. Von den beiden Aufführungen stellt aber nur die des ersten Abends, also die vom Rezensenten nicht erlebte, die eigentliche Prüfung dar. Die Besetzung des Werkes besteht aus Streichern, vier Hörnern, Harfe, Pauke und sechs weiteren Schlagwerkern. Der Prüfling spielt auswendig und zeigt sich den vor ihm stehenden Herausforderungen problemlos gewachsen, egal ob er im ersten Satz elegant mit dem Konzertmeister dialogisieren, flott dahinwuseln oder eine hyperschnelle Kadenz auch mit absonderlichen Spieltechniken gestalten muß, so dass seine Oboe wie eine rufende Gans klingt, was angesichts des naturangebundenen Themas des Werkes – es handelt sich um eine Hommage an Bathurst Harbor in Tasmanien und generell, so der Komponist, um einen „Liebesbrief an die australische Wildnis“ – durchaus Absicht gewesen sein dürfte, wobei freilich auch andere Tiere als Inspirationsquellen in Frage kämen, was in finaler Erkenntnis wohl nur mit einem Blick in die Partitur zu klären wäre. Satz 2 hebt düster und mystisch an, stößt den Hörer aber weder in einen Abgrund noch – trotz der maritimen Effekte – ins Meer, während Satz 3 ein reines Nocturne darstellt, das schon in Satz 2 vorbereitet worden ist und sehr schön stimmungsvoll gelingt. Satz 4 hebt mit einer langsamen Einleitung an, und die Beteiligten meistern auch die Aufgabe, eine schöne elegische Oboenmelodie über einen hektischen Orchesteruntergrund zu legen, ohne dass der Hörer das als Störung empfindet, erstklassig. Der Satz wird dann deutlich dramatischer und verlangt dem Solisten technisch nochmal enorm viel ab, zumal ob der dominierenden hohen Spielgeschwindigkeit. Foremny setzt die Dynamikgrenzen ziemlich weit außen, aus dem Nichts entstehen kleine Ausbrüche, munteres Hin und Her mündet in eine kurze knackige Schlußsteigerung – fertig sind Satz wie Werk, und der Solist erntet sehr viel Applaus, läßt sich aber nicht noch zu einer Zugabe hinreißen.

Der eigentliche Prüfling des Abends steht nach der Pause am Dirigentenpult: Bennet Eicke legt mit der Leitung von Robert Schumanns 4. Sinfonie d-Moll op. 120 seine Dirigierprüfung ab, wobei sein Dirigierprofessor Foremny das Werk am Vorabend noch selbst geleitet hatte. Auch Eicke agiert auswendig und findet gleich in der langsamen Einleitung des ersten Satzes die richtigen Zutaten für einen großen Bogen, den er sehr bedächtig formen läßt, damit er für den Übergang zum „Lebhaft“ überschriebenen Hauptteil zwar Größe, aber noch keine Übergröße aufbauen muß, und das gelingt ihm dann auch planmäßig. Die Dynamikgegensätze in diesem Hauptteil arbeitet er eher heraus, als dass er sie nivelliert, und lange Zeit setzt er auf einen konstanten Flow, den er später aber bewußt bricht, indem er die Pausen stärker betont, als über sie hinwegspielen zu lassen. Das Grundtempo bleibt übersichtlich, trotzdem liegt einiges an Frischeeffekt im Finale.
Alle vier Sätze gehen nahezu attacca ineinander über. Die Romanze an zweiter Position besteht zunächst aus Kammermusik von Klarinette und Solocello, die Eicke abermals eher bedächtig formt, wobei nicht jeder Übergang ganz lupenrein sitzt, was die angestrebte Stimmung aber nicht beeinträchtigt. Dass einige der Konzertmeister-Soli wie Fremdkörper wirken, dafür kann der Dirigent eher wenig und auch für den eher plötzlichen Schluß des Satzes nicht.
Ins Scherzo läßt Eicke einiges an Energie, aber wenig Zackigkeit legen, und damit fährt er gut. Das Trio bleibt auch in der von ihm gewählten breit schwingenden Form eher unauffällig, und nur die Konzertmeister-Soli behalten auch hier ihren Fremdkörper-Status, was in der Reprise wieder Geschichte ist.
Die langsame Einleitung zum vierten Satz stattet Eicke mit viel Größe aus, der majestätische Faktor erinnert fast an einen Vorgriff auf Bruckner – eine zwar mit historischer Aufführungspraxis inkompatible Lesart, aber derartige Kompatibilität ist hier nicht gefordert, und was man romantischen Werken angesichts 200 Jahre zusätzlicher Erfahrung an interessanten Seiten abgewinnen kann, hat Andris Nelsons gerade erst im Februar im Gewandhaus mit Mendelssohns „Paulus“ unter Beweis gestellt. Im „Lebhaft“-Hauptteil beweist Eicke diese Nützlichkeit erneut: Die Größe in dessen Einleitung ist zwar schnell wieder weg, das Tempo bleibt aber, und der Dirigent nutzt die Offbeats geschickt zur Aufrechterhaltung des zügigen Charakters. Die fugenartigen Teile gestaltet er gleichfalls kompetent, den Presto-Schlußteil nimmt er etwas stärker akzentuiert, und weil das mit dem Flow aus dem Offbeat so gut geklappt hat, findet dieses Element gleich nochmal Verwendung. Zwei, drei Wackler schleichen sich in das ansonsten souveräne Speedfinale ein, aber der Transport einer großen Menge Frische und Energie klappt prima, und so bricht das Publikum auch hier sofort in lauten Jubel aus.

Roland Ludwig


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