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Das Beste kommt zum Schluß: Dove, Heggis, Gershwin und Kapustin mit der Robert-Schumann-Philharmonie

Info

Künstler: Robert-Schumann-Philharmonie

Zeit: 09.02.2023

Ort: Chemnitz, Stadthalle, Großer Saal

Fotograf: Marco Borggreve

Internet:
http://www.theater-chemnitz.de

Das Februar-Konzert der Robert-Schumann-Philharmonie bietet meist stilistisch eher ungewöhnliche Werke – das ist auch 2023 der Fall und führt sogar dazu, dass der Deutschlandfunk den ersten Abend mitschneidet und auf DLF Kultur sendet, wo das Konzert zum Rezensionszeitpunkt zudem in der Mediathek unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/konzert-der-robert-schumann-philharmonie-chemnitz-dlf-kultur-03f9c16f-100.html nachgehört werden kann. Der Rezensent ist allerdings am zweiten Abend anwesend, und da gibt es einen kleinen, jedoch feinen Unterschied zum ersten. Aber dazu später.

Jonathan Doves „The Ringing Isle“ verarbeitet ein britisches Phänomen, das sogenannte Wechselläuten, bei dem die Küster benachbarter Gotteshäuser oder sonstiger Institutionen, die über Glocken verfügen, in eine Art Läutewettstreit treten. Der soll original teilweise mehrere Stunden dauern, der Komponist begnügt sich aber zum Glück mit einigen Minuten und weist naturgemäß dem verschiedenfarbigen Schlagwerk tragende Rollen zu, erzeugt glockenähnliche Sounds aber auch aus anderen Instrumentengruppen. Eine Trompetenfanfare rahmt das Werk, und nach der eröffnenden geht es ohne Umschweife gleich direkt zur Sache, wobei das Glockenspektrum vom großen dramatischen Exemplar, wie man es auch in Orchesterwerken von Strauss oder Berlioz findet, bis zum kleinen Schlittenglöcklein reicht, letzteren Passagen dabei sogar ein wenig spätweihnachtliches Feeling einimpfend. Auch einige fernöstliche Exemplare mischen sich ins große Geschehen ein, das nichtsdestotrotz irgendwann ans Nervende grenzt, wenn sich bestimmte Obertöne mal wieder so mischen, wie es das Ohr nicht gern hört. Dirigent Jakob Brenner hält das Tempo unterschwellig immer flüssig, kann aber natürlich nicht verhindern, dass der Klang nach hinten heraus immer weiter in die Breite geht und sich dort ohne weitere Höhepunkte verliert – vielleicht war das ja auch Absicht, so als ob sich der Zuhörer des Wettstreits von diesem entfernt. Jedenfalls mutet der Applaus an diesem Abend auch eher distanziert und verwirrt an.

Analog zu Doves Werk erlebt auch die Moby-Dick-Suite von Jake Heggis im Arrangement von Cristian Macelaru in diesen Konzerten ihre deutsche Erstaufführung. Wie in vielen ähnlichen Fällen handelt es sich auch hier um ein Seitenprojekt einer Oper, uraufgeführt anno 2010, und Heggis wollte eigentlich selbst eine Suite daraus gewinnen, war aber mit anderen Arbeiten so beschäftigt, dass ihn sein Uraufführungs-Assistent Cristian Macelaru schließlich bat, es selbst machen zu dürfen, so dass das Werk 2017 auf die Konzertbühnen fand. Eine reine „Nacherzählung“ der Oper ist es gemäß Macelaru nicht, sondern soll eher die Stimmung des Melville-Originals und dessen musikdramatischer Adaption aufnehmen, was Vor- wie Nachteile hat.
Wir haben also sozusagen verkappte Programmusik vor uns, mit einem Nocturne anhebend, in dem die Wellen ruhig vor sich hin rauschen. Das erste Aufbrausen bleibt noch folgenlos, erst das zweite führt offensichtlich zu einem ersten Konflikt – und schon steht der Hörer, der die Oper nicht kennt, vor dem Problem, dass er nicht mehr nachvollziehen kann, wer sich hier gerade mit wem und warum duelliert. Das ist ein bißchen schade, denn ihr dramatisches Handwerk verstehen Heggis und Macelaru offenkundig durchaus, setzen eine Schiffsglocke in Musik und schrecken auch vor coolem Orchesterjazz mit Mambo-Elementen nicht zurück. Entwicklungen werden mal von langer Hand vorbereitet, kommen aber bisweilen aus dem Nichts, und besonders die bleischwere Hinführung zum großen Knall mit der großen Trommel, als offenbar der weiße Wal das Schiff rammt und versenkt, hat nicht nur kompositorische Klasse, sondern gelingt auch Brenner und der Robert-Schumann-Philharmonie an diesem Abend ausnehmend gut, zumal ringsumher eher andere musikalische Qualitäten gefordert sind. Letztlich plätschert das Werk allerdings friedlich aus, große dramatische Höhepunkte bleiben abgesehen vom erwähnten scheinbaren Rammstoß aus. Trotzdem zeigt sich das Publikum zumindest an diesem Abend deutlich mehr angetan als von der Klingenden Insel.

Keineswegs verkappte, sondern offensichtliche Programmusik wartet in George Gershwins „An American In Paris“ auf den Hörer – ein Amerikaner durchquert die Stadt der Liebe und erinnert sich bisweilen an seine Heimat auf der anderen Seite des Atlantik. Das Sujet setzt Gershwin mit viel Liebe zum Detail in Musik – der Verkehr samt seiner Geräusche war offenbar schon in den 1920en dicht bis chaotisch und eine Hupe daher ein wichtiges Instrument, um sich auf den Straßen Respekt zu verschaffen. Einige der Hupgeräusche werden von verschiedenen Instrumenten simuliert, andere sind echt, und das Ganze ergibt schon im flotten Beginn einiges an witzigen Effekten. Brenner und dem Orchester wird allerdings ein ziemlich kleinteiliges Tempomanagement abverlangt – aber da haben die Beteiligten schon Schwierigeres gemeistert. Von der Gestaltung her überzeugen besonders die bisweilen leicht bluesigen Traumsequenzen, aber auch den nachdenklichen Orchesterjazzpassagen nach der zweiten Traumsequenz hört man im positiven Sinne an, dass zumindest einige der Mitwirkenden auch Erfahrungen in der orchestereigenen Bigband besitzen. Nur am Mobilisieren der letzten Reserven im Finale scheitert Brenner knapp, was das Publikum aber nicht vom lauten Jubeln abhält, am lautesten übrigens für die vier Schlagwerker.

Mit Gershwin geht es nach der Pause gleich weiter. Die Ouvertüre zum Film „Rhapsody in Blue“ ist im Programmheft wie schon die Werke von Dove und Heggie als Deutsche Erstaufführung gekennzeichnet, was erstmal ungläubiges Staunen hervorruft – sollte wirklich noch niemand auf den Gedanken gekommen sein, dieses von Ray Heindorf für den 1945, acht Jahre nach Gershwins Tod, entstandenen biographischen Film arrangierte Potpourri aus etlichen im Film auftauchenden Gershwin-Werken auch im Konzertsaal zu spielen?
Sei’s drum: Das Ergebnis klingt ein bißchen nach der Sorte Orchesterunterhaltungsmusik, wie man sie in jüngeren Jahrzehnten etwa von Paul Kuhn geboten bekam, mixt munter verschiedene Tempi und Grooves und wird nicht selten von einem Klavier befeuert, allerdings von dem, das hinten rechts inmitten des Orchesters steht, nicht demjenigen vorn, das fürs Folgewerk gebraucht wird. Der Schwung im Orchester paßt, die Dynamikgestaltung auch, die Bigband-Erfahrung macht sich abermals positiv bemerkbar, und man wundert sich nur über die Länge des Stücks – wenn das die Ouvertüre des Films ist, hat der einen extrem ausgewalzten Vorspann. Zu gefallen weiß das Stück dem Publikum allerdings, zumal ja verschiedene Aha-Effekte lauern, wenn man wieder mal ein Thema erkannt hat.

Das Glanzlicht des regulären Konzertprogramms steht allerdings ganz am Ende: Das Klavierkonzert Nr. 4 op. 56 von Nikolai Kapustin läßt die Kenner vorab schon mit der Zunge schnalzen, hat sich der 1937 in der damals sowjetischen Ukraine geborene und 2020 an Covid-19 gestorbene Komponist doch oft in Grenzbereiche zwischen Sinfonik und Jazz begeben und dort so manches Glanzlicht erschaffen, unter anderem eben dieses Konzert, das man eigentlich „Konzert für Klavier, Schlagzeug und Orchester“ hätte betiteln müssen, da der an einem regulären Drumset sitzende Schlagwerker gleichfalls herausgehobene Arbeit verrichten darf. Der restliche Orchesterapparat verkleinert sich hingegen deutlich: Die Blechbläser verschwinden komplett, und von den Bedinern der Schlaginstrumente bleibt auch nur noch ein Pauker im Dienst – den restlichen Job macht ja der verkappte Solist vorn neben dem Klavier.
Besagter Drummer ist Meinhard „Obi“ Jenne, am Klavier finden wir Frank Dupree (Foto), einen ausgewiesenen Experten für Kapustins Musik, denn er hat ein Aufnahmeprojekt laufen und versteht es prima, auf wie neben der Bühne Werbung für diesen heute wenig im Fokus stehenden Komponisten zu machen, der so manchen Geniestreich „auf dem Gewissen“ hat. Das einsätzige 4. Klavierkonzert zählt eindeutig auch zu dieser Kategorie – darin dürfte am Ende der Darbietung im Publikum Einigkeit bestehen. Pianist und Drummer legen flott und jazzig los, das Orchester agiert nur als dezenter Teppichausroller, bekommt im lyrischen Seitenthema dann aber markantere Aufgaben zugewiesen. Jenne wechselt zwischen Besen und Sticks hin und her und darf auch sonst quasi alle modernen Spieltechniken demonstrieren, hier und da den Beat auf Zählzeit 2 legend und damit das gefühlte Tempo quasi verdoppelnd. Auch Dupree agiert sehr flüssig, und die beiden Solisten verstehen sich im Zusammenspiel sozusagen blind, so dass Brenner praktisch kaum was zu tun hat und sich darauf beschränken kann, die Feinmotorik des Orchesters auf das Spiel der beiden anzupassen, soweit das nicht schon von selbst paßt. Den Moderato-Teil und andere langsamere Passagen nehmen die Beteiligten nicht gar zu zurückgelehnt, aber für ein paar krasse Übergänge wie den aus dem Lento ins Allegro reicht es allemal, und die diversen Effekte wandern zu sehen bzw. zu hören, etwa wenn Jenne per Bassdrum „anzählt“ und der Pauker diese Figur ins Orchester übernimmt, das macht schon richtig Freude. Brenner dosiert einen recht dramatischen Übergang in die Cadenza, in der Dupree von bedächtigen über jazzige bis zu hyperwilden Klängen changiert und schließlich alles mixt, ehe er zum Schluß förmlich in sein Instrument hineinkriecht und die Töne herauszieht. Die kompositorische Gestaltung des finalen Allegro assai überrascht: Dupree hat am Klavier oftmals zu wüten und sehr viele Noten zu spielen, Jennes Tempo aber bleibt überschaubar, und Brenner begeht nicht den Fehler, hier auf mehr Hast zu drängen. Es entwickelt sich ein bombastisch-feierlicher Groove, der Pauker darf auch fleißig mitdonnern, und dass der Jubel quasi sofort nach dem Schlußton ausbricht, ist keine Überraschung.

Dass hier Zugaben folgen müssen, ist irgendwie klar, und Dupree und Jenne legen gleich mit einem witzigen Virtuosenstück los: dem Prelude Nr. 1 C-Dur (Presto) aus den 24 Preludes op. 53 ebenfalls von Nikolai Kapustin, eigentlich ein Klavierstück, an diesem Abend aber in einer Version für Klavier und Drumset, das die beiden in sehr flottem Tempo nehmen, obwohl Jenne trotz viel Herumwirbelns keine erhöhte Snare-Schlagzahl vorgibt. Zugabe Nr. 2 stammt abermals von Kapustin, aber das verarbeitete Thema wird mancher Hörer aus anderen Kontexten gekannt haben – es ist die Paraphrase über „Aquarela do Brasil“ von Ary Barroso op. 118. „Für die nächste Zugabe brauchen wir Unterstützung“, hat Dupree allerdings zuvor angekündigt und drückt Brenner Maracas in die Hand, den Dirigenten somit als zusätzlichen Percussionisten „einspannend“. Das Stück selbst bietet abermals flotten Jazz über das besagte Thema, bevor Dupree von der Bühne verschwindet, Jenne ein Drumsolo spielt (anfangs mit den Händen, erst mit zunehmendem Bombast wieder mit Sticks) und sich der Pianist letztlich dazugesellt, so dass die beiden sich, während Brenner den Grundrhythmus schüttelt, ein freundschaftliches Drum-Duell liefern, zunächst am gleichen Kit, ehe sich Dupree mit einigen Sonderpercussioninstrumenten vorn an den Bühnenrand begibt. Die drei haben offenkundig viel Spaß dabei, und wen Duprees Fähigkeiten überraschen, der hat im Programmheft dessen Vita noch nicht gelesen – der Mann wurde eigentlich als Jazz-Schlagzeuger ausgebildet, ehe er sich stärker auf das Schaffen als Pianist konzentrierte.

Damit endet der vom DLF aufgezeichnete Konzertmitschnitt des ersten Abends. Am zweiten Abend aber gibt das Publikum so lange keine Ruhe, bis Dupree noch eine dritte Zugabe auspackt: Er setzt sich wieder ans Klavier, allerdings nicht an das vordere, sondern an das im Orchester hinten rechts stehende, und spielt noch eine bedächtige, möglicherweise improvisierte Paraphrase über „What A Wonderful World“, die dem Abend die Krone aufsetzt. Dieses Sahnehäubchen entgeht dem Radio-Nachhörer, aber das davor Gebotene lohnt das Hören auch schon reichhaltig, wenngleich über den Verlauf des Abends hinweg in durchaus etwas unterschiedlichem Maß, aber mit markanter Steigerung hin zum Ende des zweiten Programmteils. Das Beste kommt halt oftmals doch zum Schluß, und es bleibt Dupree zu wünschen, dass sein Projekt, Kapustins Schaffen verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit zu holen, gelingt.

Roland Ludwig


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