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Artikel

Geh unter der Gnade: Simone Martins Biographie über Friedrich Hänssler jun. hat eine klare Tendenz

Info

Autor: Simone Martin

Titel: Friedrich Hänssler. Ein Leben für das Evangelium

Verlag: SCM Hänssler

ISBN: 978-3-7751-5889-3

Preis: € 21,99

336 Seiten

Internet:
http://www.scm-haenssler.de

Wer sich im deutschen kirchenmusikalischen Umfeld bewegt, egal ob als Ausführender oder als Konsument, stößt früher oder später auf den Namen Hänssler. Friedrich Hänssler sen., anno 1892 geboren und aus einer württembergischen Korbmacherfamilie stammend, ging zunächst ebenfalls dieser Beschäftigung nach, wuchs allerdings in die kirchenmusikalische Bewegung hinein und beschränkte sich nicht nur aufs Ausführen, sondern wurde auch zum Liedkomponisten. Erste Versuche, während des Ersten Weltkrieges seine Lieder zu publizieren, verliefen wenig erfolgreich, und letztlich gründete Hänssler 1919 einen eigenen Verlag, in dem er nicht nur eigene Kompositionen, sondern auch zahlreiche andere Werke veröffentlichte, meist in Form von Liederheften, die ihm von der erstarkenden kirchenmusikalischen Bewegung förmlich aus den Händen gerissen wurden. Er schaffte es, auch die komplizierten Zeiten des Nationalsozialismus zu überstehen, obwohl er für diese Ideologie und für die Deutschen Christen keine Sympathien hegte und folgerichtig mehrfach mit Betätigungsverboten belegt wurde. Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete sich aus verschiedenen Gründen ebenfalls schwer, aber da der Krieg umfangreiche Notenbestände bei den Chören zerstört hatte, herrschte ein enormer Bedarf, so dass sich der Verlag stabilisieren konnte. Der am 6.3.1927 geborene Sohn Friedrich jun. hatte seine militärischen Einsätze in der Spätphase des Krieges überlebt, trat 1950 in den Verlag ein und prägte diesen schließlich über die nächsten Jahrzehnte (ab 1959 stand er an der Spitze), wobei die Herausgabe zunächst aller Kantaten und schließlich aller Werke Johann Sebastian Bachs in zwei riesigen CD-Boxen, eingespielt unter Federführung von Helmuth Rilling, wohl dasjenige Projekt darstellt, für das er in die musikwissenschaftlichen Annalen eingehen dürfte, wenngleich ihm die kirchenmusikalische Basisarbeit ein nicht minder großes, vielleicht noch größeres Anliegen war. Allerdings geriet das Unternehmen um die Jahrtausendwende in strukturelle wirtschaftliche Schwierigkeiten und mußte schließlich anno 2002 Insolvenz anmelden, aus der verschiedene Zweige hervorgingen, die heute das Werk fortsetzen, u.a. die Stiftung Christliche Medien (SCM).

In einem der Verlagsimprints ebenjener Stiftung ist auch das vorliegende Buch erschienen, eine Biographie über Friedrich Hänssler jun., die an der Grenze zur Autobiographie liegt. Hänssler hat der Autorin Simone Martin nämlich nicht nur die Archive des Verlags und seiner Familie geöffnet, sondern umfangreiche Passagen des Buches auch selbst geschrieben, was allerdings jeweils für den Leser klar zu erkennen ist, indem diese Passagen als Zitate gekennzeichnet sind, so dass es an der entsprechenden Transparenz nicht fehlt. Dass Hänssler nicht aus dem luftleeren Raum kam, ist klar, und so beginnt die Darstellung nach zwei einleitenden Kapiteln über das Buchprojekt und verschiedene Aspekte von dem, was Hänssler und Martin unter Gottes Führung verstehen, auch mit der oben skizzierten Familiengeschichte der Hänsslers inmitten des württembergischen Pietismus, bevor Friedrich jun. in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, zunächst mit einer ausführlichen Geschichte seiner Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und seinen Werdegang nach dessen Ende, als er am Stift Tübingen Theologie studierte und auch ein Semester in den Bodelschwingh’schen Anstalten von Bethel verbrachte, bevor er zum einen 1950 in den Verlag eintrat, zum anderen aber auch die Jugendarbeit des Württembergischen Brüderbundes nachhaltig reorganisierte und leitete. Eine verschleppte Tuberkulose ließ ihn lange Zeit mit dem Tode ringen, aber er überlebte und wurde komplett wiederhergestellt. Die Verlagsarbeit nahm immer größere Ausmaße an, auch seine Verlobte und spätere Ehefrau Ursula Lamperter arbeitete mit, bevor die am Ende sechs Kinder immer mehr ihrer Kraft bedurften. Der Verlag aber wuchs dank immer neuer Projekte in verschiedene Richtungen: Die Bach-Aufnahmen wurden bereits erwähnt, auch Filmprojekte und neue Vertriebskonzepte innerhalb des christlichen Buchhandels erwiesen sich als erfolgreich, ebenso wie Kontakte in die USA, über die etwa die Werke des bekannten Evangelisten Billy Graham ins hiesige Programm fanden. Umgekehrt ist „Geh unter der Gnade“, heute ein sehr bekanntes und in vielen Gemeinden gern gesungenes Segenslied, eigentlich das Geschenk von Manfred Siebald zum 60. Geburtstag von Friedrich Hänssler jun. anno 1987 gewesen. Die breite Aufstellung des Verlagsportfolios bewahrte diesen allerdings trotzdem nicht vor der Insolvenz anno 2002, mit der das Buch offen umgeht. Noch bis 2016 blieb Hänssler dem neu strukturierten Verlag als Berater und „graue Eminenz“ erhalten, bevor er sich endgültig zurückzog. Drei Jahre später, am 7.5.2019, starb er im Alter von 92 Jahren. Ob bzw. in welcher Weise er die Veröffentlichung dieses Buches noch miterlebt hat, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten – das offizielle Veröffentlichungsdatum der Printversion ist der 26.7.2019, dasjenige der E-Book-Version aber bereits der 15.2.2019. Das Ende ist wie der Anfang nicht ganz chronologisch gestaltet: Auf das Kapitel über das „In-Ruhestand-Gehen“ anno 2016 folgen noch eine theologische Abhandlung aus Hänsslers Feder, Auszüge aus Glückwünschen zu seinem 80. Geburtstag anno 2007 und schließlich ein abermals aus Hänsslers Feder entsprungenes und mit März 2018 datiertes Nachwort.

Bereits die beiden Einleitungskapitel machen klar, dass Martin eng mit Hänssler verbunden ist – kritische Distanz der Autorin zu ihrem Sujet darf der Leser also nicht erwarten, braucht das anhand der Offenlegung der Geschichte des Buchprojektes aber auch gar nicht. Flüssig, unterhaltsam und doch tiefgründig schreiben können beide. Um das Buch mögen zu können, muß man allerdings mit seinem typischen Stil der christlichen Erweckungsliteratur klarkommen. Die Führung in der Hänsslerschen Familiengeschichte wird klar Gott zugeschrieben, und wenn man das oft und gern wiederholte Mantra „Gott fügte ... Gott führte ... Gott bewahrte ... Gott half etc.“ als etwas zu plakativ in den Vordergrund geschoben empfindet, wird man an der Lektüre keine Freude haben, was freilich auch im Umkehrschluß zutrifft. Der missionarische Drang Martins, die erst wenige Jahre vor dem Verfassen dieses Buches aktive Christin wurde, ist typisch für diese Situation, die ein Theologe aus dem Umfeld des Rezensenten treffend mit „Missionseifer der Konvertiten“ umschrieb. Auch mit der Verdammung der Theologenausbildung des 20. und 21. Jahrhunderts muß man als Leser zurechtkommen (Grundthese: Die biblische Fundierung der Theologenausbildung ist nicht mehr da, und die historisch-kritische Methode der Bibelerforschung, die die aktuelle Grundlage jener Theologenausbildung darstellt, taugt nix). Kritische Einlassungen zu Menschen wie Billy Graham (sein sarkastischer Beiname „Maschinengewehr Gottes“ kam nicht von ungefähr) oder auch nur differenziertere Betrachtungen der Methodik der Massenevangelisationen sucht man naturgemäß vergeblich. An einigen Stellen, wo man sich nähere Informationen gewünscht hätte, bleibt das Buch im vagen Bereich. Ein Beispiel von S. 10, ein Zitat von Hänssler selbst: „Möglicherweise ist es interessant zu hören, dass einer der neu gewählten Minister des Kabinetts von Präsident Donald Trump, ein tiefgläubiger Mann, schon hier im Verlag in Holzgerlingen gesprochen hat.“ Wer das aber war, enthalten uns Hänssler und Martin vor, damit keine Bewertung über das Leben und Schaffen dieses Mannes möglich machend. Die Beschreibung der Praxis der Gebetsfrühstückstreffen ranghoher Politiker und Militärs in den USA (von Hänssler auch in Deutschland eingeführt) läßt den Leser bisweilen ungläubig mit dem Kopf schütteln, ob Gott wirklich die Beteiligten angewiesen hat, z.B. Belgrad zu bombardieren oder die demokratischen Regierungen vieler Länder Mittel- und Südamerikas zu destabilisieren. Ganz problematisch wird’s auf S. 29, ein Zitat Martins: „Bei der entscheidenden Wahl im Januar 1933, aus der Hitler als Reichskanzler hervorgegangen ist, stand auch der Verleger Hänssler in der Wahlkabine, um abzustimmen.“ Die Geschichte geht damit weiter, dass Hänssler sen. letztlich kein Kreuz auf dem Wahlzettel macht, weil Gott ihm das so eingibt. Da es im Januar 1933 aber gar keine Wahl auf Reichsebene in Deutschland gab, bleibt nur zu hoffen, dass der Wahrheitsgehalt der anderen der vielen Anekdoten im Buch, der sich nicht so einfach überprüfen läßt, höher ist als der von dieser hier.

So bleibt ein Buch für einen relativ genau umreißbaren Leserkreis, das dessen Bedürfnisse sicherlich gut erfüllt, während umgekehrt eine externe Betrachtung von Leben und Werk der Hänssler-Familie ein Desiderat bleibt. Ob das von Martin lektorierte und zwei Jahre früher erschienene Buch „Unter Gottes Führung – Menschen, die mein Leben prägten“ aus Hänsslers Feder in eine ähnliche Richtung tendiert wie das vorliegende Buch, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten, steht aber zu vermuten. Der knappe Fußnotenapparat nennt überwiegend Liedautoren und eigene Publikationen des Verlages, ermöglicht also nur bedingt ein Vordringen in das Sujet auf wissenschaftlicher geprägter Ebene. Wir haben unterm Strich christliche Erbauungs- bzw. Erweckungsliteratur im ureigensten Sinne vor uns, die vermutlich am besten in den streng pietistischen Kreisen ankommt, aus denen die Hänssler-Familie ursprünglich selbst stammt, aber selbst im „orthodoxen Dorfluthertum“ sächsischer Prägung, aus dem der Rezensent ursprünglich kommt, noch eine gewisse Sprengkraft entfalten würde. Der Preis von 21,99 Euro für ein Exemplar der 1. Auflage stammt aus dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek und hat damit Referenzcharakter; zum Rezensionszeitpunkt finden sich für die mittlerweile erschienene 2. Auflage auch Angaben wie 12,99, 12,95 oder 19,99 Euro im Netz, während das dem Vernehmen nach ausstattungsgleiche E-Book scheinbar einheitlich für 15,99 Euro angeboten wird.

Roland Ludwig


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